Bundeskanzlerin verteidigt Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit den USA. Auftritt war von lautstarken Protesten begleitet. Anwälte demonstrieren gegen „Totalüberwachung“.

Hamburg. Das war kein Heimspiel in ihrer Heimatstadt: Der Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Woche vor der Europawahl am 25.Mai auf dem St.-Pauli-Fischmarkt war von lautstarken Protesten begleitet. „Schön wäre ja, wenn wir ein bisschen aufeinander hören würden“, sagte Merkel zu Beginn ihrer rund 20-minütigen Rede noch hoffnungsvoll in Richtung der Demonstranten. Doch die Sprechchöre, mit denen der Stopp der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA gefordert wurde, rissen nicht ab. Die Kanzlerin änderte spontan ihre Rede und setzte sich mit den Kritikern der Verhandlungen auseinander.

„Deutschland hat solche Abkommen mit vielen anderen Ländern. Jedes Mal hat das ein Mehr an Umwelt- und Verbraucherschutz gebracht“, sagt Merkel vor der sonnenbeschienenen Kulisse des Hafens am Sonnabendnachmittag. Gut 500 Zuschauer waren gekommen, viele von ihnen trugen Strohhüte in der CDU-Farbe Orange. Mindestens ebenso viele Demonstranten hatten sich dahinter aufgebaut: Sie hielten schwarze Schilder mit dem Slogan „Stoppen Sie TTIP!“ hoch. Über der Szenerie kreiste zeitweise ein Flugzeug mit dem Spruchband „Totalüberwachung – www.stop-prism.de“.

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“Und wir wollen, dass auch das Thema Datenschutz eingearbeitet wird. Das ist der Auftrag der EU-Staaten“, sagte Merkel, und da wurden die Proteste besonders laut. Die Demonstranten sind wegen der Affäre um den US-Geheimdienst NSA gegen das TTIP. Auch Merkels Handy war vom US-Geheimdienst abgehört worden. „Ohne Verhandlungen erreichen Sie gar nichts. Ich möchte auch nicht, dass andere über uns sagen: Früher haben sie verhandelt, aber heute schreien sie nur noch!“, sagte die Kanzlerin. Das sorgte für kräftigen Beifall jedenfalls bei den freundlich gesonnenen Zuhörern. Bisher scheiterten jedoch alle Dialoge über ein Abkommen gegen Spionage.

Es bringe auch nichts, so Merkel, Details aus den laufenden Verhandlungen mit den USA bekannt zu machen. „Wenn man vertrauensvoll verhandelt, bekommt man bessere Ergebnisse“, sagte Merkel und verwies auf Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Die Stimmung blieb kritisch. „Haut ab“, „Lügner“, riefen Demonstranten. Die Aktionen waren friedlich.

Eine Gruppe von Rechtsanwälten protestierte in ihren schwarzen Roben gegen die Überwachung durch den US-Geheimdienst unter dem Motto „NSA ist Stasi 2.0“. An der Aktion beteiligten sich der frühere FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen und der FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Wieland Schinnenburg.

Doch die CDU-Politikerin vergaß nicht, weswegen sie gekommen war. „Egal, ob Sie Bedenken haben, was das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika angeht oder nicht, auf jeden Fall ist es wichtig, an der Abstimmung über Europa teilzunehmen“, rief die Kanzlerin allen Zuhörern zu. Gerade Hamburg habe seinen Wohlstand Europa zu verdanken. Es sei unter anderem sehr wichtig, dass die Elbe ausgebaggert werde, „damit der große Hafen auch in Zukunft gut erreichbar ist“, so Merkel. „Wenn die großen Schiffe nur noch Rotterdam anlaufen können, finde ich das traurig.“

Als die Pfiffe auch an dieser Stelle nicht nachließen, setzte Merkel nach. „Das war jetzt ein Test: Freunde des Hamburger Hafens sollten Sie jedenfalls sein. Aber das scheint auch nicht der Fall zu sein. Und das ist ziemlich dumm“, sagte die Kanzlerin. „Wir brauchen Europa, damit wir die deutschen Arbeitsplätze sichern können und gemeinsam stärker sind“, sagte Merkel. Deutschland allein stelle gerade einmal ein Prozent der Weltbevölkerung.

„Wir haben jahrzehntelangen Frieden in Europa dank der EU“, sagte die Kanzlerin. Man müsse nur an die Ränder Europas schauen, um zu sehen, dass Frieden und Freiheit nicht selbstverständlich seien. Merkel erwähnte Weißrussland, die Ukraine, die Türkei, Syrien und Ägypten. Der Konflikt mit Russland werde „nicht militärisch ausgetragen wie vor 100 Jahren“. Heute würden Gespräche geführt. „Das ist das 21. Jahrhundert“, sagte Merkel.

Wer noch überlege, ob er zur Europawahl gehe, solle an seine eigene Familie denken. „Denken Sie daran, was Ihre Väter und Großväter zum Teil erdulden mussten, wenn sie ihre Meinung sagten.“ Heute müssten alle dafür „Sorge tragen, dass auch unsere Kinder und Enkel in Frieden leben können“.

Zum Auftakt des Auftritts hatte CDU-Europaspitzenkandidat David McAllister für eine Politik „für Wohlstand und Beschäftigung“ geworben. Jeder EU-Staat müsse für seine eigenen Schulden haften. „Wir sagen Nein zur europäischen Schuldenunion.“ Darin grenzten sich die Konservativen von der SPD ab. „Wir sind gegen die europaweite Sozialisierung der Schulden“, sagte McAllister unter Beifall.

Gleich nach ihrer Ankunft hatte die Kanzlerin, die in Hamburg geboren wurde, bei den Zuhörern punkten können. Zwar bekannte sie, keine Heimatgefühle zu haben, da sie nur die ersten sechs Wochen ihres Lebens hier verbracht habe. „Aber ich drücke dem HSV die Daumen. Wer in Hamburg geboren ist, der muss dem HSV die Daumen drücken.“