Viele Staaten kämpften gegen manipuliertes Saatgut, doch im EU-Ministerrat verfehlten Kritiker die Mehrheit. Umweltschützer entsetzt.

Sie nahm einen langen Anlauf, um auf europäischen Äckern wachsen zu dürfen, jetzt steht dem Anbau der gentechnisch veränderten Maissorte TC1507 nichts mehr im Wege. Zwar sprachen sich bei einem Treffen der EU-Europaminister am Dienstag in Brüssel 19 der 28 Teilnehmer gegen die Genehmigung aus. Allerdings kam dabei nicht die nötige Stimmenzahl für eine Ablehnung zusammen. Damit liegt die Entscheidung bei der EU-Kommission – sie hat ihre Zustimmung bereits angekündigt. 2013 hatten die US-Unternehmen Dupont Pioneer und Mycogen Seeds gegen die Kommission wegen unbegründeter Verzögerung der Zulassung geklagt. Ihr Antrag datiert bereits aus März 2001.

Nach 13 Jahren Streit wird dem genmanipulierten Mais nun der Weg nach Europa gebahnt. Die Pflanze bringt zwei künstlich ins Erbgut implantierte Eigenschaften mit und wird damit resistent gegen bestimmte Pflanzenschutzmittel und Mottenlarven. So wehrt sie sich gegen einen ihrer ärgsten Schädlinge, den Maiszünsler mit einem selbst produzierten Gift, einem Bt-Gift. Das zweite Gentechpäckchen macht den Mais widerstandsfähig gegenüber dem Unkrautvernichter Glufosinat. Zur Verwendung als Lebens- und Futtermittel ist er bereits erlaubt.

Kritiker sehen beim Anbau Gefahren für die Umwelt und die Vielfalt der Natur. Mögliche Umweltrisiken des Bt-Gifts seien von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nicht ausreichend geprüft worden, beanstandet zum Beispiel der Verein Testbiotech, der der Gentechnik kritisch gegenübersteht. Der Naturschutzbund Deutschland warnt dagegen vor dem Breitbandherbizid Glufosinat, das zur Gruppe der besonders gefährlichen Pestizide gehöre.

Diese und weitere Aspekte wurden über ein Jahrzehnt lang abgewogen – mit dem Ergebnis, dass die EU-Kommission nun eine Zulassung befürwortet, diese allerdings an Bedingungen knüpft. So sollen Bauern, die TC1507 aussäen, auf 20 Prozent ihrer Fläche eine konventionelle Sorte anbauen. Diese sogenannten Refugienflächen sollten den Genmais möglichst umgeben und haben zwei Funktionen. Zum einen sollen sie verhindern, dass die Maiszünsler und vier weitere schädliche Schmetterlingsarten resistent gegen das Bt-Gift werden. Denn wenn auf einem Teil der Fläche – in den Refugien – nichtresistente Artgenossen überleben, bremsen diese eine möglicherweise auftretende Resistenz. Zum anderen soll der Schutzgürtel die Gentechfläche nützliche Schmetterlinge und andere Insekten abschirmen.

Die zweite gentechnische Eigenschaft der Maissorte läuft in Europa ins Leere: Das Herbizid Glufosinat darf in der EU nur punktuell, nicht aber flächenhaft angewendet werden und ist deshalb für Maisfelder (und im gesamten Ackerbau) tabu.

TC1507 wird der zweite Gentechnikmais werden, der in Europa zugelassen ist. Bereits 1998 wurde der Anbau der Sorte MON810 des US-Herstellers Monsanto genehmigt, seitdem breitet er sich vor allem in Spanien aus (s. Grafik). Dort hat die Gentechvariante einen Anteil von mehr als 30 Prozent am Maisanbau. Auch diese Maissorte kann Bt-Gift produzieren und sich damit gegen den Maiszünsler wehren, der im milden Klima Südeuropas zwei Schmetterlingsgenerationen pro Jahr hervorbringen kann. Im kühleren Deutschland wird im Sommer nur eine Maiszünsler-Generation groß, doch auch hier ist die Motte der bedeutendste Maisschädling.

Dennoch ist der Genmais auf deutschen Äckern nicht zu finden: Hier herrscht seit 2009 ein nationales Anbauverbot für MON810. Danach wuchs der Mais nur auf kleinen Versuchsfeldern im Dienst der Wissenschaft. Inzwischen werden auch solche Freisetzungsversuche nicht mehr durchgeführt. Nachdem das deutsche Unternehmen BASF 2012 seine Gentechkartoffel Amflora vom europäischen Markt genommen hatte, ist das deutsche Ackerland frei von Gentechnik.

Bundeslandwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will auch den Genmais 1507 auf sämtlichen deutschen Feldern fernhalten. Damit hat er die Mehrheit der Deutschen hinter sich, die Umfragen zufolge Gentechnik in der Landwirtschaft zu 80 Prozent ablehnen. „Ich hoffe, dass es uns gelingt, mit einer Ausstiegsklausel den Anbau in Deutschland zu verhindern“, sagte Friedrich in Berlin.

Auch die Mehrheit der deutschen Flächenländer wollen keinen Genmais auf ihren Feldern. Das zeigte eine Umfrage der Deutschen Presseagentur zum Ministervorschlag, regionale Ausstiegsklauseln anzustreben. Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till Backhaus (SPD) betonte: „Ich bin strikt gegen eine Zulassung von genverändertem Mais.“ Schleswig-Holstein zeigte sich ebenfalls aufgeschlossen für eine solche Klausel: Sollte die Möglichkeit kommen, würde sie geprüft und wenn möglich umgesetzt, erklärte das Landwirtschaftsministerium.

Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Saarland forderten ein nationales Verbot für gentechnisch veränderte Sorten. Das baden-württembergische Ministerium betonte, man werde „alle rechtlich zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um einen Anbau von gentechnisch veränderten Organismen im Land zu verhindern“; ähnlich äußerten sich Hessen, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Thüringen und Bayern.

Weniger ablehnend zeigten sich Sachsen und Sachsen-Anhalt. Dessen Agrarminister Hermann Onko Aeikens (CDU) plädierte für eine bundeseinheitliche Regelung bei der Zulassung der Genmaissorte. Es dürfe keine Flickenteppichlösung geben. Grüne Gentechnik per se abzulehnen, sei der falsche Weg. Ein „ideologisches Nein“ sei keine Antwort. Befürworter argumentieren, dass gentechnisch veränderte Pflanzen dazu beitragen können, den Hunger auf der Welt zu bekämpfen – etwa durch besondere Widerstandsfähigkeit gegen Klimaveränderungen in ärmeren Ländern.

Hamburger Äcker bleiben ohnehin gentechnikfrei. Und gerade Mitte Januar hatte die Vorsitzende des Umweltausschusses der Bürgerschaft, die SPD-Abgeordnete Anne Krischok, angekündigt, der Senat wolle offiziell dem Netzwerk gentechnikfreier Regionen Europas beitreten.

Bei der Abstimmung am Dienstag ging es hoch her: „Das ist eine heiße Kartoffel“, sagte der zuständige EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg, ein Befürworter der neuen Maissorte. Zwar lehnten 19 der 28 Mitgliedsstaaten den Anbau von TC1507 ab, doch reichte das nicht aus, um die Zulassung durch eine qualifizierte Mehrheit zu blockieren. Großbritannien und Spanien waren für den Anbau, Deutschland enthielt sich.

Denn anders als die Ressorts Wirtschaft und Landwirtschaft befürworten das Gesundheits- und das Forschungsministerium die Zulassung – wenn sich die Bundesminister nicht einig sind, bleibt nur die Enthaltung. Allerdings betonte Friedrich: „Selbst wenn wir mit Nein gestimmt hätten, wäre keine qualifizierte Mehrheit gegen den Anbau zustande gekommen.“

Dass der Mais, der in der EU bereits für die Verarbeitung in Lebens- und Futtermitteln zugelassen ist, nun trotz mehrheitlicher Ablehnung zum Anbau zugelassen werden soll, sorgte in der Diskussionsrunde für heftige Kritik. Dies sei „dramatisch für die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union“, kritisierte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz. Mehrere Staaten warnten, dass die EU so kurz vor den Europawahlen im Mai ein schlechtes Bild abgebe und den Kritikern neue Munition liefere, denen die EU als zu kompliziert und bürgerfern gelte.

Wann die EU-Kommission nun offiziell grünes Licht für den Anbau der Maissorte geben wird, wollte Tonio Borg am Dienstag noch nicht sagen. Doch ist damit zu rechnen, dass der Mais nach der Zulassung wohl in Teilen Europas, vor allem in Spanien, angebaut werden wird.