Das Nein der Iren zum EU-Vertrag ist ein schwerer Rückschlag für die EU. Das Abendblatt erklärt, wie es weitergeht.

Hamburg. Warum durften die Iren über den Vertrag abstimmen? Die irische Verfassung sieht bei der Übertragung von irischen Souveränitätsrechten auf die EU eine Volksabstimmung vor. Deshalb musste die Bevölkerung an die Wahlurnen. Das deutsche Grundgesetz sieht plebiszitäre Elemente in diesem Fall nicht vor. In Berlin haben Bundestag und Bundesrat den EU-Reformvertrag verabschiedet.

Warum haben die Iren mehrheitlich mit Nein gestimmt? Die Gegner argumentierten, dass die neuen EU-Verträge lediglich eine Kopie der gescheiterten Verfassung seien und die Rechte Irlands beschneiden würden. Unter anderem wurde befürchtet, dass die relativ niedrige Unternehmenssteuer in Irland in Gefahr sei und so das Wachstum auf der Insel zum Erliegen komme. Durch die geplante Präsidenten-Stelle in der EU stehe außerdem der irische Einfluss auf dem Spiel, hieß es. Irland würde darüber hinaus in Zukunft zeitweise seinen eigenen EU-Kommissar verlieren. Verwunderlich ist die irische Euroskepsis umso mehr, als dass das Land seit seinem Beitritt 1973 allein aus den Fördertöpfen für strukturschwache Regionen rund 20 Milliarden Euro erhielt.

Wird es ein zweites Referendum in Irland geben? Vorbild ist dafür das Nein im Jahre 2001 zum Vertrag von Nizza. Ein Jahr später legte ihn die Regierung noch einmal zur Abstimmung vor, mit Erfolg. Diese Option greift nur, wenn alle anderen 26 EU-Länder ratifizieren. Bisher haben dies 18 Länder über ihre Parlamente getan. In europaskeptischen Ländern wie Großbritannien oder Tschechien ist die Zustimmung noch offen.

Sind Sonderregeln möglich? Frankreich setzt auf ein "juristisches Arrangement". Danach könnten für Irland in strittigen Bereichen Ausnahmeregeln zum Lissabon-Vertrag vereinbart werden. Mithilfe solcher "opt-outs" könnte der Vertrag in den 26 anderen EU-Staaten womöglich doch noch umgesetzt werden. Ironie der Geschichte: Einen Austritt Irlands aus der EU, den manche angesichts des Abstimmungsergebnisses bereits fordern, würde erst der Lissabon-Vertrag ermöglichen.

Wird ein neuer EU-Vertrag erarbeitet werden? Ein dritter Anlauf für einen neuen EU-Vertrag gilt als unwahrscheinlich. Schon Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Mühe, den Lissabon-Vertrag unter deutschem EU-Vorsitz im Juni 2007 gegen Briten und Polen durchzusetzen.

Hat die EU jetzt keine Vertragsgrundlage mehr? Die EU muss vorerst mit dem Nizza-Vertrag weiterarbeiten, der seit 2003 in Kraft ist. Das Problem: Der Vertrag sieht überwiegend einstimmige Entscheidungen vor, was die Arbeit mit 27 EU-Staaten erschwert. Zudem ist der Einfluss des Europaparlaments begrenzt. Bei jeder neuen EU-Erweiterung müssen die Stimmrechte der EU-Staaten neu ausgehandelt werden.

Gibt es demnächst ein Europa der zwei Geschwindigkeiten? Schon jetzt ist generell eine "verstärkte Zusammenarbeit" möglich. Damit können einige Mitgliedsstaaten die Integration auf eigene Faust vorantreiben. Beispiele sind der Euro, den unter anderem Dänen und Briten nicht haben, oder der Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen, dem Großbritannien und Irland nicht angehören. Die Diskussionen über Sinn und Zweck der EU - politische Union oder nur Freihandelszone - werden wieder aufleben. Nächsten Donnerstag und Freitag treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs zum turnusmäßigen Gipfel in Brüssel, lange Sitzungen sind wahrscheinlich.

Welche Auswirkungen hat die Abstimmung auf die Europawahlen im Juni 2009? Mit dem Vertrag von Lissabon, der die EU der 27 transparenter, bürgernäher und handlungsfähiger machen soll, kann kein Wahlkampf gemacht werden. Es ist zu befürchten, dass das Interesse an Europa weiter nachlässt. Die Wahl könnte als Test für die nationalen Regierungen in Frankreich oder Polen benutzt werden und in Deutschland wegen der im September folgenden Bundestagswahl untergehen.