Beate Zschäpes Verteidigerin beklagt die Vorverurteilung ihrer Mandantin durch die Ermittler. Der erste Angeklagte schildert sein Abrutschen in die Neonazi-Szene.

München. Beate Zschäpe kann im Verfahren gegen sich nicht viel ausrichten. Sie will nicht sprechen, sie will nichts mitteilen, sie ist zum Zusehen verdammt. Nur eine Sache versucht sie zu kontrollieren: die Zahl der druckbaren Fotos auf ein Minimum zu reduzieren. Als sie zum fünften Verhandlungstag um 9.45 Uhr den Saal A101 im Münchner Oberlandesgericht mit einer H&M-Tüte betritt und zu ihrem Platz eilt, blickt sie zu Boden und lässt die Haare wie einen Vorhang vors Gesicht fallen. Am Tisch angekommen dreht sie sich mit dem Rücken zu den Fotografen und achtet peinlich genau darauf, sich erst hinzusetzen, wenn diese den Raum verlassen haben.

Es ist 9.58 Uhr, und auch an diesem Dienstag prasseln viele Anträge auf die Anwesenden hernieder. Zunächst lehnt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl alle Anträge der Verteidiger ab, die schon vor drei Wochen gestellt worden waren. Ralf Wohllebens Verteidigerin verlangte die Einstellung, weil ihr Mandant vorverurteilt wurde. Abgelehnt. Zschäpes Anwälte beantragten, dass zwei Bundesanwälte wegen Befangenheit abberufen werden. Abgelehnt. Und dann probiert es Anwältin Anja Sturm noch einmal, sie verliest über 90 Minuten einen Antrag, in dem sie die angebliche Vorverurteilung von Zschäpe dokumentiert und darlegt, dass es sich hierbei um ein „absolutes Verfahrenshindernis“ handeln würde. So zählt Sturm viele V-Leute aus dem rechtsextremen Spektrum auf, die die Verwicklung staatlicher Stellen belegen sollen. Auch habe die Unschuldsvermutung nicht gegolten, es sei einseitig ermittelt worden. Durch die „öffentliche Vorverurteilung“ von Behörden und vor allem der Zeugen könnten keine unbeeinflussten Aussagen mehr erwartet werden. Kriminalbeamte seien einem hohen Erwartungsdruck ausgesetzt; eine „ordnungsgemäße Beweisaufnahme“ sei nicht mehr möglich.

Den Paragraphen, den Zschäpes Anwälte im Auge haben, ist der Paragraph 260, Absatz 2 der Strafprozessordnung. Dort steht, dass ein Verfahren eingestellt werden muss, wenn „Verfahrenshindernisse“ dem Abschluss entgegenstehen. Es gab in der deutschen Rechtsgeschichte einen solchen Fall, den „Schmücker-Fall“. Im Jahre 1974 wurde der Terrorist und Informant des Verfassungsschutzes Jürgen Schmücker im Berliner Grunewald erschossen. Die Waffe, mit der der Mord geschah, lag 15 Jahre lang im Tresor des Berliner Verfassungsschutzes. Die Rolle der Behörde wurde nie geklärt, und in den vier Prozessen konnte nie ein Täter ermittelt werden. Nach 26 Jahren wurde das vierte Verfahren schließlich eingestellt, weil die Richterin wegen der Verstrickung der Behörden kein faires Verfahren mehr garantieren konnte.

Doch ist er Fall NSU ein Fall Schmücker? Bislang sind Pannen bekannt geworden, Fehler, Peinlichkeiten der Polizei und der Verfassungsschützer. Aber keine aktive Mitwirkung bei Morden und Banküberfällen des Trios.

Um 15.45 Uhr beginnt die Hauptverhandlung dann richtig wirklich. Der Angeklagte Carsten S. will aussagen, in vollem Umfang, und es ist das erste Mal in diesem Prozess, dass nicht ein Profi das Wort hat sondern jemand, dessen Zukunft auf dem Spiel steht. „Geboren bin ich am 6.2.1980“, so beginnt Carsten S. seinen Lebenslauf, und es klingt wie der Beginn einer langen Beichte. Zum ersten Mal dreht sich Beate Zschäpe und blickt ihrem ehemaligen Gesinnungsgenossen ins Gesicht. Sie kennen sich aus Jena, verkehrten in den gleichen rechtsextremen Kreisen. Carsten S. spricht flüssig, drückt sich klar aus.

Der Angeklagte berichtet von seiner Mutter, die an einer Psychose erkrankte und daher mit der Familie nach einem Aufenthalt in Jugoslawien wieder nach Jena zurückzog. Er erzählt von der gescheiterten Konditorlehre, die er Mitte der 90er-Jahre in Springe (Niedersachsen) begann und nach drei Monaten abbrach, berichtet von der Lehre als Kfz-Lackierer, die er, wieder in Jena, 1999 abschloss. Und er schildert, wie er 2003 nach Düsseldorf zog, wo er Sozialpädagogik studierte und sich im Schwulenreferat engagierte, wie er in Beratungsstellen für schwule Männer, zuletzt bei der Aids-Hilfe Düsseldorf arbeitete. Nach Aufforderung des Richters spricht er auch über seine Homosexualität.

In die Neonaziszene eingestiegen sei er im Jugendclub Winzerla in Jena. Am 1. März 1997 ging der damals 17-Jährige zum ersten Mal auf eine NPD-Demo, sie richtete sich gegen die Wehrmachts-Ausstellung. Schon damals mischte sich die Faszination für Uniformen und Springerstiefel, die Carsten S. nahezu erotisch anzogen, mit dem Gefühl von Zusammenhalt und Kameradschaft, das der Einzelgänger vorher nicht kannte. Er blieb dabei.

Erst 1999, Anfang 2000 will er Zweifel gehabt haben. Der junge Rechtsradikale sollte Landesvorsitzender der „Jungen Nationalen“ werden, dem NPD-Jugendverband. Als er den Film „The beautiful thing“ sah, ein Coming-out-Rührstück, habe er „Tränen in den Augen“ gehabt, sagt Carsten S. Und erinnert sich an einen Spruch vom Kameraden Wohlleben, ihn würde es „ankotzen“, wenn die Leute über ihn behaupten, dass er schwul ist. „Der Satz machte mir klar: Das sind nicht meine Leute“, sagt der Angeklagte. Wenige Wochen später habe er sich von der Szene abgewendet.

Aber zuvor, das gibt Carsten S. vor Gericht zu, hat er noch eine Ceska-Pistole mitsamt Schalldämpfer gekauft. Mit einer solchen Waffe beging der NSU seine Morde.