Der SPD-Kanzlerkandidat absolviert seinen ersten außenpolitischen Auftritt und debattiert über die Rolle Europas in Asien.

Berlin. Vor ein paar Wochen noch hätte diese kleine Diskussionsrunde kaum jemanden interessiert. Ein ehemaliger deutscher Finanzminister war auf Einladung der Körber-Stiftung ins Berliner Humboldt-Forum gekommen, um mit einem australischen Ex-Premierminister, einem chinesischen Unternehmer und einem indischen Politikwissenschaftler über die Rolle Europas im asiatisch-pazifischen Jahrhundert zu reden. Ein wichtiges Thema, zweifellos. Aber in der nur rudimentär an Außen- und Sicherheitspolitik interessierten deutschen Öffentlichkeit wäre die Debatte weit unterhalb der Wahrnehmbarkeitsschwelle geblieben.

Jetzt aber ist Peer Steinbrück der Kanzlerkandidat der SPD - und könnte damit schon bald ein "mächtiger Mann in dieser Welt" sein, wie es Professor Brahma Chellaney aus Neu-Dehli ausdrückte. So weit ist es längst nicht. Aber immerhin war der 90-minütige Auftritt die Gelegenheit für Steinbrück, einige Grundlinien jener Außenpolitik zu skizzieren, die von ihm als Regierungschef verfolgt würden. Das garantierte Aufmerksamkeit - nicht nur von der Öffentlichkeit, sondern auch von möglichen künftigen Kabinettsmitgliedern. Die dürften sich besonders dafür interessieren, was der 65-Jährige zur Bedeutung der Minister zu sagen hatte.

EU ist Modell für Lösung von Konflikten in anderen Teilen der Welt

Im Zuge der Euro-Krise sei sehr deutlich geworden, sagte Steinbrück, dass der außenpolitische Einfluss "derjenigen oder desjenigen gewachsen ist, der im Kanzleramt sitzt". Ohne den Namen der Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU) zu nennen, führte er aus: "Sie beherrscht das europäische Parkett, mit abnehmender Bedeutung des Außenministers, mit einer marginalen Rolle des Wirtschaftsministers und einer dominanten Rolle des Finanzministers." Das lässt sich als Häme in Richtung der für Auswärtiges und Wirtschaft zuständigen Amtsinhaber Guido Westerwelle und Philipp Rösler interpretieren. Wahrscheinlicher aber war es schlicht als analytische Zustandsbeschreibung gemeint. Schließlich ist angesichts des ausgeprägten Selbstbewusstseins des Kandidaten nicht davon auszugehen, dass sich an diesem Status quo unter einem Kanzler Steinbrück irgendetwas ändern würde. Ein das Amt des Vize-Kanzlers und vor allem Einfluss anstrebender Koalitionspartner täte wohl gut daran, sein Heil im Finanzministerium zu suchen.

Inhaltlich hielt sich Steinbrück an die Strategie, die er jüngst schon bei der Europadebatte im Bundestag verfolgt hatte. Wenn es um die Anprangerung von Missständen geht, findet der Kandidat forsche Worte. Die Europäische Union, beklagte er, versuche sich seit vielen Jahren ohne großen Erfolg an der Entwicklung einer gemeinsamen Außenpolitik, "nicht nur gegenüber Asien, sondern vor allem auch gegenüber dem Nahen Osten, den Palästinensern, Israel, dem Iran, Russland". Europa sei offensichtlich dabei, sich politisch zu marginalisieren. Es müsse jetzt endlich ein schlüssiges Konzept her. Wie das aussehen könnte, verriet Steinbrück allerdings nicht.

Lieber blieb er im Ungefähren - oder zitierte ohne Quellenangabe die Politik der Bundesregierung, die er doch ablösen möchte. Wie soll der Westen mit China umgehen, so lautete eine Frage. Als Kanzler würde er hohen Wert darauf legen, "very diplomatic" ("sehr diplomatisch") zu sein - keine Selbstverständlichkeit für einen, der aus der Großen Koalition nicht gerade als Freund der undeutlichen Worte in Erinnerung ist. Man dürfe sich von der wirtschaftlichen Macht Pekings nicht hypnotisieren lassen, könne sie aber auch nicht ignorieren. Das ist ziemlich exakt die Linie, die Merkel verfolgt.

Weiter pries Steinbrück die EU trotz aller gegenwärtigen Probleme als Modell für die Lösung von politischen Konflikten in anderen Teilen der Welt. Für Asien - wo sich China und Japan gerade über einige unbewohnte Inseln streiten und von einem aufziehenden Kalten Krieg die Rede ist - könne die EU eine "Blaupause" sein. Die Brüsseler Institutionen und Mechanismen seien ein gutes Modell, um Konflikte friedlich zu lösen. Vom amtierenden Außenminister hat man das schon ähnlich gehört.

Schließlich der Iran. Steinbrück warnte vor einer kriegerischen Lösung im Streit um das Atomprogramm Teherans: "Ich würde uns dringend raten, uns nicht militärisch zu engagieren." Aber selbstverständlich habe Deutschland eine große Mitverantwortung für die Existenz Israels. Die Sätze könnten auch von Westerwelle stammen. Die anderen Teilnehmer der Diskussionsrunde, so schien es, hätten sich in manchem Punkt mehr Offensive von Steinbrück gewünscht. Vor allem Australiens ehemaliger Premier Kevin Rudd ermunterte die Europäer, sich in Asien lauter Gehör zu verschaffen, vor allem gegenüber China. "Wir brauchen die Stimme aus Brüssel, um Peking beeinflussen zu können", sagte Rudd. Gerade Deutschland als Wirtschaftsmacht sei besonders gefragt. "Wenn Deutschland in China etwas anspricht, dann wird es auch gehört." Steinbrück aber wies dieses Ansinnen zurück. Europa habe weder die Kapazitäten noch den Einfluss, um sich in asiatische Machtkämpfe einzumischen. Wo das versucht worden sei, habe man schlechte Erfahrungen gemacht, beispielsweise in Afghanistan.

Seine diplomatische Zurückhaltung ließ Steinbrück nur an einer Stelle fahren. Als er gefragt wurde, ob er einer asiatischen Sprache mächtig sei, antwortete er spitz: "Um ein außenpolitisches Konzept zu erläutern, muss ich nicht Chinesisch können. Ich habe diese Länder oft bereist, und ich rate auch anderen Politikern dazu." Immerhin demonstriere er eindrucksvoll, dass er die wichtigste Sprache der internationalen Diplomatie beherrscht: Seine Ausführungen hielt er in fließendem Englisch.