Der 250 Seiten starke NPD-Verbotsantrag muss Bundesverfassungsgericht und Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überzeugen

Berlin. Die Bundesregierung ist nicht dabei. Auch im Bundestag war irgendwann im Frühjahr klar, dass keine deutliche Mehrheit dieses heikle Unterfangen unterstützen würde. Und so sind es nun allein die Bundesländer, die vor dem Bundesverfassungsgericht für eine der schärfsten politischen Sanktionen in der Parteienlandschaft kämpfen werden: Sie wollen die rechtsextreme NPD verbieten. Der Antrag soll am heutigen Dienstag eintrudeln.

Es ist ein heikles juristisches Vorhaben, und vollends überzeugt davon ist kaum jemand. Viele Politiker, die heute öffentlich den Verbotsversuch unterstützen, lehnten einen solchen lange Zeit ab. Nach dem Auffliegen der Morde der rechtsterroristischen Zelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und im Vorfeld der Bundestagswahl kam jedoch Bewegung in der Verbotsfrage, bei der sich die Bevölkerung deutlich für ein Ende der rechtsextremen Partei ausspricht.

Irgendwann saßen die Politiker in einem Zug, der scheinbar unaufhaltsam in Richtung Verbotsverfahren zurollte. Kritik an dem Vorhaben? Das passte vielen nun nicht mehr – auch wenn die Bedenken keineswegs geringer geworden sind. Im Hinterkopf haben die Beteiligten dabei immer den gescheiterten Verbotsversuch aus dem Jahr 2003. Die Karlsruher Richter hatten damals festgestellt, dass rund 30 von 200 Mitgliedern des NPD-Bundesvorstands und der Landesvorstände Spitzel des Verfassungsschutzes waren. Man konnte schlichtweg nicht mehr erkennen, bei welchen NPD-Aktionen der Staat selbst mitmischte.

Die Hürden für das Aus einer Partei liegen aber auch sonst sehr hoch. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es so etwas erst zweimal – und das ist schon mehr als 50 Jahre her. 1952 wurde der Sozialistischen Reichspartei der Garaus gemacht. Sie war ein Sammelbecken für Ex-Mitglieder der NSDAP. 1956 wurde die Kommunistische Partei Deutschlands verboten. Dann war für lange Zeit Ruhe im Parteienspektrum. Der politische Meinungskampf um die Zustimmung der Bürger soll vor allem mit Argumenten und nicht vor Gericht geführt werden. Die Richter erklärten 1956 in ihrem Urteil, welche Voraussetzungen vorliegen müssen: Eine Aussicht auf ein Verbot besteht nur dann, wenn nachgewiesen werden kann, dass eine Partei die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ beeinträchtigen oder beseitigen will. Dafür müsse sie eine „aktiv kämpferisch-aggressive Haltung“ einnehmen, um diese Ordnung zu beseitigen.

Die Länder sind sicher, dass sie stichhaltiges Material für ein erfolgreiches Verbotsverfahren gesammelt haben. Es bestehe eine „Wesensverwandtschaft“ der NPD zum Nationalsozialismus, die für sich schon ein Verbot rechtfertige, heißt es in dem mehr als 250 Seiten starken Antrag. So vertrete die NPD ein „biologistisch-rassistisch“ geprägtes Konzept der „Volksgemeinschaft“. Deutscher sei man von „von Geburt oder eben nicht“, zitieren die Antragsteller aus einer Broschüre des Parteivorstands, die als Argumentationshilfe für NPD-Funktionäre gedacht ist.

FDP und Vertreter der Grünen lehnen einen Verbotsantrag der NPD ab

„Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verleihung bedruckten Papiers (…) ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert“, heißt es weiter in dem NPD-Papier. „Angehörige anderer Rassen bleiben deshalb (…) immer Fremdkörper, egal, wie lange sie in Deutschland leben.“ Aus diesem und anderen Belegen folgern die Antragsteller: Der Volksbegriff basiere auf „menschenverachtendem Rassismus“. Zur Anwendung von Gewalt verhalte sich die Partei ambivalent – typisch sei, dass Gegnern Gewalt angedroht werde für den Fall, dass die NPD eines Tages mehr Macht habe. Die NPD trete aktiv-kämpferisch auf und ziele darauf ab, die freiheitlich-demokratische Grundordnung tatsächlich zu beseitigen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der sich neben dem Bundesverfassungsgericht voraussichtlich auch mit dem Versuch beschäftigen wird, hätte bei seiner Entscheidung die „nationalen Besonderheiten der konkreten Verbotssituation“ zu berücksichtigen. „Vorliegend könnte sich ein Verbot der NPD sowohl auf die Sicherung der nationalen und öffentlichen Sicherheit, die Aufrechterhaltung der Ordnung sowie die Verhütung von Straftaten stützen“, heißt es in dem Antrag.

Neben der FDP haben zuletzt vor allem Politiker der Grünen einen Verbotsantrag abgelehnt. „An der antisemitischen, rassistischen und aggressiv-kämpferischen Grundhaltung der NPD besteht kein Zweifel“, sagte der Grünen-Politiker Volker Beck. „Ein NPD-Verbot muss aber auch die Hürden der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nehmen, und dafür müsste die NPD tatsächlich den Bestand von Demokratie und Rechtsstaat gefährden. Diese tatsächliche Gefahr liegt bei einer Partei mit bundesweit ein bis zwei Prozent nicht sehr klar auf der Hand“, erklärte er. „Man hätte die NPD auch einfach unbeachtet jeder Öffentlichkeit sterben lassen können“, forderte Beck, der beim ersten Verbotsantrag parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion war. Der Grünen-Innenexperte Hans-Christian Ströbele warnt: „Die NPD bekäme für Jahre eine unverdiente Propagandamöglichkeit.“ Es sei zu befürchten, dass sich ein kleiner Anteil der NPD-Mitglieder weiter radikalisieren würde. Die NPD werde zudem durch ihre Rechtsvertreter versuchen, V-Leute als wahre Urheber von Teilen des Verbotsmaterials darzustellen. „Außerdem ist die NPD eine zutiefst zerstrittene und erfolglose Partei, bei der man nicht mehr davon ausgehen kann, dass sie eine Gefahr für unser politisches System darstellt“, sagte Ströbele.