Matthias Platzeck hätte Kanzler werden können, doch er blieb in Brandenburg. Seine Bilanz ist vom Flughafen-Desaster überschattet

Berlin. Selbst beim Händeschütteln gab sich Matthias Platzeck bescheiden. „Platzeck, Potsdam“, stellte er sich immer wieder vor, wissend, dass sein Gegenüber sehr wohl seinen Namen und wohl auch Funktion kannte. Platzeck aber, der noch mehr und noch lieber Hände schüttelte als andere Politiker, machte aus seiner Zurückhaltung eine Marke. Er prägte damit, gewiss eigennützig, das Bild eines Mannes, der sympathisch und nicht abgehoben ist, der noch etwas anderes kennt als Politik und der die Menschen mag. Für Brutalität und Kälte, ohne die Macht selbst im beschaulichen Brandenburg nicht funktioniert, hatte er seine Leute, etwa den SPD-Generalsekretär Klaus Ness oder den einstigen Innenminister Rainer Speer. Die machten die Drecksarbeit.

Wie nur wenig anderen Landesfürsten gelang es Matthias Platzeck, sich mit einer überparteilichen, präsidialen Aura zu umgeben. Das war zum einen seinem Konsens-Stil und der Freude an der Moderation geschuldet (mit Angela Merkel verstand er sich übrigens immer gut), zum anderen den Erfordernissen und Wünschen seiner brandenburgischen Landsleute, die es nicht mögen, wenn „die Politiker“ mal wieder „streiten“. Bei seiner letzten Landtagswahl 2009 holte die SPD 33 Prozent, während sie bei der am selben Tag stattfindenden Bundestagswahl nur 25 Prozent erzielte. In jener Phase aber lag die Zeit des Hoffnungsträgers Platzeck bereits zurück. Zwar kurz, aber doch intensiv hatte sich die gesamte Sozialdemokratie an Platzeck geradezu berauscht. Das war Ende 2005, während die SPD mit der Union über die Große Koalition verhandelte, in den letzten Tagen also des Kanzlers Gerhard Schröder. Entsprechend groß war das Bedürfnis nach Hoffnung und Zuversicht. Der plötzliche Rücktritt des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering ließ Platzeck in dessen Fußstapfen treten, eher zufällig also.

Ausgerechnet auf jenem Parteitag, auf dem die SPD ihren Eintritt in die ungeliebte Große Koalition beschloss, hielt Platzeck seine Bewerbungsrede für den Vorsitz. Es war eine große Rede, vielleicht eine der besten politischen Reden, die in dieser Republik gehalten worden sind. Platzeck rüttelte auf, er erfrischte, er formulierte rhetorisch brillant. Er sprach die Seele der Partei an, ohne in Floskeln zu verfallen, die ihm ohnehin fremd waren. Vom Glücksgefühl der deutschen Einheit sprach Platzeck und rief in den Saal: „Ich möchte mein Land, unser Deutschland, gegen kein anderes Land der Welt eintauschen.“ Dieses Pathos war nicht hohl, und es war Platzecks Prägung in der DDR (mit einer Prise Preußentum), die ihn so sprechen ließ, wie es westdeutsche postnationale Linke weder konnten, geschweige denn wollten.

Platzeck verstand es, für seine Politik einen philosophischen Überbau zu finden – und er konnte ihn schlüssig begründen. Hinter dem „vorsorgenden Sozialstaat“ verstand er ein Land und ein Sozialsystem, das früh, nämlich im Kindergarten schon, derart fördert und ermächtigt, dass die „Reparaturkosten“ später begrenzt werden können. Auch das Wort „Generationengerechtigkeit“ war für Platzeck kein Schimpfwort. Ein wenig indes klaffte eine Lücke zwischen Platzecks Philosophie und der Praxis im Lande Brandenburg, wo doch recht paternalistisch, um nicht zu sagen „nachsorgend“, regiert wurde.

Diese Kluft offenbarte Platzeck auch im Umgang mit der Partei Die Linke. „Die Linkspartei ist populistisch, rückwärtsgewandt und in großen Teilen vorgestrig – nur links, das ist sie mit Sicherheit nicht“, sagte er während der berühmten Rede auf dem SPD-Parteitag 2005. Vier Jahre später bildete Platzeck mit genau diesen Linken eine rot-rote Koalition in Potsdam. Doch zurück in das Jahr 2005, zum Hoffnungsträger Platzeck. Mit seiner Wahl zum SPD-Vorsitzenden und Merkels zur Kanzlerin sah mancher schon eine ostdeutsche, ja brandenburgische – und protestantische – Dominanz in der deutschen Politik; mit dem neuen Bundespräsidenten Joachim Gauck klang das abermals an. Die biografischen Parallelen zwischen Merkel und Platzeck waren ja auch frappierend. Aus „bürgerlichem“ Hause stammen beide. Platzeck war groß geworden in einem Potsdamer Arzthaushalt, seine Mutter stammte aus einer Pastorenfamilie. Platzeck, nur ein halbes Jahr älter als Merkel, ließ sich wie diese konfirmieren und durfte doch Abitur machen. Während Merkel der FDJ beitrat, absolvierte Platzeck seinen Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee. Als oppositionelle Helden inszenierten sich beide im Nachhinein nicht, zu Recht.

Mit einem ingenieurwissenschaftlichen Studium vermied Platzeck Konflikte mit dem Staat, und wie viele, die es 1989 in der DDR in die Politik spülte, engagierte er sich in der Ökologiebewegung. Als Gründer und Sprecher der Grünen Liga kam Platzeck an den runden Tisch, wurde parteiloser Minister unter Hans Modrow und in die Volkskammer gewählt. Da gehörte er der kleinen, quirligen Fraktion des Bündnis 90 an, zusammen unter anderem mit Gauck, Marianne Birthler, Günter Nooke und Werner Schulz. Mit Birthler und Nooke wechselte er ein halbes Jahr später in den Landtag von Brandenburg. Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) berief ihn zum Umweltminister. Inzwischen Sozialdemokrat, ließ sich Platzeck 1998 zum Oberbürgermeister von Potsdam wählen. Im Jahre 2002 löste er Stolpe als Ministerpräsident ab.

An die Spitze der SPD also trat ein Mann mit einer ungewöhnlichen Biografie, nebenbei erst- und letztmalig übrigens ein Ostdeutscher. Die Traditionen der Partei, ihre gepflegte Folklore mit Bergmannskapellen und „Glück auf“-Grüßen waren ihm so fremd wie Gelsenkirchen, Bochum und Duisburg. Umso größer schien der Reiz eines solchen Parteivorsitzenden mit Bürgerrechts-Anteilen und ökologischem Impetus. Mancher sah in Platzeck schon einen Kanzler. „Wir brauchen keinen Messias, wir haben einen Matthias“, hieß es damals in der SPD.

Die Erwartungen an ihn also waren hoch. Zu hoch. Mit Tränen in den Augen, angeschlagen und emotional ergriffen kündigte Platzeck im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt als Parteichef an. Nur 147 Tage lang dauerte die Geschichte des Hoffnungsträgers Platzeck. Nun begann sein Abstieg. Das Regieren in Brandenburg erfolgte weitgehend ambitionslos. Platzeck und seine mittelmäßigen Minister verwalteten mehr, als dass sie gestalteten. Den Wechsel des Koalitionspartners von der CDU zur Linken begleitete er mit historisch fragwürdigen Vergleichen.

Es folgte das Debakel um den Berliner Flughafen auf brandenburgischem Boden, dessen Aufsichtsratsvorsitz Platzeck schließlich von Klaus Wowereit übernahm. „Entweder das Ding fliegt, oder ich fliege“, sagte Platzeck. Der peinliche Skandal ohne absehbares Ende verlangte ihm Gesten der Demut ab. Der Ärger um das Projekt dürfte den sensiblen Platzeck angegriffen haben, beileibe nicht nur politisch.