Nach dem Rücktritt von Minister Friedrich (CSU) wächst der Druck auf die SPD. Die Union ist empört über deren Fraktionschef Oppermann

Berlin/München. Nach dem Rücktritt von Agrarminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist das Klima in der Großen Koalition im Keller. Die CSU findet, dass Friedrich einen Opfergang für die SPD in der Affäre um deren unter Kinderporno-Verdacht stehenden ehemaligen Abgeordneten Sebastian Edathy angetreten hat. Jetzt müsse auch die SPD büßen, heißt es in der Union. Wer stürzt als Nächstes? In der Großen Koalition herrscht ein großes Hauen und Stechen.

Manche Politiker müssen sich nach ihrem Rücktritt in Schimpf und Schande zurückziehen. Nicht so Hans-Peter Friedrich. Beim kleinen CSU-Parteitag in Bamberg wird der gestürzte Bundesagrarminister so hochachtungsvoll begrüßt wie mutmaßlich nie zuvor in seiner Laufbahn: Die gut 200 Delegierten erheben sich zu seinen Ehren von den Plätzen. „Du hast die Solidarität der gesamten Partei“, sagt Parteichef Horst Seehofer, der noch nie viel von Friedrich hielt. Doch dieser hat nach seinem Sturz in der CSU den Status eines Märtyrers erlangt. Und die Große Koalition hat ein Problem, denn Seehofer und viele andere in der CSU sind tief verärgert über das Vorgehen der SPD-Spitzen – und fordern Konsequenzen.

Denn Friedrich hat den Sozialdemokraten einen Gefallen getan, weil er deren Chef Sigmar Gabriel im Oktober 2013 darüber informierte, dass der SPD-Politiker Edathy auf einer „Liste mit irgendwelchem unangenehmen Zeug“ auftauchte, wie Friedrich es formuliert. „So Fotos“, politisch relevant, nicht strafrechtlich relevant. „Keine Kinderpornografie.“

Damit ersparte Friedrich – damals noch Innenminister – der SPD die Peinlichkeit, den wegen seiner Arbeit als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags damals hoch gehandelten Edathy ins Bundeskabinett zu befördern, bevor die Sache mit den Fotos von nackten Jungs ruchbar wurde. Die Folgen für die SPD wären mutmaßlich noch weit unangenehmer gewesen.

Nun ist es aber Friedrich, der anstelle eines möglichen SPD-Kabinettsmitglieds Edathy sein Amt verloren hat. Denn der CSU-Mann ist in den Ruch des Geheimnisverrats geraten. Staatsanwälte prüfen, ob sie deswegen ein Ermittlungsverfahren gegen ihn einleiten.

Friedrichs gut gemeinte, aber juristisch fragwürdige Tat machte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in der vergangenen Woche öffentlich. Ein klarer Fall von Vertrauensbruch durch den Sozialdemokraten, finden viele CSU-Politiker auf dem Parteitag – auch Seehofer: „Es ist hochproblematisch, wenn man die Vertraulichkeit des Wortes, um die Hans-Peter Friedrich gebeten hatte, bricht.“ Es könne nicht angehen, dass nur Friedrich und die CSU für die Affäre geradestehen müssten, meinen viele Delegierte.

Seehofer schimpft über die „Geschwätzigkeit“ der SPD und fordert mit ultimativem Ton Aufklärung noch am Wochenende. Die Fragen, die er beantwortet haben will, nennt nicht Seehofer. Das übernehmen die Delegierten am Rande: Wieso informierte Gabriel weitere SPD-Politiker? Wurde Edathy von der SPD-Spitze gewarnt, dass die Staatsanwaltschaft Hannover auf ihn aufmerksam geworden war? Warum kontaktierte Fraktionschef Oppermann damals im Herbst den Präsidenten des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke?

„Die haben einige Fragen zu klären, auf der rechtlichen Ebene, auf der politischen Ebene, auf der menschlichen Ebene“, sagt CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Rufe nach Oppermanns Rücktritt werden laut. „Er muss die Konsequenzen ziehen“, sagt der bayerische Vorsitzende der Jungen Union, Hans Reichhart. Der oberfränkische JU-Bezirksvorsitzende Jonas Geissler verlangt sogar zwei Rücktritte: Neben Oppermann soll auch SPD-Chef Gabriel seinen Hut nehmen. Doch die CSU-Spitze sucht derzeit den kontrollierten Konflikt, nicht die ungebremste Eskalation: Von den Parteioberen kommen in Bamberg keine Rücktrittsforderungen an Oppermanns Adresse.

Die Sozialdemokraten bemühen sich nach Kräften, dem Groll zu entgehen. Gabriel verkündet wiederholt sein Bedauern über Friedrichs Rücktritt. Koalitionsstimmung getrübt? Nein. Personelle Konsequenzen? Schließt er aus. Oppermann betont, er habe Friedrich vorher über seine Erklärung informiert, wie er der „Süddeutschen Zeitung“ sagt. Und SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi möchte die Affäre kurzerhand abmoderieren. „Zur Rolle der SPD ist alles gesagt“, findet sie. Die CSU sieht das aber anders.

Auch in der CDU herrscht Unmut. Das Klima sei stark belastet, klagt der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. „Die SPD legt sich jetzt in eine Ackerfurche und hofft, dass der Wind über sie hinwegweht.“ Linke, Grüne und FDP machen ebenfalls Druck. Für sie ist die Affäre durch Friedrichs Rücktritt noch lange nicht beendet. Die FDP meint, die Staatsanwaltschaft müsse auch gegen Oppermann und Ziercke ermitteln. Die Grünen fordern Aufklärung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Linke bringt einen Untersuchungsausschuss ins Gespräch.

Gut acht Wochen ist die schwarz-rote Koalition erst im Amt. Und schon die erste große Krise. Die CSU hat nun eine Rechnung offen mit der SPD. Misstrauen spaltet die Partner. Am Dienstag kommen die Spitzen von Union und SPD zum ersten Koalitionsausschuss zusammen. Das Treffen dürfte unbequem werden – vor allem für die SPD.