Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger über europäische Rechenzentren, die Steuerpläne der FDP und den Vorwurf der Pädophilie in der Geschichte der Liberalen.

Hamburg. Seit vielen Jahren steht sie für den Bürgerrechts-Flügel der Liberalen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sei wütend gewesen auf die USA nach Bekanntwerden des NSA-Abhörskandals, erzählt sie beim Besuch des Hamburger Abendblatts. Dennoch sei die Bundesregierung beim Datenschutz vorangekommen.

Hamburger Abendblatt: Sie sind 1996 wegen des Großen Lauschangriffs zurückgetreten. Im Zuge des NSA-Abhörskandals sieht die Debatte von damals klein aus…

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Der Lauschangriff spielt heute bei der Strafverfolgung eine untergeordnete Rolle – dank des Bundesverfassungsgerichts. Aber damals wie heute geht es um die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit.

Sind Sie im Kampf für Persönlichkeitsrechte gescheitert?

Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Aber wir merken: Es gibt kein Ende bei der Frage nach Datensicherheit. Heute geht es um riesige Datenmengen – und die Frage: Wie viel Sammeln, Ausspionieren und Weitergabe an Unternehmen außerhalb der EU lassen wir als Politik mit den Daten der Bürger zu? Regierungen müssen nicht nur die eigenen Standards in den Sicherheitsbehörden setzen, sondern auch auf Google, Facebook und Microsoft reagieren.

Was hat Sie in der Diskussion über die Geheimdienste am meisten erschüttert?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe zu Beginn der Debatte eine klare Ansage der USA vermisst. Das hat mich wütend gemacht. Doch der Dialog ist gewachsen. Mittlerweile verhandelt Deutschland mit den USA über ein Anti-Spionage-Abkommen bei der Arbeit der Geheimdienste. Das ist ein Erfolg. Und ich begrüße auch sehr, dass sich nun auch immer mehr Bürger fragen, wie sicher sind meine Daten oder muss ich meine E-Mails verschlüsseln.

Die Bürger müssen sich selbst gegen die Geheimdienste wehren?

Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Natürlich ist hier der Staat gefordert, seine Bürger vor dem Ausspähen zu schützen. Und durch die Arbeit der Regierung von Union und FDP kann die digitale Privatsphäre wiederhergestellt werden. Wir haben mit der FDP ein 13-Punkte-Programm zum Schutz der Daten verabschiedet. Davon findet sich vieles in dem vom Bundeskabinett beschlossenen Acht-Punkte-Plan.

Verschlüsseln Sie Ihre privaten E-Mails?

Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, bisher nicht. Aber ich will meine Daten künftig auch besser schützen. Ich bin bei der Telekom, und die verschlüsselt nun ihre E-Mails stärker.

Fühlen Sie sich als Ministerin ausreichend in der Sache informiert?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben mehr Klarheit als vor einigen Wochen. Wir wissen, dass der BND nicht massenhaft Daten der Deutschen abfängt und auswertet. Allerdings kam durch den NSA-Skandal ans Tageslicht, dass der BND seit 2001 sehr viel enger mit den US-Geheimdiensten zusammenarbeitet. Das war nach 9/11 politisch gewollt, auf beiden Seiten. Aber wir müssen nun stärker überprüfen, ob bei dieser Kooperation alles rechtens abläuft. Klar ist aber auch: Wir brauchen weiterhin starke Geheimdienste für den Erhalt unserer Sicherheit und dem Schutz der Verfassung.

Sind Sie Edward Snowden dankbar?

Leutheusser-Schnarrenberger: Sicher ist positiv, dass er durch seine Enthüllungen eine Debatte weiter vorangebracht hat, die den Liberalen seit vielen Jahren wichtig ist: Datenschutz und Datensicherheit. Aber als Justizministerin sehe ich auch, dass Snowden sich mit seinem Verrat von Dienstgeheimnissen strafbar gemacht hat. Übrigens auch nach deutschem Recht.

Kennen Sie seine Dokumente, die den Abhörskandal belegen sollen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe die Unterlagen bisher nicht gesehen, die Snowden einigen ausgewählten Medien vorgelegt hat. Deshalb bin ich als Justizministerin sehr vorsichtig mit der Bewertung der NSA-Dokumente.

Brauchen die EU und Europa eine eigene Suchmaschine als Alternative zu Google?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wirtschaftsminister Philipp Rösler treibt die Idee einer europäischen Cloud voran. Hier gibt es bereits Gespräche mit IT-Unternehmen der EU. Die europäischen Unternehmen sollten den Wettbewerb mit sehr großen Rechenzentren mit europäischer Technik gegenüber den USA nicht scheuen. Europäischer Datenschutz und europäische Datensicherheit kann in Zukunft ein entscheidender Wettbewerbsvorteil gegenüber den USA werden. Auf eigenen Servern könnte die EU ihre Datenschutz-Standards zudem besser technisch durchsetzen. Moderne digitale Kommunikation gibt es nur mit Datenschutz. Sicherheit auf Servern hat seinen Wert. Wir müssen auf den NSA-Datenskandal auch mit eigenen Alternativen und neuen Ideen im Wettbewerb reagieren.

Welche Note geben Sie Union und FDP nach vier Jahren Regierung?

Leutheusser-Schnarrenberger: Eine sehr gute Note. Natürlich war der Start schwierig. Wir haben uns zu spät auf Inhalte konzentriert. Aber gerade in der Euro-Krise hat diese Regierung Stärke bewiesen. Haushaltspolitisch haben wir in Europa Härte gezeigt, beispielsweise gegenüber Griechenland. Das war richtig. Auch aus dem Atomunglück in Fukushima wurden mit der Energiewende schnell Konsequenzen gezogen.

Die versprochenen Steuersenkungen hat die FDP nicht durchgesetzt.

Leutheusser-Schnarrenberger: Durch die Euro-Krise waren wir gezwungen, unsere Ziele in der Steuerpolitik neu zu justieren. Diese Entscheidung verteidige ich bis heute. Nur so ist Deutschland mit Umsicht durch die Krise in Europa gekommen. Und nur so konnten wir mit staatlichen Garantien für Stabilität auf dem Kontinent sorgen. Nun aber haben wir ein klares Versprechen, das wir einhalten werden: Mit der FDP in der Regierung wird es in der kommenden Legislaturperiode keine Steuererhöhungen geben. Die Liberalen setzen sich zudem für die Abschaffung des Soli-Beitrags ein. Das würde die Bürger um 13 Milliarden entlasten.

Horst Seehofer wird nicht müde, eine Pkw-Maut für Ausländer zu fordern. Das ist mit EU-Recht nicht vereinbar. Kommt am Ende die Maut für alle?

Leutheusser_Schnarrenberger: Der Vorstoß für eine Maut lag schon oft auf dem Tisch – und verschwand wieder. Im Wahlkampf ist diese Forderung sicher auch Verhandlungsmasse der CSU bei möglichen Koalitionsverhandlungen. Die FDP bekennt sich klar gegen eine weitere Belastung der Bürger durch eine Pkw-Maut.

Von der Straße auf die Schiene: Ist die Bahn in der Krise, wie die Probleme am Mainzer Hauptbahnhof zeigen, weil zu viel oder zu wenig privatisiert wurde?

Leutheusser-Schnarrenberger: Der Engpass bei der Deutschen Bahn und die Zugausfälle in Mainz sind vor allem Folgen eines Missmanagements. Hier braucht die Bahn dringend bessere Personalentscheidungen. Sicher ist es auch sinnvoll, diese Fehler zum Anlass für eine neue Debatte über eine stärkere Privatisierung der Bahn zu nehmen. In der Konkurrenz auf dem freien Markt kann sich ein Unternehmen Fehler wie in Mainz nicht erlauben.

Können Sie sich außer Schwarz-Gelb auch eine Koalition zwischen Union, FDP und Grünen vorstellen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Eine Ampel-Koalition mit den Grünen ist für die FDP keine Perspektive. Das wäre ein inhaltliches Gewürge, denn die Grünen stehen für Bevormundung und Verbote. Die FDP steht für die Freiheit. Auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat sich klar für ein Bündnis mit der FDP ausgesprochen.

Die Göttinger Parteienforscher Franz Walter und Stephan Klecha erheben derzeit auch Vorwürfe an die FDP, es habe Versuche gegeben, Pädophilie von Strafe zu befreien. War das in der FDP-Geschichte ein Problem?

Leutheusser-Schnarrenberger: Pädophilie war und ist in der FDP kein Thema. Nicht in der Geschichte der Partei – und noch viel weniger in der Gegenwart. Die FDP-Politikerin Dagmar Döring hat vor 30 Jahren einen Aufsatz geschrieben, für den sie sich heute entschuldigt und mit dem Rückzug der Kandidatur Konsequenzen gezogen hat. Damit ist die Debatte aus meiner Sicht beendet.

Auch das Ex-FDP-Mitglied Günter Verheugen steht in der Kritik.

Leutheusser-Schnarrenberger: Noch mal: Pädophilie wird und wurde in der FDP nicht geduldet. Die Liberalen brauchen heute weder eine Untersuchungskommission noch eine Hotline für Missbrauchsopfer.