Washington. Tausende Krebskranke wollen den Chemiekonzern Bayer wegen Glyphosat verklagen. Der Unkrautvernichter trage Schuld an ihrer Erkrankung.

Dewayne „Lee“ Johnson war das blühende Leben, als er vor sechs Jahren in Benicia östlich von San Francisco eine Stelle als Schulhausmeister antrat. Heute steht dem Afroamerikaner, Vater dreier Söhne, der Tod ins Gesicht geschrieben. Der 46-Jährige leidet im Endstadium an einem Non-Hodgkin-Lymphom – Lymphdrüsenkrebs. Seine Ärzte gehen davon aus, dass er dieses Jahr nicht mehr überlebt.

Bevor Johnson stirbt, so sagt sein Anwalt Timothy Litzenburg, soll in einem Jahrhundert-Prozess der Verursacher der Erkrankung haftbar gemacht werden. Nach Überzeugung von Johnson ist das der just für rund 63,5 Milliarden Dollar im deutschen Bayer-Konzern aufgegangene Agrar-Chemie-Riese Monsanto. Genauer: dessen weltweit jährlich rund fünf Milliarden Dollar einbringender Verkaufsschlager im Segment der Unkrautvernichter: Glyphosat. In Amerika und andernorts unter dem Namen „Roundup“ im Handel.

Erste Schadenersatzklage dieser Art

Johnson versprühte das Herbizid zigliterweise in den Grünanlagen seiner Schule. 2014 traten bei ihm die ersten Symptome zutage: Hauterkrankungen. Wenig später folgte die Krebs-Diagnose. 2016 reichte er, da schon längst arbeitsunfähig, Klage ein. Für Johnson ist klar, dass „Roundup“ seine Gesundheit ruiniert hat. Und dass Monsanto, wie sein zweiter Anwalt Brent Wisner formuliert, die schädliche Wirkung des Pestizids verschleiert hat.

„Sie haben ihm gesagt, man könne es quasi trinken, so ungefährlich sei es“, erklärt Wisner. Weil im US-Bundesstaat Kalifornien bei Klägern, die dem Tod geweiht sind, Prozesse beschleunigt werden können, sitzt Johnson seit einer Woche in San Francisco vor dem „Superior Court“. Es ist die erste Schadenersatzklage dieser Art. Noch im August wird das Urteil erwartet.

5000 weitere Betroffene wollen ebenfalls klagen

Weil 5000 weitere Betroffene (Tendenz steigend) in den Vereinigten Staaten geltend machen, ebenfalls an den Folgen von Glyphosat schwer erkrankt zu sein, könnten auf Bayer nach Einschätzung von Prozessbeobachtern Straf-Zahlungen in Milliardenhöhe zukommen. Wenn die Geschworenen denn Dewayne Johnson grundsätzlich recht geben.

Denn ob der vor über 40 Jahren von Monsanto entwickelte „weed killer“ krebsauslösende Nebenwirkungen hat, ist wissenschaftlich bisher nicht nachgewiesen. Monsanto stellt sich auf den Standpunkt, dass weltweit „mehr als 800 Studien“ zutage gefördert hätten, dass von Glyphosat bei ordnungsgemäßer Verwendung keine Gefahr ausgeht und es nicht krebserregend ist.

WHO: Glyphosat „wahrscheinlich krebserregend“

Der Konzern aus St. Louis stützt sich darauf, dass die mächtige US-Umweltbehörde EPA noch 2017 eine Lizenz zum Weiterverkauf verlängert habe. Ähnlich verhalte es sich bei anderen Regulierungsbehörden weltweit.

Dagegen steht ein Gutachten der zur Weltgesundheitsorganisation WHO gehörenden Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC). Dort hatten Wissenschaftler 2015 konstatiert, dass Glyphosat „wahrscheinlich krebserregend bei Menschen“ sei. Kalifornien, regelmäßig progressiver in Umweltfragen als andere Bundesstaaten, stufte Glyphosat danach als krebserregend ein.

Vorwurf: Monsanto habe Forscher bedrängt

Die Anwälte von Dewayne Johnson wissen, dass ihnen der lückenlose wissenschaftliche Nachweis der Krebsgefahr bei Glyphosat kurzfristig nicht gelingen kann. Stattdessen, so zeichnete sich beim Prozessauftakt am 9. Juli ab, unternehmen sie den Versuch, die Neutralität und Gründlichkeit der Untersuchungen zu erschüttern, die zur behördlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung geführt hat.

Brent Wisner berichtet, dass es spätestens seit dem Jahr 2000 einen „Berg von Daten“ gebe, der bei Glyphosat intern auf die Gefahren von genetischen Veränderungen und Krebs hinweise. Monsanto habe davon gewusst, Fakten unterschlagen und Informationen so frisiert, dass der Eindruck entstand, das Produkt sei harmlos.

Mehr noch: Unabhängige Wissenschaftler, die Zweifel an der Monsanto-Lesart hegten, seien unter Druck gesetzt worden. Wisner will dies unter anderem anhand von internen Unterlagen belegen, die man von ehemaligen Monsanto-Angestellten bekommen habe.

Haben Monsanto-Angestellte an Studien mitgeschrieben?

Die Papiere werfen ein ungünstiges Licht auf das Unternehmen. Eine Mitarbeiterin konstatiert: „Wir haben keine Krebsstudien mit Roundup gemacht.“ In einem anderen Schriftverkehr heißt es, dass Monsanto-Angestellte als „ghostwriter“ an oberflächlich unabhängigen Studien mitgetextet haben sollen, was Monsanto bestreitet.

Im Gericht, so schilderte der Jurist Robert Kennedy Jr., der 800 Glyphosat-Opfer vertritt, wurde bereits der frühere Chef-Toxikologe Monsantos, Mark Martens, vernommen. Er soll geschildert haben, wie die Firma in den 90er-Jahren Studien wegdrückte, die Glyphosat als potenziell schädlich für die menschliche Genetik einstuften. Als der damals weithin anerkannte Experte Dr. James Parry als Gegengutachter angeheuert wurde, den prekären Befund jedoch bestätigte, soll die damalige Produktionsleiterin von Monsanto, Donna Farmer, erwogen haben, den Wissenschaftler zu bestechen, damit er seine Resultate abschwächt.

Beweislage gegen Glyphosat widersprüchlich

Damit fangen für Bayer die Probleme aber erst an. Parallel zum Präzedenzfall Johnson hat in der vergangenen Woche ebenfalls in San Francisco Bundesrichter Vince Chhabria die Schleuse für 400 weitere Klagen gegen Monsanto wegen Glyphosat geöffnet. Der Konzern hatte bis zuletzt erbittert um die Abweisung der Anträge gekämpft, hinter denen sich Landwirte, Gartenbaubetriebe und private Nutzer von „Roundup“ befinden.

Auch wenn sich die Kläger auf „wackligem“ Grund befänden und die Beweislage gegen Glyphosat „mehrdeutig“ sei, könnten Geschworene in einem Prozess zu dem Fazit gelangen, dass ein Zusammenhang zwischen einer individuellen Krebserkrankung und Glyphosat bestehe. Nur weil das Erbringen eines lupenreinen Ursache-Wirkung-Nachweises eine „große Herausforderung“ für die Kläger sei, so der Richter, dürfe man ihnen einen Prozess nicht verwehren.

Mit der Johnson-Klage und der Zulassung der 400 weiteren Sammelklagen ist es aus Sicht von Juristen in Washington „um einiges wahrscheinlicher geworden, dass es am Ende zu hohen Vergleichszahlungen an Glyphosat-Opfer ohne Schuldeingeständnis kommen könnte“. Gerade in den USA ist dies ein häufiger genutzter Weg, um jahrelange, teure Auseinandersetzungen vor Gericht abzukürzen.