Warum wir vom Gerichtsverfahren gegen Beate Zschäpe nicht zu viel erwarten dürfen

Die Enttäuschung wird kommen. Vielleicht schon nach wenigen Verhandlungstagen in einem der größten Prozesse der Bundesrepublik. Denn die Erwartungen sind hoch, zu hoch. Sie werden nicht erfüllt werden. Beate Zschäpe wird weiter schweigen, danach sieht es aus. Die Rolle von Polizei und Verfassungsschutz und ihr Versagen bei den Ermittlungen werden in dem Verfahren gegen Zschäpe und die mutmaßlichen Helfer des Nationalsozialistischen Untergrunds nicht aufgeklärt werden können. Und klar, Rechtsextremismus, Rassismus und Terrorismus wird es in Deutschland auch weiterhin geben.

Der Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht kann nicht all die Lösungen anbieten, die Angehörige der Opfer, manche Politiker und auch Bürger von ihm fordern. Aber trotzdem kann das Gericht eine Menge leisten. Und auch die eigenen Peinlichkeiten im Vorfeld des Prozesses wiedergutmachen. Die Richter haben eine große Chance: Sie können nun beweisen, dass ein deutsches Gericht trotz medialen Dauerfeuers, trotz zahlreich publizierter Recherchen von Journalisten gegen die Angeklagten, trotz des politischen Drucks und der engen Sicherheitsvorschriften ein faires und rechtsstaatliches Verfahren leistet. Am Montag begann der Prozess in München mit einer Verzögerung. In einem Antrag der Verteidiger wurde dem Richter Befangenheit vorgeworfen. Der Auftakt ist Sinnbild für ein Verfahren, das immer wieder von der Verteidigung verzögert werden wird, in dem es immer wieder neue Debatten und Taktieren über Verfahren und Vorgehensweise geben könnte - so wie zuletzt mit der Vergabe der Journalistenplätze.

Doch muss das Gericht souverän mit dieser Art von juristischem Störfeuer der Verteidigung umgehen. Die Richter benötigen einerseits Fingerspitzengefühl für die Besonderheit des NSU-Prozesses, aber eben auch Robustheit, um die Unabhängigkeit des Verfahrens nicht zu gefährden. Bisher fehlte dem Gericht vor allem Ersteres.

Den Schmerz vieler Angehöriger der Opfer wird der Prozess nicht lindern können. Rechtsextremismus wird es weiterhin geben. Dennoch könnte die Berichterstattung über das Verfahren die Öffentlichkeit sensibilisieren. Denn nicht nur Polizei und Verfassungsschutz haben versagt bei der Aufklärung der Mordtaten. Auch Journalisten, Politiker, aber auch die Bürger selbst sind nicht darauf gekommen, dass die Morde an Menschen mit ausländischen Wurzeln einen rechtsextremen Hintergrund hatten. Uns allen fehlte die Aufmerksamkeit, die Wachsamkeit gegenüber einer Radikalisierung im rechtsextremen Milieu. Die Bilder aus dem Prozess werden uns das immer wieder mahnend vor Augen führen.

Was aber kann der Prozess nicht leisten? Beate Zschäpe, so sieht es aus, wird im Saal des Münchner Oberlandesgerichts schweigen. Nur sie könnte aber Auskunft über eine Frage geben, die noch immer vor allem den Angehörigen der Mordopfer auf schmerzhafte Weise unbeantwortet blieb: Warum tötete der NSU ausgerechnet Enver Simsek? Warum Süleyman Tasköprü in Hamburg-Bahrenfeld? Nach welchen Kriterien wählte das Trio um Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seine Opfer aus? Gab es Helfer vor Ort? Das Gericht wird Zschäpes Recht zu schweigen nicht brechen können und dürfen. Auch auf eine weitere bisher ungeklärte Fragen kann wohl nur Zschäpe eine Antwort geben: Warum beging der NSU nach 2007 keine weiteren Morde? Der letzte der zehn Morde traf eine Polizistin. Änderten die Rechtsterroristen ihre Strategie?

Sicher, es geht in dem Prozess um die individuelle Schuldfrage der fünf Angeklagten. Trotzdem ist es richtig, alle Fälle, alle Beschuldigungen, alle Zeugen und Gutachten zum NSU in einem großen Verfahren zu verhandeln. Nur so kann ein mögliches Netzwerk der Terroristen, ihre Pläne und Verstrickungen aufgedeckt werden. Es wäre eine große Leistung des Gerichts.