Große Koalitionen passen in schwierige Zeiten; in Boomphasen werden sie schnell teuer

Vielleicht ist es ein gutes Zeichen, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am Donnerstag seine Teilnahme am „Zeit“-Wirtschaftsforum im Michel kurzfristig absagen musste – angesichts der ins Kraut schießenden Forderungen der Unterhändler in Berlin. Die Wunschzettel der Großen Koalitionäre werden immer länger, die Forderungen immer kostspieliger. Die Union hätte gern eine Mütterrente und Kindergelderhöhung, die SPD möchte dem Wahlvolk Mindestrente und eine großzügigere Pflegeversicherung spendieren. Auf rund 50 Milliarden Euro taxieren Experten die Wünsche. Schuldenkrise? War da was?

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Union und SPD, die Deutschland großartig durch die Finanzkrise gesteuert haben, nun die europäische Schuldenkrise verschärfen könnten. Sie drohen in dieselbe Falle zu tappen wie andere Regierungen vor ihnen, etwa der erste schwarz-grüne Senat in Hamburg: Inhaltliche und programmatische Gräben werden mit Geldsäcken zugeschüttet, man schaukelt sich in seiner Spendierlust hoch: Die Wohltat für die Klientel des einen werden mit Geschenken für die Anhänger des anderen kompensiert. Am Ende ist der Haushalt über Jahre ruiniert.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele Politiker meinen, Deutschland könne sich derlei Mehrausgaben leisten. Gefüllte Rentenkassen und die jüngste Steuerschätzung, die ein Plus von 14 Milliarden Euro bis 2017 vorhersagt, bestärken sie in dem Irrglauben. Zumal sich schon Steuererhöhungen abzeichnen: Eine Finanztransaktionssteuer soll kommen, multinationale Konzerne werden stärker belastet, die CSU pocht auf die Autobahn-Maut. Auch wenn alle Maßnahmen eine gewisse Logik haben – Steuererhöhungen passen nicht in die Zeit. Maßhalten ist geboten.

Angesichts der in Europa grassierenden Schuldenkrise mit ungewissem Ausgang sollte das Ideal der „schwäbischen Hausfrau“ nicht aus dem Blick geraten. „Die großen Fehler in der Finanzpolitik werden in guten Zeiten gemacht“, wusste schon der frühere baden-württembergische Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU).

Natürlich ergeben Investitionen etwa in Forschung und Infrastruktur Sinn; zugleich aber gilt: Wann, bitte schön, sollen eigentlich mal Schulden abgebaut werden? Deutschland eilt von Steuerrekord zu Steuerrekord, die Zahl der Beschäftigten erklimmt Höchststände, Sozialausgaben sinken, die Zinsen sind historisch niedrig. Nie war es so einfach, substanzielle Haushaltsüberschüsse zu erwirtschaften; doch 2014 sollen die Schulden weiter steigen. Und die danach in Aussicht gestellten Überschüsse werden nun in den Verhandlungsrunden schon verfrühstückt, bevor sie Realität werden können. Kein Boom währt ewig, die nächste Krise kommt bestimmt – und mit ihr tun sich schnell Milliardenlöcher auf.

Auch wenn der Koalitionsvertrag noch nicht steht und die Kanzlerin zu Recht alle Beschlüsse unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt hat, drängt sich der Eindruck auf: Große Koalitionen sind keine Bündnisse für Schönwetterperioden, sondern für Krisenzeiten. Als das Wirtschaftswunder Mitte der 60er-Jahre abrupt stoppte, steuerte Schwarz-Rot unter Kanzler Kiesinger und Wirtschaftsminister Karl Schiller zurück in die Wachstumsspur. 2005 wagte die Große Koalition unter Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Franz Müntefering überfällige Reformen wie die Rente mit 67 und steuerte das Land genial durch den Schock nach der Lehman-Pleite.

Hoffentlich bedarf es keiner neuen Krise, um SPD und Union zur Ordnung zu rufen. Ein Blick aufs Wahlvolk würde genügen: Den Deutschen ist angesichts der großkoalitionären Geldverschwendung in Berlin schon mulmig zumute – die Zustimmung für ein solches Bündnis ist von 58 Prozent auf 44 Prozent abgerutscht.

Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts