Mit neuem Sprecher will Kanzlerkandidat Peer Steinbrück 100 Tage vor der Wahl das Ruder herumreißen

Berlin. Gut drei Monate vor der Bundestagswahl hat SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück seinen Sprecher Michael Donnermeyer entlassen, einen seiner engsten Mitarbeiter. Neuer Pressesprecher Steinbrücks wird der frühere Leiter des „Bild“-Hauptstadtbüros, Rolf Kleine. Es gehe um einen Wahlkampf mit „professionellen Abwägungen“, sagte Steinbrück. Zu Gründen für den Rauswurf Donnermeyers hielt sich der frühere Finanzminister bedeckt. „Das brauche ich nicht zu erklären“, sagte er. „Weil ich mir von einer Neubesetzung eine Stärkung verspreche.“

Innerhalb der SPD werden – bei aller Loyalität zu Steinbrück – die miserablen Umfragewerte mit wachsender Sorge betrachtet. Das Institut Infratest Dimap taxiert die Sozialdemokraten bei 27 Prozent. Vor der Ausrufung Steinbrücks zum Kandidaten hatte die SPD durchschnittlich bessere Werte erzielt. Das ungeschickte Kommunikations- und Krisenmanagement in den vergangenen Monaten wurde oftmals Donnermeyer zur Last gelegt. Dennoch überraschte Steinbrück die Partei mit seiner Entscheidung. Über eine Ablösung des Sprechers war immer wieder gemutmaßt worden, zuletzt indes weniger.

Der neue Pressesprecher Kleine kündigte an: „Ich werde mich für die nächsten 100 Tage in die Sache voll reinhängen.“ Die Berufung sei „sehr kurzfristig“ zustande gekommen. Der Vertrag mit seinem bisherigen Arbeitgeber, einem Immobilienkonzern, sei „mit dem heutigen Tage, zu heute Morgen gekündigt worden“, sagte Kleine. Innerhalb der SPD wurde die Berufung Kleines mit Erleichterung registriert. Von einer „sehr guten Personalie“ war in Parteikreisen die Rede. Die Erwartungen an den neuen Sprecher sind entsprechend groß.

Steinbrück will Kampfeswillen an den Tag legen. Doch die Komplettierung seines Kompetenzteams geriet ihm eher zur Durchhalteparole. Die SPD gehe mit der „bestmöglichen Reichweite und Wirkungskraft auf allen Positionen“ in die letzten 100 Tage vor der Bundestagswahl am 22. September, sagt der Kanzlerkandidat. „Unser Hauptproblem ist nicht die Union, sondern Wahlmüdigkeit“, sagte ein Führungsmitglied.

Allen Umfragen und Unkenrufen zum Trotz sieht sich die SPD gut aufgestellt – was überraschend klingt. „Die Ausgangslage ist jetzt besser als vor vier oder acht Wochen“, sagte ein Stratege aus dem Führungskreis. Der Kanzlerkandidat mache seine Arbeit, habe Fehler abgestellt. Sein Schattenkabinett oder Kompetenzteam könne nun auf bestimmte Zielgruppen zugehen. Und was mit Blick auf den Sprecherwechsel rasch mit „Peers Paukenschlag“ überschrieben wird, sehen Strategen in der Partei als zweitrangig. „Wahlen werden nicht von Pressesprechern entschieden“, hieß es in der Parteiführung.

Zuversichtlich stimmt die Wahlkämpfer der SPD, was sie als Fehler von Bundeskanzlerin Angela Merkel einordnen. Mit ihren Wahlversprechen ohne Gegenfinanzierung habe sich die CDU-Chefin auf das Feld der Innenpolitik begeben und damit die größte Sorge der SPD ausgeräumt, dass die Euro-Schulden-Krise alles verdränge. Merkel habe soziale Gerechtigkeit zum Wahlkampfterrain erklärt. Das sieht die SPD als ihr Kernkompetenzthema. „Ein Wahlkampf um soziale Themen liegt uns eher als um Euro und Konsolidierung“, hieß es in der Partei.

Stoßrichtung sollen nun die Zuspitzung der Themen und die Mobilisierung der SPD-Anhänger sein. „Wir müssen nun sagen, wo die Hauptunterschiede liegen“, sagte ein Führungsgenosse. „Auch um den Einschläferungsversuchen der anderen Seite Paroli zu bieten. Da haben wir noch was zu tun.“ Bei der Wahl 2009 hatte die SPD 6,2 Millionen Wähler verloren. Ein Großteil von ihnen war schlicht zu Hause geblieben, nachdem Merkel aus Sicht der SPD in einem Wahlkampf der „asymmetrischen Demobilisierung“ inhaltliche Unterschiede verwischt hatte.

Auf die Mobilisierung enttäuschter SPD-Anhänger zielt auch Steinbrücks Kompetenzteam. Ein populäres Überraschungsmitglied mit Strahlkraft in die CDU-Anhängerschaft konnte er nicht aufbieten. Das war auch nicht die Absicht: Seinen Paukenschlag landete Steinbrück in der ersten Vorstellungsrunde mit dem Gewerkschaftschef Klaus Wiesehügel für den Posten eines Arbeits- und Sozialministers. Der Wahlkampf von Steinbrück und dem einstigen Agenda-2010-Kritiker komme einer „Wiedervereinigung der SPD“ gleich, hieß es in der SPD. Der IG-BAU-Chef steht für die organisierte Arbeitnehmerschaft. Steinbrück unterstrich seine „wichtige Ausstrahlung, die wichtige Wirkung auf einen Wählerbereich, an dem die SPD nie wird vorbeigehen können“.

Ein wirkliches Schattenkabinett konnte Steinbrücks Team nicht sein – zumal feststand, dass Schwergewichte wie Parteichef Sigmar Gabriel, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Generalsekretärin Andrea Nahles nicht dabei sein würden, weil sie eigene Bühnen bespielen. Gleichwohl wären sie bei einer Regierungsbeteiligung die Ersten mit einem Anspruch auf einen Kabinettsposten.

Blickt man auf die Umfragen, scheint mehr Kompetenz in der SPD dringend vonnöten. Der ARD-Deutschlandtrend bescheinigte ihr gerade, dass ihr nur bei Familienpolitik, sozialer Gerechtigkeit und bezahlbarem Wohnraum mehr zugetraut wird als anderen Parteien. Zudem rumpelt es in den Absprachen der Führungscrew, wenn Gabriel mitteilen lässt, dass er ans Hochwasser in seinem langjährigen Wohnort Magdeburg fährt – und Steinbrück einem „Gummistiefelwettbewerb“ zeitgleich eine Absage erteilt.