Wettbewerbskommissar leitet Verfahren ein, weil energieintensive Betriebe von der Ökostrom-Umlage befreit sind. In Hamburg haben Almunias Pläne bereits Kritik ausgelöst.

Brüssel/Berlin. Einen Angriff auf Windräder und Solaranlagen wittern die einen, den Versuch einer Schwächung der deutschen Industrie die anderen: Wenn jedes der beiden Lager das nahe Ende der Welt heraufbeschwört, dann muss EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia einen empfindlichen Punkt getroffen haben. Er gab nun in Brüssel bekannt, dass er ein Verfahren gegen Deutschland einleiten werde, vor dem industrielle Energiekunden zittern: Almunia lässt untersuchen, ob die Bundesrepublik über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) unerlaubte Staatsbeihilfen verteilt.

Für den neuen Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) bedeutet das: Die übliche 100-Tage-Frist zur Einarbeitung entfällt. Almunia wirft Deutschland vor: Die Finanzierung der Energiewende durch den Verbraucher steht auf europarechtlich wackeligem Grund. Die Kommission hat Bedenken, dass Ausnahmen von der Ökostrom-Umlage nicht mit den Leitlinien übereinstimmen. Denn Unternehmen, die viel Energie verbrauchen, werden geschont. Für sie könnte das Verfahren teuer werden. Im ungünstigsten Fall droht die volle Belastung durch die EEG-Umlage, es könnten sogar Milliarden-Rückzahlungen fällig werden.

In Hamburg haben Almunias Pläne bereits Kritik ausgelöst. „Hamburger Industrieunternehmen mit hohen Strombedarfen, deren Zulieferer und weiterverarbeitende Betriebe sind in ihrer Existenz bedroht, falls die Regeln zur Kostenbegrenzung für die energieintensiven Betriebe in der jetzigen Form nicht mehr genehmigungsfähig sein sollten“, warnte Michael Westhagemann, Vorstandsvorsitzender des Industrieverbands Hamburg. Mindestens 5000 hoch qualifizierte Arbeits- und Ausbildungsplätze in Hamburger Industrieunternehmen hingen vom Ausgang der EU-Entscheidung ab. „Bereits die Androhung von Rückzahlungen und damit die Notwendigkeit von Rückstellungen bedeuten hohe Unsicherheiten für diese Unternehmen.“

Almunias Aufgabe in der Kommission ist es, Verzerrungen des europäischen Wettbewerbs zu untersuchen und schließlich zu bestrafen. Zwar ließ der Spanier sich darauf ein, das Verfahren erst jetzt, nach Bildung der deutschen Koalitionsregierung, zu eröffnen. Versuche, das Verfahren politisch zu verhindern, überhörte er jedoch. Die Bundesregierung hat einen Monat Zeit, um auf die Vorwürfe zu antworten.

Das deutsche Gesetz zur erneuerbaren Energie an sich hat die Kommission 2002 bereits einmal gutgeheißen und damals nicht als staatliche Beihilfe eingestuft. Nun konzentriert sich Almunia aber auf eine Änderung von 2012. Die damals in Berlin beschlossene Fassung des Gesetzes „beinhaltet eine Reihe neuer Elemente“, so seine Begründung: „Insbesondere gilt dies für die Einführung der EEG-Umlage, die Unterscheidung zwischen Endverbrauchern, die sie zahlen müssen, und privilegierten Verbrauchern, die von einer Kappung des Aufschlags profitieren.“

Letztere sind die Kunden aus energieintensiven Industrien, die eine Befreiung beantragen können, etwa Schwer- und Metallindustrie, Auto- und auch Zementhersteller. Laut Bundesverband der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) könnten die gesamten Nachlässe 2014 rund fünf Milliarden Euro betragen. Die Neuerungen seien jedenfalls „substanziell“ und rechtfertigten daher eine erneute Prüfung, schreibt Almunia, denn sie seien als neue Staatshilfen einzustufen.

Das sieht die Bundesregierung, auch die neue, anders. Darzulegen, warum weder die künstliche Verteuerung noch die nachgeordnete Vergünstigung für einige wenige Verbraucher eine Beihilfe darstellten, ist die juristische Abwehrstrategie. Das deutsche, formalistische, Argument, eine von Stromkunden finanzierte Umlage könne gar keine Beihilfe darstellen, lässt der Kommissar aber nicht gelten.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) appelliert an den Pragmatismus der Kommission und wünscht sich Rücksichtnahme auf deutsche Industrie – so viele erfolgreiche Volkswirtschaften habe Europa derzeit schließlich nicht, dass es sich leisten könne, eine davon zu schwächen. „Deutschland möchte ein starker Industriestandort bleiben, wir brauchen wettbewerbsfähige Unternehmen“, sagte sie in ihrer Regierungserklärung zum EU-Gipfel Ende dieser Woche. Dies werde sie gegenüber der EU-Kommission sehr deutlich machen, sie sei darin auch einig mit Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD). Europa werde nicht dadurch gestärkt, wenn in Deutschland Arbeitsplätze gefährdet würden.

Das EEG und seine Ausnahmen machten den Wettbewerb in der EU nicht unfair: „Solange es europäische Länder gibt, in denen der Industriestrom billiger ist als in Deutschland, kann ich nicht einsehen, warum wir zur Wettbewerbsverzerrung beitragen“, sagte sie. EU-Energiekommissar Günther Oettinger werde für den EU-Gipfel im Februar ein Papier erarbeiten, in dem „alle Subventionen, die in Europa gewährt werden für Strompreise, einmal aufgelistet werden“, sagte Merkel. „Das werden wir ganz genau überprüfen.“ Auch der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, hält das EEG für eine Be- und keine Entlastung: „Die aus dem EEG resultierenden Kosten von inzwischen über 23 Milliarden Euro jährlich sind eine Sonderlast für die deutschen Stromverbraucher – einschließlich der deutschen Industrie“, sagte er. Die Entlastung von dieser Sonderlast verschaffe deutschen Firmen keinen Vorteil gegenüber europäischen Wettbewerbern. Sie sei „lediglich ein teilweiser Ausgleich für einen bestehenden erheblichen Wettbewerbsnachteil“. Ein Nachteil, der sich immer weiter vergrößerte: Noch 2009 wurden knapp 5,3 Milliarden Euro über die Umlage auf den Marktpreis für Strom aufgeschlagen, ein Viertel der heutigen Summe.