Der Kanzlerkandidat sieht Gewerkschaften als Verbündete. In Umfragen stürzt er ab. Jetzt hofft Steinbrück auf Niedersachsen.

Berlin. Die Umfragwerte im freien Fall, missglückte Interviews und öffentliche Auftritte - da sind dringend Hilfe, Trost und Unterstützung gefragt. Etwas mehr Wärme hat SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück am Mittwoch bei den Gewerkschaften gesucht. Bei der Klausurtagung des DGB spult er sein Wahlprogramm ab, routiniert und eloquent wie immer. Am Ende der Kanzlerkandidatenrede beim DGB bleibt hängen: Die SPD macht künftig alles besser. Sie ist die Partei des sozialen Zusammenhalts. Und da es so viele gemeinsame Auffassungen gebe, könnten die sechs Millionen Mitglieder der Gewerkschaften bei der Bundestagswahl ruhig ihr Kreuzchen bei den "Sozen" machen. So Steinbrücks Botschaft. Selbst DGB-Chef Michael Sommer spricht von "vielen Schnittmengen".

Es gibt nur ein Problem. Die Umfragewerte für SPD und ihren Spitzenkandidaten sind schlecht. Inzwischen sind die Sozialdemokraten auf 23 Prozent abgesackt und damit wieder auf dem Tiefstand der Bundestagswahl von 2009 angekommen. Steinbrück selbst würden nur noch 18 Prozent der Befragten direkt zum Kanzler wählen, vier Prozentpunkte weniger als noch in der Vorwoche.

Nachdem Kanzlerin Angela Merkel am Vortag den Schulterschluss mit den Gewerkschaftsbossen suchte, zieht der SPD-Kandidat alle Register, sich und seine Partei als Wunschpartner der Arbeitnehmer zu profilieren. Er bringt dafür nicht nur zwei Stunden und damit mehr Zeit als die Kanzlerin für das Gespräch mit den Gewerkschaftern mit, er beantwortet anschließend auch noch geduldig Fragen. Die Kanzlerin verschwand nach einem Statement von gerade mal 180 Sekunden.

Der gebeutelte Kandidat zeigt sich weder resigniert noch depressiv, eher trotzig. Die Kritik an ihm führt auch dazu, dass sich die SPD-Reihen schließen. Zuspruch kommt von führenden Genossen. So will SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier am Kanzlerkandidaten festhalten, auch wenn es bei der Landtagswahl in Niedersachsen am Sonntag für Rot-Grün nicht reichen sollte. Auch Deutschlands beliebteste SPD-Politikerin, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, legt sich für Steinbrück ins Zeug. Die erfahrene Strategin wählt ihre Worte sorgsam, als sie sich zu Steinbrücks Honorar-Millionen äußert: "Jemand, der gut verdient, kann trotzdem die Interessen von Menschen vertreten, denen es nicht so gut geht. Ich verdiene auch sehr gut und nehme das auch für mich in Anspruch." Sie wisse, "wie wichtig ihm die Anliegen sind, die sich auf den Zusammenhalt unserer Gesellschaft beziehen", sagt die Vorsitzende der NRW-SPD - dem größten Landesverband der Sozialdemokraten. Soziale Themen seien dem Kandidaten wichtig, was sich auch im SPD-Grundsatzprogramm niedergeschlagen habe. Eine Wahlempfehlung gibt Sommer - trotz aller Nähe zum Mittwochs-Gast - aber ausdrücklich nicht. Denn der DGB will sich nicht noch einmal - wie zu Zeiten der Kohl-Regierung und auch noch zur Bundestagswahl 2002 - vor den Karren der SPD spannen lassen. Sein Eindruck nach den Gesprächen mit Merkel und Steinbrück sei, "dass die Kanzlerin an der Macht bleiben will und der Kanzlerkandidat an die Macht kommen will. Und wir wollen einen Politikwechsel." Dafür stünden die Zeichen gut.

Und weil Niedersachsen die Signalwirkung für die Bundestagswahl im September zugeschrieben wird, ist Steinbrück derzeit viel zwischen Harz und Emsland unterwegs. Dort will er dem SPD-Spitzenkandidaten Stephan Weil helfen, am Sonntag Schwarz-Gelb vom Thron zu stoßen. Die derzeitigen Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Ein Sieg der SPD brächte auch Steinbrück zur Abwechslung mal positive Nachrichten.

In dieser Situation hätten ihm die "Wohnzimmergespräche" gerade recht sein können. Am Montag besuchte er zum Auftakt eine Familie in der Nähe von Braunschweig zum Kaffee, um mit ihr und ihren Gästen ins direkte Gespräch zu kommen. Ganz privat, schön kuschelig - und ohne Journalisten. Einer der Gäste berichtete dann der "Gifhorner Rundschau" von dem Besuch. Eine "offene und konstruktive Diskussion" sei es gewesen, Steinbrück sei "authentisch norddeutsch", sagte die Tochter der Gastgeber, die ebenfalls an dem Gespräch teilnahm. Kurz darauf stellte sich jedoch heraus, dass ausgerechnet sie eine ehemalige Mitarbeiterin von SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil ist. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter machten schnell Häme und Spott unter dem Stichwort "Eierlikörgate" die Runde, während sich die SPD um Schadensbegrenzung bemühte.

+++ Leitartikel: Die Kandidaten-Frage +++

Heil und auch Steinbrück sollen nicht gewusst haben, dass es sich um einen Besuch bei Genossen handelte. Steinbrücks Sprecher Michael Donnermeyer betonte, beworben habe sich die Mutter der ehemaligen Heil-Mitarbeiterin. Man könne die Leute nicht bis in die zweite Generation checken.

Teil des "Wahlkampfs von unten", nannte Gabriel die Wohnzimmer-Termine. "Machen Sie sich auf was gefasst", sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles Anfang Dezember. "Wenn es klingelt, kann es Peer Steinbrück sein." Es stellt sich nun die Frage, wie produktiv Auftritte Steinbrücks in der heißen Phase des Wahlkampfs in Niedersachsen sind und wie er der SPD nutzt?

Unabhängig vom Ausgang der Wahl in Niedersachsen will die Partei an ihrem Kanzlerkandidaten festhalten. "Peer Steinbrück ist Kanzlerkandidat vor und nach der Niedersachsen-Wahl", sagt SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier in "Spiegel Online". Und fügt hinzu, die SPD habe mit Steinbrück "einen guten Kanzlerkandidaten". Seine Partei habe noch acht Monate Zeit, um Angela Merkel aus dem Amt zu heben. Ansonsten ärgere sich Peer Steinbrück selbst über die Dinge, die nicht rund gelaufen sind.