Landgericht Hannover eröffnet Hauptverfahren gegen den früheren Bundespräsidenten. Der Prozess beginnt am 1. November.

Hannover. „Das Ergebnis der Hauptverhandlung steht schon fest. Es wird ein Freispruch.“ Mit markigen Worten haben die beiden Strafverteidiger des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, Bernd Müssig und Michael Nagel, am Dienstag auf den Beschluss des Landgerichts Hannover reagiert, den Prozess gegen ihren Mandanten zu eröffnen. Der letzte strafrechtlich relevante Vorwurf gegen Wulff, der Verdacht der Vorteilsannahme, sei „unbegründet“, man werde ihn nunmehr vor Gericht „widerlegen“. „Die Luft für die Staatsanwälte“, so die Verteidiger angesichts des 14-seitigen Eröffnungsbeschlusses, „ist dünn“.

Beginn der auf voraussichtlich 16 Verhandlungstage angesetzten Entscheidungsschlacht um „Ehre und Würde“ (Müssig und Nagel) des früheren Bundespräsidenten Wulff soll am 1. November sein. Diesen Termin hat die Zweite Strafkammer des Landgerichts Hannover am Dienstag Vormittag den Verteidigern und der Staatsanwaltschaft in Aussicht gestellt. Ein Urteil könnte im Februar fallen. Das Strafmaß für Vorteilsnahme liegt bei einer Geldstrafe und bis zu höchstens drei Jahren Gefängnis. Alle Beteiligten gehen davon aus, dass angesichts der eher geringfügigen Vorwürfe nur eine Geldstrafe in Betracht kommt.

Das Gericht um den Vorsitzenden Richter Frank Rosenow beschert der Bundesrepublik damit ein historisches Ereignis: Erstmals in der Geschichte des Landes muss sich ein früherer Bundespräsident vor Gericht verantworten. Anders als Wulffs Verteidiger sieht die Strafkammer es als „hinreichend wahrscheinlich“ an, dass der Ex-Präsident sich in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident der Vorteilsannahme nach §331 des Strafgesetzbuches schuldig gemacht habe. Wulff und seinem mitangeklagten Freund David Groenewold wird vorgeworfen, sich gegenseitig Vorteile verschafft zu haben. So soll Groenewold im Jahr 2008 Teile der Kosten, rund 760 Euro, eines Oktoberfestbesuchs der Familie Wulff übernommen haben, während Wulff sich quasi im Gegenzug beim damaligen Siemens-Chef Peter Löscher für ein Filmprojekt Groenewolds verwandt habe.

An dieser Stelle muss man noch einmal aufdröseln, dass es für eine Anklage wegen Vorteilsnahme nicht zwingend ist, dass Wulff mit der Annahme des vergleichsweise geringen Betrags pflichtwidrig gehandelt hat. Es genügt, wie ein Gerichtssprecher erläuterte, „dass der Vorteil allgemein inhaltlich mit der Dienstausübung des Amtsträgers verknüpft und damit geeignet ist, den bloßen Anschein der Käuflichkeit zu erwecken“. Mit anderen Worten: Wulff musste, um sich schuldig zu machen, gar nicht pflichtwidrig handeln; es genügte, dass die beiden Handlungen des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten – Oktoberfestbesuch und Empfehlungsschreiben – den Anschein erwecken konnten, miteinander verknüpft zu sein.

Bei Korruptionsdelikten geht es niemals allein um die Summe des Geldes

Die Anwälte Wulffs bestreiten, dass Wulff 2008 überhaupt mitbekommen habe, dass Groenewold einen Teil der Kosten des Oktoberfestbesuchs übernommen habe. Ihr Mandant habe erst 2012 von der Kostenübernahme Kenntnis erlangt, heißt es in der Klageerwiderung der beiden Strafrechtler. Wulff sei zwar ein enger Freund Groenewolds gewesen, dennoch habe der Filmunternehmer zu keinem Zeitpunkt Einfluss auf die Entscheidungen des Ministerpräsidenten genommen. Es sei im Übrigen nicht nachvollziehbar, dass ein Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat sich von einer Zahlung in Höhe von 760 Euro beeinflussen lasse.

Genau dieser naheliegenden Argumentation hatte die Staatsanwaltschaft immer wieder widersprochen. Bei Korruptionsdelikten, so die hannoverschen Ermittler, gehe es niemals um die Summe, für die sich ein Staatsbediensteter möglicherweise empfänglich erweise. Außerdem sei Wulff in der fraglichen Zeit, mit einer kostenaufwendigen Scheidung im Rücken und einem unbezahlten Hauskredit vor der Brust, möglicherweise doch auch für kleine Vorteile empfänglich gewesen. Sie hatte Wulff und Groenewold deshalb im April wegen Bestechung und Bestechlichkeit angeklagt. Eine Einschätzung, der das Gericht nun ebenso wenig folgte wie dem Unschuldsplädoyer der Verteidiger.

Frank Rosenow, Vorsitzender des Landgerichts, zeigt mit seiner Verfahrenseröffnung wegen Vorteilsnahme, dass ihn die Argumentationen beider Seiten nicht vollständig überzeugt haben. Es handle sich, schreibt der Richter in seinem 14-seitigen Beschluss, um einen „Grenzfall“. Indem Rosenow eine Verfahrenseröffnung wegen Bestechlichkeit ablehnt, zugleich aber das Hauptverfahren wegen Vorteilsannahme eröffnet, weist er den beiden Parteien dann auch noch einmal einen Weg, einen öffentlichen Prozess, in dem sich keiner der Beteiligten mit Ruhm bekleckern kann, zu vermeiden. Eine Einstellung des Verfahrens nach §153a des Strafgesetzbuches ist zu jedem Zeitpunkt eines solchen Verfahrens möglich, auch während des laufenden Prozesses. Bedingung wäre, dass sich alle Beteiligten – Gericht, Verteidigung, Ankläger – auf eine solche Einstellung und die damit verbundene Zahlung einer Geldbuße einigen. Einen entsprechenden Vorschlag der Ermittler hatten Wulff und Groenewold im April zurückgewiesen. Damals ging es allerdings auch noch um Bestechlichkeit, eine Einstellung hätte bedeutet, dass die beiden zugegeben hätten, sich der Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit schuldig gemacht zu haben.

Auch die Staatsanwälte gehen mit unveränderter Haltung in den Prozess

Dies wäre nach der Entscheidung des Landgerichts, die Klage auf Vorteilsnahme zurückzustufen, nicht mehr nötig. Eine Einstellung des Verfahrens würde nur noch bedeuten, dass Wulff und Groenewold dem Vorwurf zustimmen, dass ihr Verhalten den Eindruck der Käuflichkeit erwecken konnte. Die ersten Stellungnahmen der beiden Wulff-Anwälte machen eine solche friedliche Lösung allerdings eher unwahrscheinlich. Sie setzen darauf, den früheren Bundespräsidenten vollständig zu rehabilitieren.

Auch die Staatsanwälte, die in 14-monatigen, akribischen Ermittlungen versucht hatten, Beweise für ihren Verdacht zu finden, beharren auf ihrer Linie. Sie begrüßten die Entscheidung des Landgerichts und sahen sich in ihrer „seit Langem vertretene Auffassung“ bestätigt, „dass aufgrund der sorgfältig geführten Ermittlungen hinreichender Tatverdacht wegen eines Korruptionsdelikts besteht“. Man werde nunmehr in der Hauptverhandlung zu klären haben, ob der Besuch der Wulffs auf dem Oktoberfest als Vorteilsnahme oder Bestechlichkeit zu werten sei. Auch die Staatsanwälte wollen mit unveränderter Haltung in den Prozess gehen und eine Verurteilung von Wulff und Groenewold wegen Bestechlichkeit beziehungsweise Bestechung erreichen. Wulff äußerte sich wie erwartet nicht zu dem bevorstehenden Prozess, zu dem er persönlich erscheinen muss.