Die schwarz-rote Koalition spendiert, reguliert, verteilt um. Doch sie regiert nicht nachhaltig

Eines kann man dieser Großen Koalition, die seit einem guten halben Jahr regiert, sicherlich nicht vorwerfen: nämlich Untätigkeit. Das Tempo, das Union und SPD bei ihren Reformen vorlegen, ist atemberaubend. Leider könnte es der deutschen Wirtschaft mittelfristig auch die Luft rauben: Der Markt wird zurückgedrängt, der Staat stark und stärker. Denn egal ob bei der Mietpreisbremse, dem Rentenpaket, beim gestern beschlossenen Mindestlohn oder der Pflegereform, diese Große Koalition ist vor allem groß im Regulieren und Geldausgeben.

Schlimmer noch: Das Geldausgeben ist ihr stabilisierendes Element, inhaltliche Differenzen werden am Kabinettstisch durch ein „Wünsch-dirwas“ überbrückt: Vor der Wahl forderte die SPD die Rente mit 63, die CDU die Mütterrente. Nach der Wahl kommt zur Beglückung der Wähler einfach beides, das teuerste Rentenreformpaket seit Adenauers Zeiten. Ob die Kosten bis 2030 auf 160 Milliarden Euro oder 233 Milliarden Euro steigen, ist dabei schon fast nebensächlich. Gerade die Rente mit 63 nützt einer Generation und lässt die Jungen, aber auch die heutigen Rentner dafür zahlen. Ausgerechnet die beiden Großparteien, die stets das Begriffspaar „soziale Gerechtigkeit“ im Mund führen, winken gegen den Rat der Experten ein höchst unsoziales Rentenpaket durch. Das nächste teure Reformpaket hat das Bundeskabinett schon passiert – die Pflegereform, die Leistungen ausweiten und den Beitragssatz treiben wird.

In Anbetracht dieser Wohltaten nimmt sich das Mindestlohngesetz fast bescheiden aus. Ökonomisch ist es zwar umstritten, politisch aber als Konsequenz auf skandalöse Niedriglöhne verständlich. Welche Folgen es zeitigt, steht noch dahin: Eine große Mehrheit der Deutschen spricht sich für den Mindestlohn aus; die Nagelprobe aber kommt, wenn ein Besuch beim Friseur, ein Glas Bier in der Kneipe oder ein Pfund Kirschen auf dem Markt teurer werden. Es hängt von uns allen ab, ob der Mindestlohn Arbeit fair bezahlt – oder am Ende Jobs vernichtet, weil die Deutschen in die Schattenwirtschaft flüchten oder zu Billigprodukten aus dem Ausland.

Über Gefahren oder Folgekosten aber wird zu wenig diskutiert, es geht nicht darum, ein Gesetz gut zu machen, sondern es gut zu meinen. Es zeigt, wie sehr sich dieses Land verändert hat: Zu den Zeiten der großen Reformdebatten wurde Gerhard Schröder für die Agenda 2010 vor allem dafür kritisiert, nicht weit genug zu gehen. Wirtschaftsweise und Industrievertreter waren damals die Meinungsführer in der öffentlichen Debatte. Gut zehn Jahre danach sind sie zu Exoten geworden in einem Staat, der Reformen nur noch als Umverteilung versteht und in dem Gewerkschafter und Sozialverbände den Ton angeben. Über allem regiert eine Kanzlerin, die diesen Wandel nicht nur begleitet, sondern sogar befeuert hat. Noch auf dem Leipziger Parteitag der Union 2003 gab sie als Oppositionsführerin der CDU ein radikal-liberales Profil, das heute nicht einmal mehr die FDP wagen würde. Elf Jahre später regiert sie als Kanzlerin wie eine Parteifreundin von Andrea Nahles.

Bei so viel Einigkeit, Eifer und Großzügigkeit gehen die Koalitionäre gut gelaunt in die Sommerpause. Die Frage ist nur, wie entspannt sie durch das Sommermonate kommen: Die Zeit der Wohltaten zugunsten der eigenen Klientel geht zu Ende, das konjunkturelle Sommerhoch wird nicht ewig halten. Auch die Euro-Krise ist nicht gelöst, sondern nur geschickt kaschiert. Das Regieren in Berlin wird bald schwieriger werden. Die Party ist vorbei, der Kater könnte schneller kommen als geglaubt.

Zynischerweise liegt genau hier die Chance, dass die Große Koalition doch noch die Kurve bekommt: Bündnisse von Union und SPD sind schlecht in guten Zeiten; in schlechten Zeiten waren sie oft eine gute Lösung.