Der erste Prozesstag in München zeigt eine gelassene Angeklagte. Juristische Nickeligkeiten verzögern das Verfahren

München. Wenn es nicht so todernst wäre, wenn es nicht um die größte neonazistische Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik ginge – dann hätte die Szene im Saal A101 des Münchner Oberlandesgerichts durchaus Unterhaltungswert. Da steht sie, Beate Zschäpe, locker an den Tisch ihrer Verteidiger gelehnt, und plaudert mit ihrer Anwältin Anja Sturm, als sei dies eine alte Freundin. Den Fotografen, die kurz vor der Verhandlung noch Bilder im Saal machen dürfen, zeigt sie den Rücken. Mit verschränkten Armen und offenem Haar strahlt sie ein Selbstbewusstsein aus, als sei sie selbst Anwältin und nicht etwa die Hauptangeklagte, die wegen mehrfachen Mordes vor Gericht steht.

Möglicherweise neigen Zuschauer im Gerichtsaal dazu, Gesten und Mimik von Angeklagten überzubewerten. Da gibt es den Wunsch, Mörder zu „entzaubern“ oder ein vermeintliches „Monster“ wieder zu einem gewöhnlichen Menschen werden zu lassen. Wer Beate Zschäpe sieht, muss nichts deuten oder interpretieren. Hier zeigt sich eine selbstbewusste Frau, der diese Veranstaltung ziemlich egal zu sein scheint. Die anderen Angeklagten halten sich Aktendeckel vors Gesicht oder verbergen ihren Kopf in einem Kapuzenpulli.

Den Rummel um den Prozess hat sie vermutlich gar nicht mitbekommen. Seit den frühen Morgenstunden patrouillieren 500 Beamte rund um das Gerichtsgebäude in der Münchner Nymphenburger Straße, im Zelt vor dem Eingang zum OLG warten Hunderte Besucher und Journalisten, die bei der Platzverlosung leer ausgingen, auf Einlass. Demonstranten erinnern an die Opfer rechter Gewalt.

Und dann dauert es noch ein bisschen länger, bis es endlich losgeht. Richter Manfred Götzl, der Sicherheitsverfügungen im Wochentakt erlassen hat und ansonsten als überkorrekt beschrieben wird, ist unpünktlich. Erst um 10.23 Uhr betreten die Mitglieder des 6. Senats den Saal. Dort warten bereits die Bundesanwälte in ihren purpurnen Roben sowie die Angeklagten und Nebenkläger samt Verteidigern. Aber am ersten Verhandlungstag hat Götzl nicht einmal die Chance, die Anklage zu verlesen. Sofort nach der Feststellung der Anwesenheit liegt der erste Antrag auf den Tisch: Zschäpes Verteidiger lehnen Götzl als Richter ab, er sei befangen. Götzl hatte angeordnet, dass die Verteidiger vor Betreten des Sitzungssaals auf Waffen durchsucht werden – nicht aber Vertreter der Bundesanwaltschaft, Polizeibeamte oder Justizbedienstete.

Der Verteidiger Wolfgang Stahl beklagt, damit würden die Verteidiger unter den Verdacht gestellt, sich an „verbotenen und letztlich kriminellen Handlungen zu beteiligen“, das sei „diskriminierend“. Götzl lässt ihn zunächst jedoch auflaufen. Der Befangenheitsantrag sei zwar am Sonnabend zugestellt worden. Nun, am Montagmorgen, liege er aber erst vor. Und nun? Wegen des Antrags auf Befangenheit gegen Richter Götzl eskaliert die Situation in dem Saal, der mit seinen orangefarbenen Stühlen und dem vielen Teppichboden einer trostlosen Aula eines Schulzentrums aus den 70er-Jahren ähnelt. Ein Nebenklägeranwalt beschwert sich bei Zschäpes Anwälten: Der Antrag diene allein dazu, das Verfahren zu verzögern und das Leid der Opfer zu verlängern. Es gehe letztlich nur um verletzte Eitelkeit. Zudem wird der Vorwurf laut, Zschäpes Anwälte würden sich in ein Umfeld aus rechten Sympathisanten begeben. Stahl kontert: Seinen Antrag mit verletzter Eitelkeit zu erklären sei „feist“. Seine Kollegin Anja Sturm fügt hinzu, dass das Leid der Nebenkläger nicht das prozessuale Handeln der Verteidigung bestimmen dürfe. Und der dritte der Anwälte, Wolfgang Heer, wehrt sich gegen den unbegründeten Vorwurf, die Verteidigung habe einen rechten Schlag. Die Bundesanwaltschaft will über den Antrag beraten. Und Götzl bittet zur Mittagspause.

So stoßen die großen Erwartungen an Aussagen, an Geständnissen und Erkenntnissen erst einmal gegen eine Wand aus Formalien und juristischen Nickeligkeiten. Der Strafprozess ist kein Ort für Showdowns, wie man sie aus amerikanischen Gerichts-Thrillern kennt. Hier geht es formal zu, wird mit Anträgen und Erklärungen hantiert, loten Anwälte ihre Spielräume aus. Darum geht es, ums Verhandeln, gerade in den ersten Tagen dieses Mammut-Verfahrens, in dem viele Anwälte noch ihre Rolle und ihr Ziel finden müssen. Doch ist es das, was die ersten Neugierigen am Tag zuvor erwartet haben, als sie sich in die Schlange gestellt haben? Helmut Sieber ist die Nummer eins. Schon seit dem frühen Nachmittag steht der Rentner vor dem Münchner Justizzentrum in der Nymphenburger Straße.

So zäh wie das Warten auf den Prozess läuft auch die Verhandlung im Saal A101. Nach der Mittagspause macht sich Olaf Klemke, Anwalt von Ralf Wohlleben, auf, einen seitenlangen Antrag vorzulesen, mit dem er einen neuen Befangenheitsantrag begründen möchte. Wohlleben hat nur zwei Verteidiger bewilligt bekommen, Beate Zschäpe gestand Richter Götzl drei Juristen zu. Über zwei Stunden liest der Jurist Details aus der Akte vor, die Luft wird schwül, als ein Nebenkläger in einer Zeitung blättert, greift Götzl ein: „Das geht jetzt nicht!“ Aber es ist schwer, dem Vortrag zu folgen.

Oben auf der Tribüne sehen am Nachmittag zwei Neonazis der Verhandlung zu. Der eine ist Mike E., Bruder des Angeklagten André E., er hat einen Freund mitgebracht. Beide mussten, wie jeder Besucher, ihren Personalausweis kopieren lassen, damit etwaige „Störer“ dingfest gemacht werden können. Sie verhalten sich friedlich, geben keine Interviews. Neben ihnen sitzt eine Deutsch-Türkin. Sie hat mit den Nachbarn kein Problem: „Das sind halt Bürger, so ist es eben.“

Und die gut gelaunte Beate Zschäpe unterhält sich in der letzten Verhandlungspause mit ihren Anwälten, lässt sich etwas auf dem Handy ihres Verteidigers zeigen. Sie hat alle Zeit die Welt. Sie hat nichts mehr zu verlieren, im für sie schlimmsten Fall drohen ihr lebenslange Haft und anschließende Sicherheitsverwahrung. „Ich habe mich nicht gestellt, damit ich nichts sage“, hat sie auf dem Polizeirevier gesagt, als sie sich gestellt hatte. Ob sie aussagen wird, ist fraglich. Noch sieht sie sich in Ruhe an, wie dieser Maschinenraum A101, in dem Recht produziert werden soll, in Betrieb genommen wird. So langsam, dass die nächsten beiden Prozesstage ausfallen. Erst einmal wird über den Befangenheitsantrag entschieden.