Ursula von der Leyen wird Deutschlands erste Verteidigungsministerin. Sie kann ihre Macht in Berlin vergrößern – doch der Job birgt Risiken

Hamburg/Berlin. Als Erstes kommen die Witze, noch bevor die Kanzlerin ihr Kabinett überhaupt verkündet hat. So reagieren die Menschen, wenn sie eine Nachricht überrascht, wenn etwas aneckt und auf den ersten Blick nicht in das Schema passt. Häme trifft Politiker besonders oft. Und so kursiert nun im Internet ein Bild mit Soldaten der Bundeswehr, in Uniform, in Reihe und Glied. Doch sie tragen keinen Helm, stattdessen blondes Haar, mit einer großen glatten Welle, vorne kurz, hinten lang. Alle tragen die gleiche Frisur. Es sind die Haare von Ursula von der Leyen. Unter der Fotomontage steht: „Von der Leyens erster Befehl: Neue Helme noch vor Weihnachten“.

Im neuen Kabinett der Bundesregierung von Union und SPD wird die 55 Jahre alte von der Leyen als Verteidigungsministerin antreten. Das ist in Deutschland eine Premiere. Bisher regierten 16 Minister über die Soldaten und zivilen Angestellten, alles Männer.

Jetzt also die CDU-Politikerin und bisherige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, die einige in der Berliner Republik nur „Uschi“ nennen, wie andere die Kanzlerin nur „Mutti“. Man kann den politischen Gegner auch mit Spitznamen runterziehen. Denn von der Leyen hatte zuletzt viele Gegner. Sie eckte an, ist zäh – und setzte durch, dass die Frauenquote per Gesetz ab 2020 kommt. Konservative in der Union schimpften, manche warfen ihr Verrat an den Idealen der Partei vor. Von der Leyens Karriere stand auf dem Spiel. Aber sie gewann den Machtkampf. Milder, aber nicht weniger riskant, verlief vor Jahren die Debatte um das Elterngeld. Wieder hagelte es Proteste in den eigenen Reihen. Wieder gewann „Uschi“.

Sie könnte auch im Amt der Verteidigungsministerin für Wirbel sorgen. Die Quote dort ist noch ungleicher als in den Aufsichtsräten deutscher Unternehmen: In der Bundeswehr geben 200 hohe Offiziere die Befehle. Unter ihnen ist nur eine Frau. Die Berufung an die Spitze der Bundeswehr passt also zu von der Leyen, die als Quereinsteigerin oft genug in Konflikt vor allem mit dem Wirtschaftsflügel und den Konservativen in der eigenen Partei geriet.

Als künftige Chefin einer mit rund 185.000 Soldaten und 70.000 Zivilangestellten noch größeren Behörde kann sie sich mit der Fortführung der Bundeswehrreform an einer der härtesten Managementaufgaben der Republik beweisen. Internationale Konzerne wie Amazon, BMW oder Google haben weniger Angestellte als die deutschen Streitkräfte. Und sie betritt mit der Sicherheitspolitik, mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr und den Aufgaben in der Nato die internationale Bühne. Der künftige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) kann sich auf eine Kollegin gefasst machen, die ein gewichtiges Wort mitsprechen will.

Doch das Amt birgt Risiken – für von der Leyen und damit auch für die gesamte schwarz-rote Regierung. Von den 16 Verteidigungsministern, die die Bundesrepublik bisher kannte, mussten sieben zurücktreten oder wurden entlassen. Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) stolperte zwar über seine plagiierte Doktorarbeit. Doch er war heftig für seine Personalentscheidungen und die Aufarbeitung der Kundus-Affäre kritisiert worden.

Die Bundeswehr gilt als „Schleudersitz“ unter den Ministerposten. Denn das Ressort mit seinen ausgeprägten Beharrungskräften, komplizierten Rüstungsprojekten und der Verantwortung für Leib und Leben der Soldaten im Einsatz hat noch jedem Politiker erhebliche Probleme beschert. Das Militär ist ein eigenwilliger Apparat, stolz und traditionsbewusst, zugleich mit vielen Hierarchien. Für ein Durchregieren gibt es leichtere Ämter.

Doch gerade Ursula von der Leyen könnte in Zeiten des Umbruchs eine echte Chance für die Bundeswehr sein. „Das Ministerium mit Frau von der Leyen an der Spitze hat Potenzial“, sagt Andreas Hubert, Mitglied im Vorstand des Deutschen Bundeswehrverbandes, dem Abendblatt. Denn die frühere Familienministerin sei sensibilisiert für das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“. Das sei für die Bundeswehr als Freiwilligenarmee ein zentraler Punkt bei der Ausrichtung der Truppe. Nach dem Wegfall der Wehrpflicht kämpft die Bundeswehr auf dem freien Arbeitsmarkt um Fachkräfte und Talente. Die Armee muss Karrieren attraktiv machen für junge Männer und Frauen. Da stehe die Bundeswehr in Konkurrenz zu Unternehmen auf dem Markt, die „in der Frage der Familienförderung und Karriereplanung oft weiter sind als wir“, sagt Hubert. „Frau von der Leyen muss dieses Thema in ihrer Amtszeit vorantreiben. Sie bringt dafür gute Voraussetzungen mit.“

Nur rund neun Prozent der Soldaten sind derzeit weiblich. Er habe das Ziel, diese Quote auf 15 Prozent zu steigern, sagte von der Leyens Vorgänger Thomas de Maizière (CDU): von 18.000 auf 28.000 Soldatinnen. Auch aufgrund des demografischen Wandels wird die Bundeswehr in Zukunft stärker auf Frauen setzen müssen. Generalinspekteur Volker Wieker sagte kürzlich, er empfinde Frauen im „deutschen sicherheitspolitischen Männergesangsverein“ nicht nur als Bereicherung im Erscheinungsbild. „Vielmehr sind Alt und Sopran auch stimmlich jene Ergänzungen zu Bass und Bariton, die auch unsere sicherheitspolitischen Partituren in Zukunft vielleicht anspruchsvoller werden lassen.“

Die Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Herlind Gundelach sieht von der Leyen als gute Besetzung. „Es kommt im Posten eines Ministers auf die Führungsstärke an, nicht auf das Geschlecht“, sagte sie dem Abendblatt. „Ich habe Frau von der Leyen als klar strukturierte und zielstrebige Politikerin kennengelernt. Sie steht vor der Herausforderung, in einem der größten Ministerien eine der größten Reformen zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Aber sie ist die richtige Person für diese Aufgabe.“

Und so wird von der Leyen nicht nur anecken dürfen. Sie muss auch eine Truppe motivieren, in der Standorte schließen, Arbeitsplätze wegfallen und Soldaten umziehen müssen. Oft erst einmal ohne ihre Familien. Und auch die deutschen Rüstungsexporte bleiben ein unbequemes Thema, das moralische Konflikte mit sich bringt. Nicht zuletzt trägt von der Leyen die Verantwortung, die Bundeswehr stärker in die EU-Sicherheitspolitik zu integrieren.

Für de Maizière ist die Personalentscheidung eine Enttäuschung. Er hatte gehofft, auch die nächsten vier Jahre im Amt bleiben zu dürfen. Aus Merkels Sicht erscheint der Schachzug sinnvoll. Sie setzt mit von der Leyen ein Zeichen der gesellschaftlichen Modernisierung. Außerdem nimmt sie einen Minister, der monatelang in der öffentlichen Kritik stand und vom künftigen Koalitionspartner in der Debatte um den Euro-Hawk sogar mit Rücktrittsforderungen bedacht worden war, aus dem Kreuzfeuer. Sowohl von der Leyen als auch de Maizière können sich im neuen Amt bewähren – und sich damit für eine Kanzlerkandidatur 2017 empfehlen.