Widerstand gegen Merkels Atompolitik wächst. Auch der CDU-Wirtschaftsflügel fordert unbegrenzte Laufzeiten und niedrige Abgaben.

Hamburg. Gerade erst zurückgekehrt aus der Sommerpause, muss sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erneut einem sich anbahnenden Streit in den eigenen Reihen stellen. Stein des Anstoßes sind die Forderungen aus der Industrie, die Laufzeiten der Atomkraftwerke deutlich zu verlängern und die finanziellen Belastungen für die Energiekonzerne bei einem längeren Betrieb so gering wie möglich zu halten.

Obwohl die Bundeskanzlerin betont hat, erst Ende September ein vollständiges Energiekonzept vorlegen zu wollen, gehen nun auch Vertreter des Wirtschaftsflügels der Union in die Offensive für deutlich längere Laufzeiten.

Michael Fuchs, stellvertretender Chef der Unionsbundestagsfraktion , sagte dem Hamburger Abendblatt: "Ich bin der Meinung, dass die Kernkraftwerke grundsätzlich so lange laufen können, solange sie noch sicher sind, ansonsten müssen sie abgeschaltet werden." Über die Länge der Laufzeiten werde dann im Rahmen des Energiekonzeptes entschieden.

Die Atomkraft sei zwar eine Brückentechnologie, aber "das Problem ist, dass Technologien zur Stromspeicherung und intelligente Netze, die wir zur Integration der erneuerbaren Energien benötigen, kurzfristig nicht zur Verfügung stehen werden". Zugleich drängte Fuchs auf eine schnelle Entscheidung. "Die Energieversorger brauchen nun endlich Planungssicherheit, und wir von Union und FDP machen beim Thema Laufzeiten für meinen Geschmack schon zu lange rum." Fuchs forderte: "Nach zehn Monaten an der Regierung brauchen wir jetzt endlich Klarheit."

Josef Schlarmann, der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung, forderte sogar, die Option zum Bau neuer Atomkraftwerke offenzuhalten. "Es muss auch die Option geben, in Deutschland neue Atomkraftwerke zu bauen", sagte er der "Rheinischen Post". Auch Schlarmann will die Anlagen so lange laufen lassen, wie sie sicher seien. Dagegen spricht sich ein Gutachten des Innen- und des Justizministeriums dafür aus, die Laufzeiten um maximal zehn Jahre auszudehnen. Ansonsten müsse der Bundesrat zustimmen, in dem Schwarz-Gelb aber nicht über die nötige Mehrheit verfügt. Auch Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat sich für eine "moderate und überschaubare" Verlängerung ausgesprochen.

Die Forderungen von Fuchs und Schlarmann decken sich weitgehend mit denen der Energiebranche. So drang gestern der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Werner Schnappauf, auf die Abkehr vom unter Rot-Grün beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie. In der ARD sagte Schnappauf, diese "künstliche Verkürzung der Laufzeiten" müsse wieder zurückgenommen werden. Maßstab für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke müsse ihre Sicherheit sein. Konkrete Laufzeiten nannte Schnappauf nicht.

Am Montag hatten die Chefs der vier großen deutschen Energieversorger in der "Bild"-Zeitung eine Laufzeitverlängerung um "eine satte zweistellige Zahl zusätzlicher Jahre, mindestens aber 15 Jahre" gefordert. Der "Spiegel" berichtete, die Atombranche drohe außerdem damit, ihre Atomreaktoren sofort vom Netz zu nehmen, wenn die Brennelementesteuer käme. Überlegungen der Bundesregierung zufolge könnte der Staat mit einer solchen Steuer ab dem kommenden Jahr jährlich 2,3 Milliarden einnehmen. Die Energieversorger bevorzugen einen Fonds, in den sie einen Teil ihrer zusätzlichen Gewinne einzahlen würden.

Mit ihrem Vorpreschen hatten die Konzerne auch innerhalb der Regierungskoalition Kritik geerntet. Über ihren Regierungssprecher Steffen Seibert ließ Merkel erklären, bei laufenden Verhandlungen mit "Drohungen oder Säbelrasseln" zu arbeiten sei nicht sinnvoll. Kritik am Verhalten der Energiekonzerne äußerte der umweltpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Kauch. Die Unternehmen täten sich keinen Gefallen, sagte er dem NDR. "Das ist Theaterdonner, mit dem man möglichst wenig Geld an den Staat abliefern will."

SPD und Grüne fordern dagegen von der Bundesregierung den Abbruch der Gespräche mit den Energiekonzernen. Es gebe keinen Grund, mit den AKW-Betreibern über die geplante Brennelementesteuer zu verhandeln, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Er forderte Merkel auf, sie solle die Verhandlungen mit den Energiekonzernen "sofort abbrechen". Grünen-Fraktionsvize Fritz Kuhn sagte: "Mit Erpressern schließt man keine Verträge."