Berlin. Gentechnisch veränderter Raps, Mais oder Reis soll Unkrautvernichtern wie Glyphosat widerstehen. Doch Forscher sehen auch Gefahren.

Äußerlich lassen sie sich nichts anmerken. Was gentechnisch veränderte Pflanzen von ihren natürlichen Verwandten unterscheidet, ist so unscheinbar, dass auch ein Profi sie nicht sofort auseinanderhalten könnte. Erst ein Blick in die Tiefen ihrer DNA verrät: Es wurden artfremde Bausteine eingearbeitet.

Einzelne Gene von Bakterien machen die Pflanzen unempfindlich für Unkrautvernichter oder Schädlinge. Obwohl Hersteller dies seit der Entwicklung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) bestreiten, befürchten einige Wissenschaftler, dass der Eingriff Raps, Mais und Co unberechenbare Kräfte verleiht. Ein Risiko, das Deutschland und viele andere europäische Länder meiden. GVO dürfen hier nicht angebaut werden.

Doch die Natur orientiert sich nicht an Staatsgrenzen. In einigen Ländern sprießen GVO bereits unkontrolliert – in Häfen, an Autobahnen und Eisenbahntrassen, weiß der Experte für Gentechnik in der Landwirtschaft, Christoph Then. Denn nicht nur der Anbau spiele eine Rolle, auch die Einfuhr keimfähiger Körner zur Verarbeitung in Tierfutter könne dazu führen, dass sich die Gentechnikpflanzen in der Umwelt ausbreiten. Und der Import solcher Körner ist auch in Deutschland erlaubt.

Hybride können fitter sein als natürliche Vorfahren

„Überall, wo sie von Schiffen, Lastern oder aus Eisenbahnwaggons fallen, können sie keimen. Und insbesondere Raps kann sich dann auch ausbreiten“, sagt Then. Er ist Geschäftsführer von Testbiotech – der gemeinnützige Verein beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen Folgenabschätzung von Gentechnik für Mensch und Umwelt. Was mögliche Folgen der Mutanten-Ausbreitung betrifft, steht Testbiotech in ständigem Austausch mit der EU.

Die Verpackung eines Unkrautvernichtungsmittels, das den Wirkstoff Glyphosat enthält.
Die Verpackung eines Unkrautvernichtungsmittels, das den Wirkstoff Glyphosat enthält. © dpa | Patrick Pleul

Glaubt man der zuständigen Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa), sind die Mutanten ungefährlich. In der freien Wildbahn könnten die Labor-Abkömmlinge auf Dauer nicht bestehen, da sie gegenüber ihren frei wachsenden Verwandten abseits der mit Chemie behandelten Felder keinen Überlebensvorteil hätten. Zudem gebe es meist keine Kreuzungspartner, um das manipulierte Gen-Material weiterzutragen. Studien der Hersteller und unabhängige Untersuchungen hätten das belegt.

„Stimmt nur zum Teil“, sagt Christoph Then. Wo wilde Artgenossen verbreitet seien, könnten auch Hybrid-Generationen entstehen. Beispielsweise bei Mais in Spanien, dem größten und nahezu einzigen GVO-Anbauer in Europa. „Dort wächst seit einigen Jahren eine verwandte Wildform des Mais“, so Then.

Aber auch bei Raps in Deutschland, wo gestrandete Körner keine Rücksicht auf nationale Anbauverbote nähmen und wilde Pflanzenarten wie den Ackersenf als Kreuzungspartner fänden. Die daraus entstehenden Hybride könnten fitter sein als ihre natürlichen Vorfahren und diese in Bedrängnis bringen, wie eine neue Studie der Universität Fudan in Shanghai (China) andeutet. Die Wissenschaftler konzentrierten sich dabei auf die Wirkung eines bestimmten Enzyms: EPSPS.

Mutanten bergen viele Risiken

Bei sogenannten HR-Systemen – kurz für Herbizidresistenz – wird ein Pärchen aus Pflanze und Unkrautvernichter aufeinander abgestimmt. In den allermeisten Fällen ist das Glyphosat. Der Wirkstoff hemmt den Signalweg von EPSPS, der für Pflanzen lebenswichtig ist. Ist er unterbrochen, sterben sie ab. Einige Mikroorganismen produzieren eine EPSPS-Form, die sie unempfindlich für Glyphosat machen kann. Saatguthersteller kopierten diese Gensequenz von Bakterien und bauten sie in die DNA von Kartoffeln, Mais, Raps und Baumwolle ein. „Dabei verwenden sie Genkonstrukte, die diese Enzyme in ihrer Wirkung wesentlich verstärken“, sagt Then. Das könnte ihnen ungeahnte Kräfte verliehen haben.

„Die neue Studie aus China zeigt, dass das Enzym EPSPS nicht nur resistent gegen Glyphosat machen kann, sondern auch stimulierend auf Wachstum und Samenbildung der Pflanzen wirkt“, sagt Then. Grund dafür sei vermutlich, dass das Enzym auch die Produktion des pflanzeneigenen Wachstumshormons Auxin beeinflusst. „Je mehr davon gebildet wird, desto vitaler sind die Pflanzen und ihre Nachkommen. Man spricht von höherer Fitness“, erklärt der Experte. Gentechnik-Pflanzen mit höherer Fitness könnten andere Pflanzen verdrängen.

Es ist nicht das einzige Risiko, das die Mutanten bergen. Eine weitere ungewollte Nebenwirkung mussten Farmer in den USA, dem größten GVO-Anbauer der Welt, schon bald nach Beginn der ersten Aussaat vor rund 20 Jahren feststellen. Zwar waren ihre genetisch verbesserten Pflanzen gewappnet, wenn sie mit Chemie bespritzt wurden – doch schon nach wenigen Jahren waren immer größere Herbizidmengen nötig. Denn nicht nur Raps und Mais widerstanden den Mitteln, auch das Unkraut begann sich zur Wehr zu setzen.

„Unkräuter können dafür verschiedene Mechanismen entwickeln“, sagt Wolfram Reichenbecher vom Fachbereich Gentechnik des Bundesamts für Naturschutz (BfN). „Einige beginnen, mehr EPSPS zu produzieren, sodass die ausgebrachte Menge Glyphosat nicht zum Absterben der Pflanzen führt. Bei anderen Pflanzen verändert sich EPSPS so, dass Glyphosat dort nicht mehr anbinden und wirken kann.“

Kreuzungen mit wilden Populationen

Überraschend sei diese Entwicklung nicht. „Es gab früh Warnungen, dass HR-Systeme die Entstehung solcher Resistenzen fördern würden“, sagt Reichenbecher. Heute müssten zum Teil zwei oder mehr Herbizide eingesetzt werden, um resistentes Unkraut zu bekämpfen. Um mit mehreren Unkrautvernichtern zurechtzukommen, mussten auch Raps und Co robuster werden. Im Labor wurde ihre DNA dafür teilweise mit weiterem Fremdmaterial ausgestattet. Weder Hersteller noch die Lebensmittelbehörde Efsa hätten die damit verbundenen Langzeiteffekte bisher genauer untersucht, sagt Then.

Beispiel MON88302. Die Rapssorte wurde so gezüchtet, dass sie besonders viel Glyphosat verträgt. „Dass diese Fähigkeit auch dazu führen kann, dass sich die Pflanze bei der Kreuzung mit wilden Populationen noch schneller ausbreitet, wurde in der Bewertung durch die Efsa systematisch heruntergespielt. Sie hat nicht weiter untersucht, ob diese Pflanzen und ihre Nachkommen genetisch nicht veränderte Arten verdrängen könnten“, sagt Then.

Ähnliche Probleme sieht Testbiotech auch bei der Efsa-Bewertung des Anbaus verschiedener Gen-Mais-Sorten in Spanien. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass die veränderten Gene, wenn sie durch Kreuzung auf wilde Mais-Verwandte übergehen, einfach wieder ihren ursprünglichen Nutzen erfüllen. „Als wären sie nur ein Baustein, der nicht durch die Umwelt oder andere Gene beeinflusst werden kann. Diese Annahme ist falsch“, sagt Then.

Europäische Behörde erstellt Gutachten mit der Industrie

Hauptautor der Efsa-Studie ist ein Mitarbeiter der Behörde, Co-Autor ein Agrar-Experte des Saatgutherstellers Syngenta. Auf Kritik durch Testbiotech, dass diese Zusammenarbeit kaum unabhängig sein könne, reagierte die Efsa in einem Schreiben, das dieser Redaktion vorliegt, nur teilweise einsichtig. Die gemeinsame Arbeit könne zwar den Eindruck unangebrachter Nähe zur Industrie erwecken, widerspreche aber keinen wissenschaftlichen Richtlinien. In Zukunft wolle man solche Co-Autorenschaften dennoch vermeiden. Die Gefahr einer unkontrollierten Ausbreitung von GVO hätte man hingegen ausreichend untersucht. „Wir sehen das anders“, sagt Then, „– und wir werden die Efsa weiterhin daran erinnern.“