Müritz. Vor der Bundestagswahl bereist Matthias Iken das Land, spürt der Seele der Bundesbürger nach. Teil 6: Der Nationalpark Müritz.

Vom Stall auf den Holztisch sind es nur wenige Meter. Die Gänse laufen fast durch den Biergarten des Gourmethof in Below. Nur von einem Zaun getrennt, trotten einige Angusrinder über die Weide, die kleine von Kopfweiden gesäumt Straße führt direkt zum malerischen Woblitzsee. Die Kleinseenplatte bei Wesenberg ist ein Urlaubsidyll – endlose Laubwälder, malerische Seen und eine junge Havel, die verspielt durch die Gegend plätschert. Nirgendwo ist Deutschland Schweden so ähnlich.

Aber es ist Mecklenburg. Und in diesem janusköpfigen Bundesland liegen Schönheit und Tristesse oftmals nur wenige Meter nebeneinander. Vielleicht sollte man dort einen Geschichtspark bauen – wie nachhaltig vier Jahrzehnte real existierender Sozialismus ein Land ruinieren können. Ein großes historisches Erbe, ein noch größeres Naturerbe und vier Jahrzehnte Misswirtschaft, Misanthropie und Missmanagement. Und wie lange es dauert, auf den Trümmern etwas Neues aufzubauen. Rita Dubbe, 42, ist seit 22 Jahren dabei zu bauen. Und noch lange nicht fertig. Die Geschichte ihres Gourmethofs ist eine Historie vieler Widerstände und einer mecklenburgischen Dickköpfigkeit, die allen Widrigkeiten trotzte.

Drei Fragen an Rita Dubbe

Mecklenburg war bis zur Wende ein Land, das von und mit der Landwirtschaft lebte – noch 1989 arbeiteten 180.000 Menschen in der Agrarbranche, heute sind es noch 25.000. Die Dubbes gehören erst seit einigen Jahren dazu, auch ihr Mann hat als Installateur einen anderen Hintergrund. Ihr Vater wundert sich noch heute, dass seine Tochter „auf dem Wagen steht und Heu macht“. Die Idee kam ihr als Studentin in Rosenheim, wo sie BWL mit dem Schwerpunkt Holzwirtschaft studierte. Sie wollte ökologisch leben: „Der ökologische Gedanke stand im Vordergrund – wir wollten auf dem Gourmethof hochwertige Lebensmittel herstellen.“

Nach der Wende dominieren Großbetriebe

Mit einem Kleinkredit erwarben sie die ersten Hektar Land bei Below. Ihre Heimat, so lacht sie, sei damals „die Autobahn gewesen“. Was sie plant, passt weder in die Zeit noch in die Umgebung. Nach der Wende dominieren Großbetriebe mit Hunderttausenden Hektar das Land, Agrarfabriken statt Kleinbauern. Und ihre Idee der Direktvermarktung war neu – „Das gab es in der ganzen Region nicht.“ Leider auch keine Fördergelder. In den Ämtern und Behörden erntete die Jungunternehmerin nur Kopfschütteln und Fassungslosigkeit. Bio-Anbau galt vielen als grüne Spinnerei, ihr Konzept passte in kein Förderraster.

Rita Dubbe (o. r.)
leitet den Gourmethof
Rita Dubbe (o. r.) leitet den Gourmethof © Matthias Iken

„Wir wollten die Nahrungsmittel ja auch verarbeiten und fielen so aus der Landwirtschaftsförderung heraus — und weil wir mit Lebensmittel arbeiteten, gab es keine Fördergelder aus der verarbeitender Branche.“ Die EU legte dann ein Programm für innovative Ideen auf, und Dubbes Gourmethof belegte den zweiten Platz von 165 Bewerbern – es winkte eine Förderquote von 60 Prozent. Doch dann initiierte das Land Mecklenburg ein eigenes Programm, und Rita Dubbe musste sich plötzlich mit einer Förderquote von 30 Prozent begnügen. Auch die Banken stellten sich quer und forderten von den Gründern des Hofladens Lieferverträge, erst eine Hamburger Bank gewährte den Kredit.

„Mecklenburg braucht eben 20 Jahre länger“, sagt Dubbe. Das könnte sogar eine Beschleunigung der Lebensverhältnisse sein: Otto von Bismarck spottete einst: „Wenn die Welt untergeht, so ziehe ich nach Mecklenburg, denn dort geschieht alles 100 Jahre später“

Rückstand wird zum Vorsprung

Spätestens seit dem Dreißigjährigen Krieg, der das Land verheerte und in einzelnen Regionen die Bevölkerung um bis zu 80 Prozent schwinden ließ, hinkt das Land hinterher. Erst spät befreiten sich die Bauern aus der Leibeigenschaft, die Industrialisierung fasste nur an der Küste Fuß. Dieser Rückstand wird nun zum Vorsprung. Kein Bundesland bietet mehr Natur, längere Sandstrände, klarere Seen, tiefere Wälder, schönere Nationalparks; die Hansestädte haben sich prächtig herausgeputzt, der Tourismus floriert. Zugleich aber hat die Landflucht Dörfer veröden lassen. Läden wurden geschlossen, Schulen zusammengelegt, Kneipen dicht gemacht, Vereine abgewickelt.

Auch dieser Niedergang ist unübersehbar. Anklagend steht im Speisekartenkasten der Gaststätte Eggebrecht in Zwenzow am Labussee noch immer: „Seit 1.1.2012 geschlossen.“ Die Ruhe, die viele Gäste so lieben, erinnert Einhei­mische mitunter eher an Friedhofsruhe. Von fast zwei Millionen Einwohnern zu Wendezeiten sank die Bevölkerungszahl auf nunmehr gut 1,6 Millionen. Weniger Menschen, mehr Natur. Drei von 14 deutschen Nationalparks liegen im Nordosten, die Buchenwälder von ­Serrahn sind sogar Unesco-Weltnaturerbe.

Es
ist ein Paradies für Paddler ...
Es ist ein Paradies für Paddler ... © Matthias Iken

Ein Paradies für Naturfreunde, Wassersportler, Ruhesuchende: „Seen mit dem tiefsten klaren Wasser, von einem bezaubernden Türkisgrün oder Azurblau ... Heute noch hat das Wasser etwas von der Frische und Klarheit des Eises, unsere Seen sind wie Hochgebirgsseen“, schrieb einst Hans Fallada, der zwischen 1933 und 1944 am Carwitzer See in der Nähe lebte. Langsam verbessert sich landesweit die Infrastruktur. Biohöfe, Hofläden, mitunter kleine Verkaufstische an den Radwegen mit offener Kasse zeugen vom Wandel. Doch vielerorts gleicht die Region einem Pommes-Schranke-Land, einer Wurst-Welt mit viel Fett und wenig Service.

Auf dem Gourmethof hingegen gibt es das wohl beste Steak zwischen Hamburg und Berlin; die Angusrinder lassen sich aus der Gaststube beobachten, Hofgemütlichkeit trifft ambitionierte Küche. Es läuft.

Das Grundproblem: Die Klügsten gehen

Und doch kommt die Bürokratie immer wieder dazwischen – Schüler dürfen nicht aushelfen, weil sie 18 Jahre alt sein müssen, um Alkohol ausschenken zu dürfen. Mit 18 aber sind die Abiturienten dann schnell weg. Das Grundproblem Mecklenburgs hat sich nicht verändert, die Klügsten gehen, die Klugen zieht es in den öffentlichen Dienst, und zu viele finden nichts und leben von der Stütze. „In unserer Gegend wird es immer schwieriger, gute Auszubildende zu finden. Die Besten gehen weg oder in den öffentlichen Dienst, den Rest können sie oft kaum gebrauchen.“

Der Personalmangel ist so schlimm, dass Rita Dubbe immer wieder Aushilfen organisieren muss, oder sogar ihr Bruder aus Berlin einspringt. „Von den Vermittlungsvorschlägen der Arbeitsagentur melden sich am Ende vielleicht fünf ­Prozent bei uns“, sagt sie. Und die meisten wollen dann nur ein paar Stunden hinzuverdienen. „Ich muss manchmal 23-Stunden-Schichten einlegen – am Tag.“ Ohne die Familie wäre ein solcher Hof kaum zu führen. Schon die beiden elf- und 15-jährigen Söhne helfen mit. „In 15 Jahren haben wir einmal einen einwöchigen Familienurlaub gemacht“, sagt Dubbe.

Würde sie alles noch einmal so machen? Rita Dubbe zögert: „Nein, heute würde ich eine kleine Landwirtschaft machen und nebenbei im öffentlichen Dienst arbeiten“, sagt sie, lacht und zögert. „Nein, ich hoffe nicht.“

Die Serienteile:

1. Zugspitze Faszination
Wandern: Höllentalangerhütte
2. Lüneburg Deutschland von außen: Prinz Asfa-Wossen
Asserate
3. Hamburg Singen für die Demokratie: Tournee mit Wolf Biermann
4. Weimar Deutsche Klassik: Geschichte im Kleinen
5. Wittenberg Im Lutherjahr: Was bleibt vom Glauben?
6. Wesenberg Landwirtschaft: Auf dem Bio-Gourmethof
7. Wolfsburg Das Automobil: VW-Werk
8. München Land der Ideen: Deutsches Museum
9. Hümmel Der deutsche Wald: Peter Wohlleben
10. Hamburg Spiel der Millionen: Das Miniaturwunderland