50 Sitzungen der Arbeitsgruppen, drei große Runden – aber die Bilanz von Union und SPD nach zweieinhalb Verhandlungswochen ist überschaubar.

Berlin. Vorgang 54a, Vorgang 54b, Vorgang 55, Vorgang 56. Im Ministerbüro von Peter Altmaier trudeln täglich neue Papiere für die Arbeitsgruppe Energie ein, bis zu acht Stunden dauern die Sitzungen. Wenn die zahlenmäßig größten Rivalen der deutschen Politik plötzlich über eine Große Koalition verhandeln sollen, ist aller Anfang schwer. Doch so zäh hatten sich das viele nicht vorgestellt – so langsam steigt der Druck im Kessel.

Der amtierende CDU-Umweltminister Altmaier leitet zusammen mit Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) eine der schwierigsten Arbeitsgruppen – soll doch die Energiewende endlich in geordnete, planbare und weniger teure Bahnen gelenkt werden. „Auch wenn die Gesprächsatmosphäre gut ist, würde ich es nicht mit dem Begriff Spaß verbinden“, meint Kraft zu den kontroversen Debatten.

Bisher gibt es keine einzige Einigung auf zentralen Feldern wie Finanzen, bundesweiter Mindestlohn, Rente. Auf der schwarz-roten Plusseite stehen eher Nischeneinigungen wie ein Mindestlohn für Praktikanten mit abgeschlossener Ausbildung. Selbst bei Themen, die – wie die doppelte Staatsbürgerschaft – schon in der Sondierung als gut verhandelbar bewertet worden waren, knirscht es jetzt.

So könnte doch eintreten, was die drei Parteichefs Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel immer vermeiden wollten: alle Konflikte am Ende auf einen Schlag in Nachtsitzungen lösen zu müssen. Dabei sollte die große Verhandlungsrunde mit 77 Vertretern von CDU, CSU und SPD Schritt für Schritt die Liste abarbeiten. Einige Arbeitsgruppen – wie die AG Wirtschaft – hatten auch schon Einigungen erzielt.

Doch die Vorstellungen waren den Parteispitzen viel zu teuer und wurden zur Nachbesserung zurückgewiesen. Die Union stellt sogar Kernthemen aus ihrem Wahlprogramm wie die Kindergelderhöhung und den Abbau der kalten Progression unter Finanzierungsvorbehalt. Bis spätestens 28. November müssten Union und SPD aber fertig sein, wenn Merkel noch vor Weihnachten zur Kanzlerin wiedergewählt werden soll.

Denn vom 7. bis 12. Dezember sollen die rund 470.000 SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen – der muss vorher aber noch gedruckt und verschickt werden. Besonders der SPD fällt es schwer, die Realität anzuerkennen – ohne die von CDU/CSU zur roten Linie erklärten Steuererhöhungen gibt es wenig zu verteilen. „Ohne Moos nichts los“, umschreibt die SPD-Linke Hilde Mattheis die ernüchternde Lage. Aber mit 25,7 Prozent hole man eben auch nicht die Sterne vom Himmel, sagt ein führender Sozialdemokrat.

Und auch die Union hat eine Basis. Dort rumort es inzwischen, weil trotz des Wahlsiegs mit 41,5 Prozent der Stimmen eine schwarze Handschrift in den Verhandlungen bisher nicht sichtbar sei. Der Wirtschaftsflügel beklagt, es fehle immer noch ein Bekenntnis zum Industriestandort Deutschland – das stand im Wahlprogramm ganz oben. Der CDU-Wirtschaftsrat befürchtet Mehrbelastungen für energieintensive Betriebe bei der Finanzierung des Ökostromausbaus und schimpft: „Es wäre der Treppenwitz der Geschichte, wenn sich die CDU nach einem herausragenden Wahlerfolg jetzt auch auf den Pfad in Richtung Deindustrialisierung begeben will.“

Zwar haben Merkel und Seehofer nicht Gabriels Problem, alle Mitglieder persönlich fragen zu müssen. Aber auch sie brauchen auf ihren Parteitagen ein klares Ja zum Koalitionsvertrag und den Rückhalt dafür in der Mitgliedschaft. So kann die nur knapp von der Alleinregierung entfernte Union schwerlich auf die Hälfte ihrer Forderungen verzichten.

Dass es noch nicht den großen Wurf gibt, beunruhigt Unionspolitiker aber nicht. Die Verhandlungen mit der SPD würden bis ins kleinste Detail geführt, Prüfaufträge im Koalitionsvertrag sollten auf ein Minimum beschränkt werden, und statt Willensbekundungen solle es Vereinbarungen geben. Das erfordere Zeit und Mühe.

Am Montag tagt die große Verhandlungsrunde zum vierten Mal. Danach soll es noch vier große Runden geben. Es ist also Halbzeit. Vor dem SPD-Parteitag in der kommenden Woche will die Union aber keine großen Brocken beiseitegeschafft haben. Denn sie fürchtet, dass die SPD-Delegierten Einigungen wieder kippen und Nachverhandlungen erzwingen wollen.

Der Psychologie von Verhandlungen entspricht, dass anfänglicher Motivation für das neue Projekt erst einmal Ernüchterung folgt. Nämlich dann, wenn beide die guten Gründe dafür realisieren, dass sie bisher lange getrennter Wege gingen. An diesem Punkt sind Union und SPD gerade. Danach kommt die Phase der Problembeschreibung und Lösungssuche. Dann steht oft kurz alles vor dem Scheitern. Bis es doch zum Durchbruch kommt, weil sich beide Seiten einen Ruck geben.