Berlin/Hamburg. Wenn ein YouTube-Star die Kanzlerin interviewt, sind nicht nur die Fragen andere als gewohnt: Auch der Zeitplan ist entspannter.

Hetzen lässt sich der YouTuber LeFloid – eigentlich Florian Mundt – augenscheinlich nicht. Gut Ding will schließlich Weile haben: Also postet er am frühen Montagmorgen bei Facebook erst einmal nur ein Selfie vom Schnittplatz und stellt in Aussicht, dass sein Interview mit Bundeskanzlerin Angela Merkel „gegen 18.00 Uhr“ online gehen werde. Nichts zu spüren von der Hektik des Online-Journalismus, der Spirale der digitalen Beschleunigung. Aber dann ist da ja noch die Technik. Die macht dem entspannten Interviewer einen Strich durch die Rechnung und verschiebt den Upload um noch eine gute Stunde nach hinten.

Man muss halt Prioritäten setzen: Geführt hat er das Gespräch am Freitagnachmittag. Die Fragen hat er sich vorher unter dem Hashtag #netzfragt-merkel online zuschicken lassen. Am Sonnabend ruft er gegen 15 Uhr via Twitter das Wochenende aus, danach herrscht erst einmal Sendepause. Der Montag in LeFloids sozialen Netzwerken besteht nach der morgendlichen Interview-Ankündigung aus Kondolenz für den gestorbenen Nintendo-Chef, einem putzigen Katzenbild und einem Spiele-Video. Dazu muss man einkaufen gehen, kochen, „da geht schon Zeit bei drauf“, wie er bei Facebook schreibt.

Um 19.20 Uhr ist es dann tatsächlich doch noch so weit: Das 391. Video auf LeFloids Hauptkanal geht online. 30 Minuten, ein Sack voller Fragen aus dem Netz an die Frau, die sich 2013 mit sieben Wörtern online unsterblich machte – wenn auch auf wenig rühmliche Weise: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Zwei Jahre später hat sich die Kanzlerin so weit mit der Netzwelt angefreundet, dass sie einem der bekanntesten deutschen Gesichter dieser Netzwelt einen Gesprächstermin gewährt. Ob sie sich mit diesem aber viel beliebter bei der jüngeren Zielgruppe macht, die sie mit dem Interview erreichen möchte, ist schon nach dem ersten Fragekomplex mehr als fraglich: Das Gespräch ist im Rahmen des Bürgerdialogs „Gut leben in Deutschland“ geführt worden.

Und wie der YouTuber feststellt, gehört dazu für viele Menschen auch die feste Partnerschaft, die Ehe. Wie es denn mit der Ehe für alle aussehe, das sei eine der Fragen, die ihm am häufigsten mit auf den Weg ins Kanzleramt gegeben worden seien. Merkels Antwort: „Für mich persönlich ist die Ehe das Zusammenleben von Mann und Frau.“ Diskriminierung sei zwar ein Tabu, aber sie mache „eben an einer Stelle einen Unterschied“.

In dieser Antwort und auch in einigen der folgenden Fragen offenbart sich eine der Schwächen des Gesprächs: Es soll zum einen der große Rundumschlag werden durch alle Politikfelder, die die Menschen beschäftigen. Entsprechend bleibt kaum Zeit, um grundlegende Sachverhalte in der gebotenen Tiefe zu erörtern: Gleich- und Ungleichbehandlung, der Umgang mit Fremdenfeindlichkeit und der mit dem „Ausspähen unter Freunden“ – all das wird nur angerissen.

Zum anderen fragt LeFloid immer wieder nach den persönlichen Ansichten von Merkel. Mutmaßlich zu dem Zweck, die Kanzlerin zu der klaren Aussage zu bewegen, dass man dienstliche und persönliche Meinung auseinanderhalten müsse. Die kommt zwar wie bestellt: Doch dann fehlt das Nachhaken, der Rekurs auf die Aussage zur Ehe für alle, der sie aufgrund ihres persönlichen „Bauchgefühls“ eine Absage erteilt hatte.

Merkel wiederum weiß, dass sie, wenn nicht in jedem Themenfeld einen Wissens-, so doch insgesamt einen ausgeprägten Erfahrungsvorsprung hat: Die Gesprächssituation ist für sie Routine, für LeFloid hingegen – Neuland. Fragen zum NSA-Skandal und dem Freihandelsabkommen TTIP, zum Umgang mit Alltagsrassismus und dem eines durch 16 Bundesländer fragmentierten Bildungssystems hat sie schon ungezählte Male beantwortet.

So fällt dem Psychologiestudenten manchmal nicht viel mehr als ein „sehr cool“ ein, bevor er zum nächsten Thema überleitet. Und Fragen wie die danach, wie viel Kraft sie am Ende eines langen Tages noch habe, ob sie sich manchmal nicht einen freien Tag wünsche, sind für den Politprofi Merkel Elfmeter, ohne dass ein Torwart zwischen den Pfosten steht.

Wobei, andererseits vielleicht auch nicht. Dass die Kanzlerin das halbstündige Gespräch über weite Strecken dazu genutzt hat, Altbekanntes zu wiederholen, das ist auch den Abonnenten aufgefallen, wie sich schon kurz nach dem lang erwarteten Upload zeigt. Da wird LeFloid überwiegend gelobt. Und der Kanzlerin bescheinigt, dass sie zwar eine famose Selbstdarstellerin sei. Aber eben auch, dass ebendiese Verhaltensweise der „jungen Kundschaft“ (wie Merkel sie nennt) des YouTube-Stars auffällt.

Letztlich hat sich LeFloid ein wenig überhoben mit dem großen Sommer-Interview. Aber deutlich weniger, als man das befürchtet hatte. Das Warten darauf, dass LeFloid sein Wochenende genossen, alle Katzenbilder gepostet und alle Einkäufe erledigt hatte, es hat sich dann doch gelohnt. Und rechtzeitig zur „Tagesschau“ konnte man umschalten vom neuen zum alten Informationsmedium, von YouTube zur ARD.

Das Video sehen Sie hier