Bundestag verabschiedet das Gesetz der Großen Koalition. Gabriel freut sich über einen „historischen Tag“, Nahles spricht von einem „Meilenstein in der Arbeits- und Sozialpolitik“.
Berlin. Nach monatelangen zähen Verhandlungen in der Großen Koalition ist die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns beschlossene Sache. Der Bundestag stimmte am Donnerstag mit großer Mehrheit der Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde zu. Rund vier Millionen Menschen sollen laut Arbeitsministerium direkt vom Mindestlohn profitieren.
Damit wollen die Regierungsparteien eine Wende in der Arbeitsmarktpolitik einläuten. Teile der Opposition im Bundestag und Gewerkschaften kritisieren die zahlreichen Ausnahmen unter anderem für Praktikanten, Langzeitarbeitslose, Erntehelfer oder Zeitungsboten (siehe unten).
In der namentlichen Abstimmung im Bundestag votierten 535 Abgeordnete für den Gesetzentwurf, fünf CDU-Abgeordnete stimmten dagegen. Neben der Agrarpolitikerin Gitta Connemann aus Niedersachsen stimmten die ostdeutschen Parlamentarier Thomas Feist, Andreas Lämmel, Katharina Landgraf und Jana Schimke mit Nein. 61 Abgeordnete enthielten sich. Vom 1. Januar 2015 an gilt der Mindestlohn für alle Branchen und alle Arbeitnehmer ab 18 Jahren.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sprach von einem „Meilenstein in der Arbeits- und Sozialpolitik“. Das Gesetzespaket sei von herausragender Bedeutung für Millionen Arbeitnehmer, die endlich einen anständigen Lohn bekommen würden. Nahles bekräftigte, dass beim Mindestlohn keine Branche ausgenommen werde. Nur für junge Leute unter 18 Jahren gelte die Lohnuntergrenze nicht. Dadurch solle verhindert werden, dass sie sich gegen eine Ausbildung und für einen Job entscheiden, nur weil sie dort mehr verdienen.
Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) rechnet damit, dass der Mindestlohn die Lebenssituation vieler Familien verbessert. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sprach von einem „historischen Tag für Deutschland“. Gabriel sagte am Rande der Abstimmung: „Rückblickend wird diese Entscheidung als großer sozialer Fortschritt bewertet werden. Viel zu lange wurden Tarifverträge, faire Löhne, Mitbestimmung und Gewerkschaften bekämpft. Der heutige Tag ist ein Wendepunkt in dieser Entwicklung.“
Der arbeits- und sozialpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Karl Schiewerling (CDU), hob die Bedeutung der Mindestlohnkommission hervor. Sie soll künftig über die Höhe der Lohnuntergrenze entscheiden. „Der Mindestlohn per Parlamentsabstimmung wird jetzt einmalig und letztmalig erfolgen“, erklärte der CDU-Politiker.
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) bezeichnete das Gesetz als Erfolg für den Schutz von Arbeitnehmern vor Niedriglöhnen. Er begrüßte zudem die Sondervereinbarungen für Erntehelfer. Generelle Ausnahmen für sie lehnte er jedoch ab. „Den Mindestlohn für Erntehelfer zu begrenzen, wäre eine rechtlich nicht haltbare Diskriminierung“, erklärte Schmidt.
Opposition kritisiert Entscheidung scharf
Scharfe Kritik an den Vereinbarungen kam von der Opposition. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion, Klaus Ernst, rügte, dass Minderjährige nicht vom Mindestlohn profitieren sollen. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Brigitte Pothmer, bezeichnete die Langzeitarbeitslosen als „Bauernopfer“ bei den Sonderregeln. Sie haben in den ersten sechs Monaten einer Beschäftigung kein Anrecht auf den Mindestlohn. Dadurch würden über eine Million Menschen stigmatisiert, beklagte Pothmer.
Aus Sicht von Ver.di-Chef Frank Bsirske wird der Mindestlohn durch die Sonderregeln „amputiert“. Er kritisierte vor allem die Übergangsfristen für Zeitungsboten ohne Tarifvertrag. Nach Einschätzung des DGB Nord werden Frauen am stärksten profitieren. „Hauptgewinner des neuen Mindestlohns sind die Arbeitnehmerinnen, denn im Lohnkeller schuften vor allem Frauen“, sagte DGB-Nord-Chef Uwe Polkaehn.
Arbeitsministerin Nahles bestätigte das Vorhaben, rund 1600 neue Zollbeamte einzustellen, die die Einhaltung der Lohnuntergrenze überprüfen sollen. Mit der Kontrolle werde ein fairer Wettbewerb ermöglicht. Die Caritas begrüßte die Prüfungen, forderte jedoch ein Umdenken, was den Wert der Arbeit angeht. Das Hilfswerk rechnet mit einem Anstieg der Schwarzarbeit.
Am Freitag kommender Woche will sich auch der Bundesrat mit dem Gesetz befassen. Nachdem Andrea Nahles’ Entwurf bereits im Bundestag die Zustimmung der Grünen bekam, wird erwartet, dass er in der Länderkammer eine Mehrheit erhält.
(epd/dpa)