Berlin. Beim „Nullpunkt-Piercing“ wird ein spezieller Akupunkturpunkt durchbohrt. Betroffene berichten von Linderung – Experten jedoch warnen.

Aktuell wird in den sozialen Netzwerken wie Facebook oder TikTok in zahlreichen Videos von Behandlungserfolgen bei Migräne und Clusterkopfschmerzen durch spezielle Piercings berichtet. Von Piercingpunktur, Nullpunkt-und Migräne-Piercings ist die Rede.

Dabei wird das Loch im Bereich des Ohrknorpels an einem der Akupunkturpunkte, die zur Migränebehandlung genutzt werden, geschossen beziehungsweise gesetzt. Dies soll durch die Stimulation der Stelle bei Betroffenen dauerhaft den Schmerz lindern.

Das Verfahren ist nicht neu. Seit einigen Jahren gibt es immer mehr Studios, die diese Piercings anbieten. Doch Experten sind skeptisch: „Das Verfahren beruht auf keiner nachvollziehbaren pathophysiologischen Grundlage“, betont die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG).

Zwar sei eine klinische Studie angekündigt worden, die in Zusammenarbeit mit einem Arzt durchgeführt werden soll, heißt es auf deren Webseite. Bislang seien jedoch keine Studien in einer Studiendatenbank registriert oder zu diesem Thema publiziert worden.

Migräne-Piercing: Experte raten ab und verweisen auf Risiken

Auch wenn einige Betroffene von Linderung durch ein derartiges Piercing berichten, rät die DMKG Migräne- und Clusterpatienten dringend von Ohrpiercings zur Behandlung ab und empfiehlt „eine an den Leitlinienempfehlungen der Fachgesellschaft orientierte nichtmedikamentöse und medikamentöse vorbeugende Behandlung der Migräne durch einen Arzt.“

Gleichzeitig ist bekannt, dass der Placeboeffekt – genau wie bei anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen – bei der Schmerzlinderung eine Rolle spielen kann. Ist also jemand fest davon überzeugt, dass ihm etwa ein „Nullpunkt-Piercing“ hilft, kann allein dieser Glaube zu einer subjektiven Verbesserung der Migränesymptome führen.

Migräne ist eine der häufigsten Kopfschmerzformen.
Migräne ist eine der häufigsten Kopfschmerzformen. © imago/Westend61

Ob dies ein Argument für ein Piercing sein sollte, gilt es jedoch abzuwägen. „Piercings gehen mit gesundheitlichen Risiken einher“, betonen die DMKG-Experten. „Insbesondere im Bereich des Ohrknorpels ist das Risiko einer verzögerten Wundheilung oder einer nachfolgenden Infektion im Vergleich zu Piercings an gut durchblutetem Gewebe deutlich höher.“

Es seien zahlreiche Fälle publiziert, in denen es zur Entzündung des Ohrknorpels mit nachfolgend kosmetisch unschöner Verformung der Ohrmuschel gekommen sei, heißt es.

Statt Piercing besser Ausdauersport und Entspannungsverfahren

In den Leitlinien, die in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie entwickelt wurden, raten die Fachleute neben speziellen Medikamenten unter anderem auch zu Ausdauersport, um Migräne vorzubeugen. Ebenso könnten Entspannungsverfahren, Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie und Biofeedback statt der medikamentösen Prophylaxe eingesetzt werden, so die Empfehlung der Experten.

Bei Migräne kommt es zu Attacken heftiger, laut Definition häufig einseitiger pulsierend-pochender Kopfschmerzen, die bei körperlicher Betätigung an Intensität zunehmen. Die Schmerzattacken werden fast immer von Appetitlosigkeit begleitet und auch Übelkeit, Erbrechen sowie Licht- und Lärmempfindlichkeit sind keine Seltenheit.

Migräne ist eine der häufigsten Kopfschmerzformen. In Deutschland erfüllen laut Robert-Koch-Institut knapp 15 Prozent der Frauen und 6 Prozent der Männer die kompletten Kriterien für Migräne.