Kanzleramtschef Pofalla gibt erste Antworten in Ausspähaffäre. US-Dienst bestreitet flächendeckende Überwachung

Berlin. Irgendwann kommt selbst der erfahrene Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele durcheinander. Im Untergeschoss des Bundestages, gleich um die Ecke des abhörsicheren Sitzungssaales, sagte der Innenexperte nach der extra angesetzten Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr): „Ich empfehle der Bundesregierung deutlich, Kontakt zu Herrn Prism aufzunehmen!“

Ströbele verbesserte sich umgehend. Er wollte natürlich Snowden sagen, den Namen des ehemaligen Mitarbeiters des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA), der mit seinen Enthüllungen über das Ausspähen der Amerikaner unter anderem die mittlerweile fünf Sitzungen des geheim tagenden Gremiums erst möglich gemacht hat. Dass Ströbele Prism sagte – so nennt sich das umstrittene Ausspähprogramm, hinter dem noch immer viele Fragezeichen stehen – zeigt wohl, wie groß mittlerweile die Verwirrung darüber ist, um was es bei dieser sogenannten Spähaffäre eigentlich geht.

Die Existenz von Prism haben die USA zwar nicht bestritten. Doch noch immer stochern Öffentlichkeit und selbst befreundete Regierungen im Dunkeln, wenn es darum geht, was dieses Programm genau macht – und in welcher Form deutsche Bürger davon betroffen sind. Deshalb sollte nun Ronald Pofalla vor den elf Abgeordneten auftreten. Die Erwartungshaltung vor dem Besuch des Kanzleramtschefs, der eben auch für die Koordination der deutschen Nachrichtendienste zuständig ist, war riesengroß: Die Opposition machte Druck und forderte unter anderem Aufklärung über die Vorwürfe des Wochenendes, wonach die Zusammenarbeit zwischen hiesigen Nachrichtendiensten und der NSA wesentlich enger als bisher dargestellt sein soll.

Auf der anderen Seite gab es etwa die Nachrichtendienste. Diese erhofften sich, endlich aus der Schusslinie zu kommen. Pofalla sollte ausputzen. Und nach dieser fast dreineinhalbstündigen Sondersitzung muss man sagen: Pofalla tat dies – aber offenbar nur so gut, wie er konnte. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags, Thomas Oppermann (SPD), machte jedoch klar: „Wir sind kein Stück weitergekommen.“ Noch immer liegen offenbar nur wenige Informationen aus den USA vor. Zudem hat die Opposition sehr viele Fragen. Deshalb wird es in den kommenden Wochen zwei weitere Sitzungen des Kontrollgremiums geben.

Manches scheint mittlerweile jedoch geklärt. Dazu hat auch beigetragen, dass sich die NSA erstmals seit Beginn der Affäre in einer Stellungnahme geäußert hat. Demnach überwacht der Geheimdienst nicht millionenfach die Daten deutscher Bürger. Zudem gebe es – wie bereits der BND mitgeteilt hatte – verschiedene Programme mit Namen Prism, die Bundesregierung habe also nicht schon 2011 von dem Ausspähprogramm gewusst, wie es zwischenzeitlich hieß. In dem Dokument, das mit „official use only“ gestempelt ist, heißt es, dass es gar drei verschiedene Programme mit dem Namen gebe. „Deutsche Medien verwechseln zwei unterschiedliche , eigenständige Prism-Programme“, steht im Schreiben des US-Geheimdienstes ans Kanzleramt. Das erste Prism-Programm, das durch die Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden bekannt wurde, werde gemäß dem Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) eingesetzt.

Ziel sei die Terrorismus- und Cyber-Abwehr sowie die Bekämpfung von nuklearer Proliferation. Es handle sich nicht um ein flächendeckendes und willkürliches Überwachungsprogramm, so die NSA weiter. „Die NSA und der Rest der US-Regierung können dies nicht nutzen, um willkürlich den Inhalt privater Kommunikation von Bürgern anderer Nationen zu sammeln“, heißt es. „Die Nutzung dieses Programms findet fokussiert, zielgerichtet, auf rechtlicher Basis statt und ist alles andere als pauschal.“ Das zweite Prism-Programm sei ein vom US-Verteidigungsministerium in Afghanistan genutztes „Tool“, um geheimdienstliche Informationen zu sammeln und nach ihnen zu suchen. Außerdem gebe es ein drittes, ebenfalls von der NSA genutztes Prism-Informationsportal, das völlig unabhängig zu dem von Snowden beschriebenen Überwachungsprogramm betrieben werde. Der Name des Programms laute Portal for Real-time Information Sharing and Management (Prism).

Pofalla bestritt indes vehement, dass die deutschen Dienste rechtswidrig die USA bei Abhöraktionen unterstützten. „Die deutschen Nachrichtendienste arbeiten nach Recht und Gesetz“, sagte Pofalla. Er wies zudem Berichte zurück, dass der BND-Präsident Gerhard Schindler eine laxere Praxis beim Datenschutz und der Übergabe von Daten an andere Dienste gefordert habe. Ihm liege kein solcher Antrag vor. Schindler habe ihm zudem schriftlich bekräftigt, dass er dies nicht gefordert habe. Oppermann allerdings sah dies anders. Der SPD-Politiker sagte: „Der Präsident hat tatsächlich versucht, Vorschriften im G-10-Gesetz extensiver auszulegen.“

Union und FDP machten ihrerseits die frühere rot-grüne Bundesregierung dafür verantwortlich, nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Geheimdienstzusammenarbeit mit den USA ausgeweitet zu haben. Sie wollen dazu in der nächsten PKG-Sitzung den damaligen Kanzleramtschef und heutigen SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier sowie den früheren BND-Chef Ernst Uhrlau hören. Die Opposition behält sich vor, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorzuladen.

Das Portal „bild.de“ berichtete, die NSA habe auch die Kommunikation der Bundesregierung ausspioniert. Die Redaktion berief sich auf von Snowden veröffentlichte Geheimpapiere, aus denen dies hervorgehe. Und die Mehrheit der Deutschen glaubt in der US-Spähaffäre nicht an die angebliche Ahnungslosigkeit der Bundesregierung. Laut einer repräsentativen Emnid-Umfrage vermuten 74 Prozent, Pofalla und Merkel (CDU) hätten von Überwachungsaktionen der NSA gewusst.