Hatten die mutmaßlichen Mörder Helfer in Norddeutschland? Zeugenaussagen im Zschäpe-Prozess sollen neue Erkenntnisse bringen. Wie wählte das Terror-Trio seine mutmaßlichen Opfer aus?

Hamburg. Der Tasköprü Market lag in der Schützenstraße in Bahrenfeld, etwa 80 Meter entfernt von der Stresemannstraße, von dort geht es direkt zur Autobahn A7, in wenigen Minuten ist man mit dem Auto dort – und weg, raus aus Hamburg. Ein guter Fluchtweg.

Als Süleyman Tasköprü im Juni 2001 in seinem Lebensmittelgeschäft durch gezielte Kopfschüsse ermordet wurde, lagen gegenüber keine Wohnungen mit vielen Augenzeugen, sondern das Gelände des Lebensmittelkonzerns Kühne. Die Schützenstraße ist eher eine ruhige Straße. Wer als Täter diesen Ort findet, muss Hamburg lange ausspähen. Er kann zufällig darauf stoßen oder hat Helfer vor Ort.

Wie wählte das mutmaßliche Terror-Trio um Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt die Menschen aus, für deren Tod sie verantwortlich sein sollen? Es ist vor allem diese Frage, die den Ermittlern seit Auffliegen der NSU-Mordserie Rätsel aufgibt. Und es ist diese Frage, auf die die Angehörigen im Prozess eine Antwort erwarten. An diesem Dienstag sollen die ersten Zeugen vernommen werden.

In der ausgebrannten Wohnung des NSU in Zwickau fanden Polizisten „Das Telefonbuch für Deutschland“, in dem die Gruppe alphabetisch sortierte Adressdaten gesammelt haben soll. Die Lage der ausgekundschafteten Adressen haben die Täter in Stadtpläne eingetragen. Pläne mit Notizen zu 14 Städten fanden die Ermittler, 191 Objekte und Straßen sind dort verzeichnet. Auch zwölf Punkte in Hamburg. Doch die Ermittler notieren in den Akten auch: Das Kartenmaterial von Hamburg mit handschriftlichen Notizen weise „keinen zeitlichen oder räumlichen Bezug zum Tatort des Mordes an Süleyman Tasköprü“ auf.

Generalbundesanwalt Harald Range sieht keine Belege für die Beteiligung ortskundiger Helfer. Die Ermittler des Hamburger Verfassungsschutzes geben an, dass die Überprüfung der Personen im NSU-Komplex sogar den Arbeitsaufwand des Landesamtes nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York überstiegen hätten. Und auch Landesamtschef Manfred Murck sagte dem Hamburger Abendblatt: „Es gibt nach wie vor keinen Beleg dafür, dass Neonazis aus Hamburg Unterstützer oder Mitwisser der rechtsterroristischen Zelle waren.“

Wer die Akten liest, bekommt einen Eindruck von den aufwendigen Überprüfungen der Ermittler. Nach der Enttarnung des Trios glichen die Hamburger Behörden Namen von Neonazis im Norden mit Verdächtigen ab, sammelten Angaben über Demonstrationen. Die Akten zeigen, dass es keine konkreten Hinweise auf Mitwisser und Helfer in Hamburg gibt. Es bleibt die Vermutung, dass das Trio allein handelte.

Aber die Verfassungsschützer ermittelten aus Altakten, dass auch Hamburger Neonazi-Größen wie Thomas Wulff auf Protestmärschen der Rechtsextremen in Ostdeutschland waren. Am 1. Mai 1998 beispielsweise kam es am Rande einer Kundgebung in Thüringen zu einem Treffen mit Tino Brandt und Andre K. Brandt war Mitgründer des „Thüringer Heimatschutzes“, in dem auch Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt aktiv waren. K. war dort zu dieser Zeit ebenfalls Führungskader und bis zum Untertauchen des NSU-Trios 1998 ein enger Freund von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Gegen ihn laufen nach Berichten der „Süddeutschen Zeitung“ derzeit noch Ermittlungen in der NSU-Mordserie.

Das NSU-Trio soll mit einem Hamburger Neonazi-Magazin geredet haben

Im Mai 1999 erschien in der Hamburger Neonazi-Zeitschrift „Hamburger Sturm“ ein Interview „aus dem Untergrund“. Die Interviewten wollen anonym bleiben, das Foto auf Seite 9 der Zeitschrift zeigt einen Mann mit Sturmhaube. Über seine Pläne lässt der Interviewte keine Zweifel: „Unser Weg ist der aus dem Untergrund handelnde Aktivist“, heißt es in dem Artikel, der dem Abendblatt vorliegt. Man sehe: „Die Braunen Zellen leben.“ Und weiter: „Und der Staat sucht vergebens nach einer braunen RAF. Man darf einfach nicht vergessen das wir im Krieg sind mit diesem System und da gehen nun mal einige Bullen oder sonstige Feinde drauf.“ So steht es da, einschließlich der Rechtschreibfehler.

Nach Informationen des Hamburger Abendblatts hält das Bundeskriminalamt es für möglich, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Verfasser des Interviews sind. Vor allem aufgrund der Fehler in der Rechtschreibung. Aus den Sachakten zum Prozess gegen Beate Zschäpe geht hervor, dass die Bundesbeamten das Interview im „Hamburger Sturm“ mit einem weiteren Text aus dem Neonazi-Magazin aus Sachsen, „White Supremacy“, verglichen haben.

In der Ausgabe 3/2000 erschien dort der Artikel „Die Farbe des Rassismus“ eines „Uwe Unwohl“. Es bestehe der Verdacht, dass es sich dabei um Uwe Mundlos handele, heißt es in den Unterlagen, die dem Abendblatt vorliegen. In einer weiteren Akte der Verfassungsschützer untersuchten die Beamten Briefwechsel von Mundlos mit anderen Personen der rechtsextremen Szene. Auch hier fällt ihnen die Schreibschwäche auf. Dies erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass Mundlos tatsächlich das Interview im „Hamburger Sturm“ verfasst oder gegeben haben könnte.

Welche Kontakte hatte Mundlos zu den Machern des Heftes im Norden? Laut Verfassungsschutz wurde die Zeitschrift Ende der 90er-Jahre von der Kameradschaft Bramfeld herausgegeben. Sie nannte sich „Hamburger Sturm 18“. Hatte die Gruppe Kontakt zum untergetauchten NSU-Trio? In den Akten gibt dafür keine Beweise.

Als Polizisten im Januar 1998 in Jena sieben Wohnungen und Garagen mutmaßlicher Rechtsextremisten durchsuchten, fanden sie in der von Zschäpe angemieteten Garage auch eine Telefonliste von Mundlos. Auf der Liste steht Frank T., daneben eine Adresse in Quickborn bei Hamburg. Eine Kopie der Telefonliste liegt dem Abendblatt vor. Wer Frank T. ist, darüber gibt der Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein heute keine Auskunft. Die Beamten verweisen an den Generalbundesanwalt, der in der NSU-Mordserie ermittelt.