Berlin. Gereizte Stimmung, Stress und erhöhte Gewaltbereitschaft: Hitze macht dünnhäutig. Ein Forscher erklärt, warum und was Sie tun können.

  • Der Deutsche Wetterdienst hat eine Warnung vor extremer Hitze herausgegeben
  • Die Hitze bedeutet Stress für Ihren Körper und die Psyche
  • Ein Experte der Charité Berlin erklärt das Phänomen – und gibt Tipps

Nach grauen und regnerischen Tagen freut sich das Gemüt auf Sonne und Wärme. Allerdings lässt auch hier ein Zuviel des Guten die Stimmung leicht kippen. Denn Hitze bedeutet Stress für unseren Körper – nicht nur physisch sondern auch psychisch. Studien belegen: Bei Hitze werden viele Menschen schneller aggressiv.

Doch warum ist das so? Die Gründe sind individuell – und ein Zusammenspiel aus biologischen, psychologischen aber auch sozialen Faktoren mit direkten und indirekten Einflüssen. Nicht alle lassen sich verhindern, doch es gibt das Potenzial gegenzusteuern.

Ein Einflussfaktor ist das Antidiuretische Hormon, kurz ADH – auch Adiuretin oder Vasopressin genannt. „Es wird von Nervenzellen des Hypothalamus im Gehirn gebildet und ist zentral für die Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts in unserem Körper“, erklärt Hanns-Christian Gunga, Seniorprofessor für Physiologie in Extremen Umwelten an der Charité Berlin.

Hitze-Stress: Urin als erstes Warnsignal

„Wenn der Körper merkt, dass er bei Hitze aufgrund der steigenden Schweißproduktion zunehmend Flüssigkeit verliert“, so der Experte, „dann wird verstärkt ADH gebildet und so Wasser durch die Nieren zurückgehalten.“ Das lasse sich gut an einer intensiveren Färbung des Urins erkennen und daran, dass man generell weniger zur Toilette müsse. Gunga zufolge ist das ein erstes Warnzeichen.

Der Physiologe forscht unter anderem zu den Auswirkungen von Hitze auf den menschlichen Organismus. „Tierexperimentelle Studien und weitere Betrachtungen haben gezeigt, dass ein erhöhter ADH-Spiegel ein erhöhtes Aggressionsverhalten mit sich bringt“, erklärt Gunga. Auch andere Studien zeigten eine eindeutige Korrelation von Hitze und aggressivem Verhalten.

So hat etwa ein Forschungsteam in den USA vergangenes Jahr in einer großangelegten Studie vier Milliarden Posts des Social-Media-Kanals Twitter – heute X – analysiert und mit Wetterdaten verglichen. Das Ergebnis: Bei entsprechenden Hitzeperioden stieg die Zahl aggressiver und hasserfüllter Nachrichten signifikant an.

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Eine weitere Studie US-amerikanischer Wissenschaftler, ebenfalls 2022 veröffentlicht, zeigte, dass Gewalttaten mit Schusswaffengebrauch mit steigenden Temperaturen deutlich zunahmen. Daten aus Russland aus dem Jahr 2020, ausgewertet vom Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg, untermauern dies. Demnach wurde auch dort an heißen Tagen mehr gemordet und getötet.

Forscher: Belastung durch Hitze nicht unterschätzen

Diese hohen Übereinstimmungen deuten Wissenschaftler, so auch Hanns-Christian Gunga, als Zeichen dafür, dass unsere psychische Belastbarkeit von Hitze deutlich beeinträchtigt wird. Der steigende ADH-Spiegel ist dafür aber nicht allein entscheidend.

Zusätzlich können die hohen Temperaturen zu körperlichem Unbehagen führen – etwa durch verstärktes Schwitzen, Schwindel, Kopfschmerzen, Erschöpfung oder auch Dehydrierung. Diese Belastung kann dazu führen, dass Menschen leichter frustriert, gereizter und weniger geduldig sind.

Erschwerend komme laut Gunga hinzu, dass viele Menschen bei warmen Temperaturen nachts schlecht schlafen, also nicht zur Ruhe kommen und auch mental schlechter regenerieren. „Bei Hitze werden Menschen einfach dünnhäutiger“, sagt der Experte.

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All diese Faktoren begünstigen Aggressionen – und können im schlimmsten Fall einen Domino-Effekt auslösen. „Am Ende ist es aber immer auch eine individuelle Entscheidung, wie ich mich verhalte“, betont Gunga. „Nur weil jemand durch Hitze und Hormone gestresst ist, geht er nicht gleich auf andere los – egal ob physisch oder verbal.“

Das Gute: Jeder kann gegensteuern und so das Risiko minimieren, hitzebedingt aus der Haut zu fahren. „Ausreichend zu trinken ist etwa ein erster wichtiger Schritt“, so der Experte. Generell gehe es darum, die negativen Auswirkungen von Hitze auf dem Körper gering zu halten und auf die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu achten.