Berlin. Experten warnen vor gravierenden Mängeln bei ambulanten Pflegediensten. Wo die größten Risiken liegen und wie man Konflikte anspricht.

Es ist ein schleichender Prozess. Doch für die meisten Menschen kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem man sich eingestehen muss: Ich bekomme meinen Alltag nicht mehr ohne fremde Hilfe gestemmt. Oftmals sind es die erwachsenen Kinder, die bei Vater oder Mutter im Alter Schwierigkeiten feststellen und sich dann entweder selbst um die Pflege der Eltern kümmern oder einen ambulanten Pflegedienst beauftragen.

Etwa fünf Millionen Menschen in Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt pflegebedürftig. Und das ist nur die offizielle Zahl derer, die einen Pflegegrad besitzen. Etwa 4,1 Millionen dieser Menschen werden zu Hause versorgt, davon rund 2,5 Millionen allein oder teilweise durch Angehörige.

Oft werden ambulante Pflegedienste vor Ort vertraglich beauftragt, bei der Pflege zu helfen. Je nach Pflegegrad und Leistungen übernimmt die Pflegekasse die Kosten. Das Problem: Die wachsende Zahl von Pflegebedürftigen kann Befragungen zufolge immer schlechter versorgt werden. Die Qualität in der ambulanten Pflege bleibt auf der Strecke, mitunter gravierende Pflegefehler häufen sich.

Pflegedienste leiden an Personalmangel und Überlastung

Gründe für die Misere gibt es aus Sicht von Experten eine ganze Reihe. Das wohl drängendste Problem derzeit sei der Fachkräftemangel, sagt Daniela Sulmann im Gespräch mit unserer Redaktion. Sulmann ist Pflegeexpertin und Geschäftsleiterin im Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP). Die gemeinnützige operative Stiftung verfolgt das Ziel, die Pflegequalität insbesondere für ältere pflegebedürftige Menschen zu verbessern.

Fachkräftemangel herrsche zwar in vielen Bereichen. „Aber in der Pflege ist es zum Teil schon dramatisch“, sagt Sulmann. „Pflege läuft auf Notstromaggregat – und das bekommen die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen deutlich zu spüren.“ Viele Pflegedienste könnten Anfragen nicht mehr nachkommen. Es komme vor, dass Verträge gekündigt und keine neuen geschlossen werden würden. Vereinbarte Leistungen könnten nicht immer in vollem Umfang erbracht werden. „Weil ihnen einfach das Personal fehlt“, sagt Sulmann. Das führe dazu, dass mitunter ungelernte Hilfskräfte für Aufgaben eingesetzt werden würden, die eigentlich nur von Fachpersonal ausgeführt werden dürften.

Fehlerrisiko in der Pflege: Expertin sieht toxischen Mix als Ursache

Zusätzlich zum Fachkräftemangel hapert es oft auch an der Umsetzung zeitgemäßer Versorgungskonzepte und der Qualifikation des Personals. „Die Versorgungsstrukturen und -prozesse haben sich in den letzten 25 Jahren kaum geändert, aber die Anforderungen sind viel höher. Und für die immer anspruchsvoller werdenden Aufgaben sind sowohl die Mitarbeitenden als auch die Führungskräfte teilweise nicht entsprechend qualifiziert“, sagt Sulmann. Hinzu kommt, dass viele Pflegedienstleitungen Pflegeaufgaben mitübernehmen und dadurch ihrer Leitungsaufgabe nicht gerecht werden können.

Auch das enge Finanzierungssystem trage zum Zeitdruck bei. „Aufgaben werden oftmals im Hauruckverfahren abgearbeitet. Ein toxischer Mix aus Zeitdruck, mangelnder Qualifikation und Kommunikation wirkt einer sicheren Pflege unentwegt entgegen“, sagt Sulmann. Gleichzeitig weisen die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit des ZQP darauf hin, dass das Fehlerrisiko in der ambulanten Pflege generell hoch ist. Unter anderem hatte das ZQP Qualitätsbeauftragte und Pflegedienstleitungen befragt.

Pflegefehler können sowohl durch ambulante Pflegedienste als auch durch Angehörige entstehen.
Pflegefehler können sowohl durch ambulante Pflegedienste als auch durch Angehörige entstehen. © iStock | istock

Demnach bergen vor allem vier Bereiche in der ambulanten Pflege ein hohes Fehlerrisiko. Zum einen mangelnde Dokumentation – damit ist gemeint, dass schriftlich falsch oder gar nicht festgehalten wird, wenn sich beim „Klienten“, wie es im Pflegejargon heißt, zum Beispiel eine Wunde verändert hat oder er Fieber hatte. Weitere Bereiche seien Fehler bei der Medikamentengabe, der Hygiene und der Wundversorgung.

„Eine ganz wesentliche Ursache von Pflegefehlern ist unseren Erkenntnissen nach eine schlechte Kommunikation – sowohl innerhalb der Berufsgruppe, aber besonders auch zwischen den an der Pflege Beteiligten“, sagt Sulmann. Gemeint sind zum Beispiel Angehörige und professionell Pflegende, aber auch Ärzte und Physiotherapeuten.

Was Angehörige gegen Fehler in der Pflege tun können

Was tun? „Angehörige haben eine wichtige Rolle, was die Vermeidung von Fehlern betrifft“, sagt Sulmann. Ihnen rät die Expertin, stets Fragen zu stellen und mögliche Bedenken zu äußern, „respektvoll und nicht gerade in einem hektischen Moment“. Alternativ solle man telefonisch um einen Gesprächstermin bitten. Wichtig sei es, im Gespräch „nicht vorwurfsvoll, sondern interessiert“ zu fragen. Und zu vermitteln, dass man bestimmte Maßnahmen oder Entscheidungen gern besser nachvollziehen möchte.

Wichtig sei aber auch, dass sich pflegende Angehörige selbst eine gewisse Kompetenz in Sachen Pflegesicherheit aneigneten. Eine Möglichkeit ist es, Pflegekurse zu besuchen. Diese sind kostenlos und werden von der Kranken- oder Pflegekasse übernommen. Angebote gibt es sowohl vor Ort sowie als Kurs zu Hause oder als Online-Schulung. Das ZQP bietet online eine kostenfreie Datenbank zu Beratungsangeboten in der Pflege, die auch Beschwerdestellen umfasst.

Daniela Sulmann ist Pflegeexpertin und Geschäftsleiterin im Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP).
Daniela Sulmann ist Pflegeexpertin und Geschäftsleiterin im Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP). © ZQP | Die Hoffotografen

Konflikte mit dem Pflegedienst richtig lösen

Kommt es mit einem bestimmten Pflegedienstpersonal dauerhaft zu Konflikten oder einem Vertrauensbruch, können Angehörige versuchen, einen Personalwechsel zu vereinbaren. Hilft das nicht, können Angehörige grundsätzlich Hilfe durch die Pflegekasse erhalten. Schließlich zahlt diese einen Teil der Leistungen.

Bei privat Versicherten ist die private Pflegeversicherung Ansprechpartner. Weitere Anlaufstellen für Beschwerden sind der Medizinische Dienst (MD), der auch den Pflegegrad feststellt, und als privates Pendant der PKV-Prüfdienst. Zudem verfügen viele Kommunen auch über kommunale Beschwerdestellen für den Bereich Altenpflege.