Der Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur warnt vor den Drohungen der Konzerne, Atomkraftwerke abzuschalten.

Hamburg. Ob es ein Zeichen sein soll? Frisch zurückgekehrt aus dem Urlaub, startet Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) morgen eine "Energiereise" zu Standorten in Deutschland. Ihre ersten Stationen sind ein Windpark bei Bad Doberan und die Rostocker Fabrik des Norderstedter Windturbinenherstellers Nordex.

Die Atomkraft kommt erst am Donnerstag nächster Woche dran, bei einem Besuch Merkels im Atomkraftwerk Emsland im niedersächsischen Lingen. Dort trifft die Kanzlerin dann auch die Chefs der beiden Energiekonzerne RWE und E.on, Jürgen Großmann und Johannes Teyssen. In einem gemeinsamen "Bild "-Interview mit den Chefs von Vattenfall Europe und Energie Baden-Württemberg (EnBW) präsentierten die Strombosse der Regierung gestern ihre Forderungen: keine Steuer auf Brennelemente und "mindestens 15 Jahre" längere Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke . Nur dann seien diese ein "tragfähiger Brückenpfeiler" für die künftige Stromversorgung.

Der Streit um die Zukunft der Atomkraft in Deutschland nimmt wieder wilde Züge an, fast so wie vor zehn Jahren, als die rot-grüne Bundesregierung mit den Stromkonzernen über den Atomausstieg rang. Der wurde im Jahr 2000 besiegelt. Doch Angela Merkel und die Union wie auch die FDP betonten stets, dass sie den Ausstieg kippen würden, sobald sie die politische Mehrheit dafür bekämen. Seit Ende 2009 regiert in Berlin Schwarz-Gelb, und jetzt muss die Koalition liefern. Das allerdings erscheint schwieriger als gedacht: Eine mögliche - und wahrscheinliche - Verlängerung der Laufzeiten bringt SPD und Grünen in der Opposition starken Auftrieb. Sie lehnen die Revision des Ausstiegs ab. Und auch die Union selbst ist tief gespalten: Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) will längere Laufzeiten von unter zehn Jahren, die Schwesterpartei CSU möglichst gar keine politisch definierten Fristen.

Gegen die geplante Steuer auf nukleare Brennelemente wiederum, den Kraftstoff für die Atomkraftwerke, stemmen sich die Stromkonzerne mit aller Macht. Bei Gesprächen mit den Bundesministerien haben sie offenbar gedroht, eine Reihe von Reaktoren in Deutschland noch vor den gesetzten Fristen des Atomausstiegs abzuschalten und Strom bei Bedarf verstärkt zu importieren. Merkels neuer Regierungssprecher, der frühere ZDF-Journalist Steffen Seibert, bestätigte den Erpressungsversuch bei seinem ersten Auftritt gestern in Berlin indirekt: Es sei "nicht hilfreich", wenn während der laufenden Gespräche "irgendwelche Drohgebärden nach außen dringen", sagte er.

Die Grünen wie auch Umweltorganisationen reagierten mit Freude und Häme auf die inoffizielle Ankündigung der Stromkonzerne zu einem vorgezogenen Atomausstieg: "Wenn die Atomlobby die ältesten Schrottmeiler abschalten möchte, ist sie herzlich dazu eingeladen, dies zu tun", sagte der Kovorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, gestern. Sollte sich die Bundesregierung aber "erpressen lassen", müsse sie klar sagen, dass nicht im Kanzleramt und am Kabinettstisch regiert werde, sondern bei den Konzernen.

Der Geschäftsführer der teilweise bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena), Stephan Kohler, warnte unterdessen vor den Drohungen der Konzerne. "Das ist keine ganz triviale Situation", sagte Kohler dem Abendblatt. "Seit der gesellschaftsrechtlichen Trennung der einzelnen Sparten in den Stromkonzernen - dem sogenannten Unbundling nach den Vorgaben der Europäischen Union - sind die Unternehmen in Deutschland nicht mehr verpflichtet, ihre Kraftwerke zu betreiben. Die alte Versorgungspflicht ist weg." Den Unternehmen stünde es daher frei, Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen, wenn sie deren Betrieb nicht mehr als wirtschaftlich erachteten.

Einen Ausgleich vorzeitig stillgelegter Reaktoren durch Stromimporte hält Kohler für unrealistisch. "Im Sommer mag das gehen, im Winter aber nicht", sagte er. Frankreich etwa, das oft Strom nach Deutschland exportiere, benötige diesen im Winter zum Betrieb der zahlreichen Elektroheizungen im Land selbst. Kohler plädierte dafür, den Atomausstieg wie im Gesetz vorgesehen bis um das Jahr 2022 herum zu vollziehen: "Bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts werden die noch laufenden Atomreaktoren zu ersetzen sein - durch Effizienzgewinne bei der Stromnutzung, durch erneuerbare Energien und durch den Zubau hoch effizienter und flexibler Erdgaskraftwerke."

Bis Ende September will die Bundesregierung ein Konzept für die künftige Energieversorgung in Deutschland vorlegen. Geplant sind neun verschiedene Szenarien als Diskussionsgrundlage. Dena-Chef Kohler plädierte dafür, allen beteiligten Unternehmen bald Investitionssicherheit zu verschaffen: "Wenn ein Konzept vorliegt, ist es ja noch längst nicht beschlossen", sagte er.