Der erste Stimmungstest führt den designierten Kanzlerkandidaten in die alte Heimat. Kritik gibt es nur hinter vorgehaltener Hand.

Münster. So wenig Aufmerksamkeit ist die beliebte nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin gar nicht gewohnt. Fast unbemerkt bahnt sich die verschnupfte Hannelore Kraft den Weg zu den vorderen Stuhlreihen. „Wenn Sie mich freundlicherweise einmal durchlassen würden?“ An aufgeregten Reportern drückt sie sich vorbei ins grelle Blitzlicht. Da steht am Samstag meist nur einer – ein ziemlich cooler Peer Steinbrück. Ein Küsschen zur Begrüßung, dann setzt sich der designierte Kanzlerkandidat der SPD unbeeindruckt auf den Stuhl mit seinem Namenszettel, während ihm die Tonangeln der Reporter fast im Gesicht hängen. Auf ihn wartet eine Wohlfühlveranstaltung.

In NRW ist der frühere Ministerpräsident Steinbrück zu Hause - hier hat er aber auch viele Kritiker. Doch die scheinen sich einen Tag nach der unerwarteten Verkündung seiner Kandidatur fast alle verflüchtigt zu haben. Die Sozialdemokraten haben längst in den Schmusemodus umgeschaltet, loben die finanzpolitische Kompetenz Steinbrücks und seine klare Kante. „Er war mein Lieblingskandidat, ich habe gehofft, dass er es wird“, sagt Susanne Maaß, Ortsvorsitzende der SPD in Reichshof im Oberbergischen Kreis. Und: „Man darf auch Ecken haben.“

Ministerpräsidentin Kraft begrüßt Steinbrück, der drei Jahre lang selbst Regierungschef in NRW war, mit den Worten: „Willkommen zu Hause“. Anders als ihre eigene ist die Geschichte des gebürtigen Hamburgers im bevölkerungsreichsten Bundesland aber alles andere als eine erfolgreiche. Steinbrück fiel das Amt 2002 in den Schoß, nachdem Wolfgang Clement (SPD) in die Bundesregierung gewechselt war. Die nächste Landtagswahl verlor Steinbrück kläglich.

Kraft dagegen badet in NRW in Sympathie – und gewann in diesem Jahr schon ihre zweite Wahl. Auch ihr Name wurde in der K-Frage gehandelt. Mit ihrer Absage sammelte sie in ihrer Heimat nur noch mehr Pluspunkte. So kann sie in Münster am Samstag gut damit leben, dem künftigen Kandidaten etwas von ihrem Glanz abzutreten.

Man musste schon genau hinhören, um im wohligen Harmoniestrudel des NRW-Parteitags kritische Töne einzufangen. „Gibt’s da was umsonst?“, kommentiert eine Delegierte hinter vorgehaltener Hand die Menschentraube, von der Steinbrück umgeben ist. „Schreiben Sie jetzt nicht, dass ich ihn nicht mag!“ bittet ein Genosse, nachdem er den neuen Spitzenmann nur zögerlich gelobt hat.

Nur aus einigen Mündern klingt die Euphorie gedämpft. „Ich glaube, dass er viel Aufmerksamkeit bekommen wird, und das wird unserer Partei nicht schaden“, sagt Veith Lemmen, Landeschef der Jusos. „Ich bin froh, dass die K-Frage geklärt ist“ oder „Ich habe nichts dagegen“ lassen andere Delegierte verlauten. SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer macht kein Geheimnis daraus, dass er jemand anderen lieber gehabt hätte: „Ich bedaure, dass Frank-Walter Steinmeier nicht zur Verfügung steht.“

Am Rednerpult stimmt auch Peer Steinbrück in den Wohlfühlchor mit ein. Es sei ihm eine ehrliche Freude, so viele bekannte Gesichter zu sehen, sagt der Hanseat mit ernster Miene. „Die Unterstützung aus dem Landesverband hat mich immer getragen – manchmal habt ihr mich auch ertragen“, sagt der 65-Jährige. Etwas erleichtert wirkt er. Seine Stirn glänzt im Scheinwerferlicht.

In der nächsten halben Stunde präsentiert sich Steinbrück seinen Zuhörern siegessicher, selbstironisch und vor allem sichtlich entspannter. Witz und Leichtigkeit will er mit in den Wahlkampf nehmen. „Ob ich mir Bilder wie die Kavallerie ausdenke, weiß ich noch nicht so genau“, sagt er mit einem Augenzwinkern über den Umgang mit der Steuerpolitik der Schweiz. „Manchmal habe ich den Eindruck, man hätte nicht nur über sie reden sollen, sondern man hätte sie auch satteln sollen.“ Der Kanzlerkandidat ist voll in seinem Element.

Am Ende gibt es langen Applaus für den neuen Hoffnungsträger der Sozialdemokraten. Nach Krafts Wiederwahl als Landeschefin und einer Tasse Kaffee macht sich der künftige Kanzlerkandidat am Mittag aus dem Staub – „Anschlusstermine“, sagt ein Sprecher. Er hat seinen Auftritt gehabt – und Kraft das Rampenlicht wieder für sich.