Auf dem Gillamoos-Volksfest witzelt Merkel über deutsches Flughafen-Chaos, lobt die Mentalität der Asiaten und beschwört die Einheit der Union.

Abensberg. Angela Merkel gibt es sogar als Fächer. Die Biertische im großen Hofbräu-Zelt auf dem Gillamoos-Volksfest im niederbayerischen Abensberg hat der CSU-Kreisverband mit einem Faltblatt belegt. Darauf lächelt die Kanzlerin in rotem Blazer, der sich aus dem Rot der Deutschlandfahne schält. Daneben posiert ein Bursche mit Rautenbanner und Bayerntracht, darüber weiß-blauer Himmel. Was für ein Arrangement. An den dafür vorgesehenen Stellen gefalzt, ergibt das Blatt manch nützliches Utensil. Zum Winkelement geformt, lässt sich damit etwa die Bedienung auf den dringenden Bedarf einer weiteren Maß Bier hinweisen.

Als Windmaschine findet das Faltblatt seit halb acht Uhr morgens hingegen am häufigsten Anwendung. Schon kurz nachdem sich die Türen geöffnet haben, sind die meisten der 3200 Plätze im Zelt belegt. Schnell sind Saunatemperaturen erreicht, noch sind es dreieinhalb Stunden bis zu Merkels Auftritt. Doch wer jetzt noch mal aufsteht, riskiert seinen Platz. So knickt man sich die Kanzlerin zum Fächer zurecht. Wie wird noch ein Abensberger am Ende der Veranstaltung sinnieren: "Die Frau kann sich halt anpassen."

Richtig. Angela Merkel kann sich anpassen. Die einen nennen diese Eigenschaft Pragmatismus, die anderen Umfallermentalität. An beides mochte denken, wer die Kanzlerin hier in Abensberg schon vor zehn Jahren erlebt hatte. Damals, im Spätsommer 2002, war Merkel nur CDU-Chefin. Als solche verurteilte sie etwa den rot-grünen Atomausstieg. Wie sich die Zeiten ändern.

Nach Bayern war sie seinerzeit allerdings vornehmlich gereist, um den CSU-Chef und Ministerpräsidenten, vor allem aber den Kandidaten Edmund Stoiber zu unterstützen. Der sollte wenige Wochen später zwar nicht Kanzler werden, aber mit seiner Niederlage Merkels spätere Kanzlerschaft immerhin wahrscheinlicher machen. Kurz vor der Bundestagswahl 2002 war Merkel auf dem Gillamoos für die stolzen Besucher im CSU-Zelt aber noch die "Abgefrühstückte", die sich mit Semmeln und Aufstrich die Kanzlerkandidatur beim Wolfratshausener Frühstück abnehmen ließ.

+++ Ein gut gelaunter Kubicki bei seiner Gillamoos-Premiere +++

Dieses Ereignis wird ihr bei der Begrüßung auch diesmal wieder unter die Nase gerieben. Als sei sie direkt von besagtem Frühstück angereist, so suggeriert der Redner. Merkel mag bereit sein, den Bayern manch eigenwillige Interpretation ihrer Politik nachzusehen, bei der Geschichte vom Frühstück versteht sie aber keinen Spaß: "Ich will der Historie halber mal darauf hinweisen, dass es nicht zehn Jahre, sondern zehneinhalb Jahre oder mehr her ist, dass ich zum Frühstück war." Tatsächlich war sowohl Stoiber als auch Merkel Tage vor dem Treffen in Stoibers Haus klar, wer es machen wird. Aber so sehr ins Detail geht die Kanzlerin nun natürlich nicht. Sie muss ja keinem mehr etwas beweisen, auch nicht den CSU-Anhängern, die aus allen Teilen Bayerns ihretwegen angereist sind. So wie die Anhänger anderer Parteien ihren Größen zeitgleich in benachbarten Bierzelten auf dem Gillamoos lauschen: die Grünen dem Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin, die Liberalen dem stets angriffslustigen Wolfgang Kubicki aus Schleswig-Holstein, die Sozialdemokraten dem Münchner Oberbürgermeister und SPD-Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl 2013, Christian Ude.

Merkel ist der Star im CSU-Zelt, eine oder einen aus der eigenen Partei könnten sie sich im Moment ohnehin nicht an ihrer Stelle vorstellen. "Der Seehofer ist ein Spitzbua", grantelt ein Herr aus Bad Gögging. Und: "Wir werden von der Merkelin schon gut regiert." So viel zu jammern gibt's eigentlich auch nicht, denn Merkel pinselt den Bayern den Bauch. Was das Land doch alles richtig mache, bei der Bildung, bei der Entschuldung. Sie lobt die bayerischen Väter, von denen sich jeder Dritte schon zur Elternzeit entschließe. "Es gibt noch Wunder." Für Bayern, resümiert sie, müsste es eigentlich bei den Rating-Agenturen einen neuen Wert geben. Nicht mehr nur Triple AAA, sondern Triple AAA mit drei Sternen.

Dann wendet sie sich Bekanntem zu: Sie spricht von Europa als Friedensmacht, von der weltweiten Konkurrenz, die uns Europäer zwinge, zusammenzuhalten. Dann zeigt sie Selbstbewusstsein in der Krise: "Wie schafft man es, dass wir 80 Millionen Menschen den Rest der sieben Milliarden überzeugen, dass wir die richtigen Ideen haben?" Klar erkennbar deutet Merkel an, wie sie 2013 Wahlkampf gegen die SPD führen will. Dazu stellt sie wieder eine Frage, die an Grundsätzliches rührt: "Die eigentliche Frage an die Demokratie heißt: Können wir Wähler gewinnen, wenn wir für solide Finanzen sind." Die Union will dem, was sie als Konzept einer Schuldenunion der linken Parteien bezeichnet, den Begriff der Stabilitätsunion entgegensetzen. In Abensberg mindestens erntet Merkel dafür starken Applaus.

Das Sparen hat hier, wo der hohe Wohlstand auch durch Sparsamkeit errungen wurde, einen guten Klang. Den größten Applaus erhält sie hier aber für die einzige Polemik, die sie sich gestattet. Blicke man nach Fernost, setzt sie an, dann könne man sehen, was da entstehe, ganze Städte: "Und hier gibt es schon Theater, wenn eine dritte Landebahn gebaut werden soll, ein Bahnhof oder wie in Berlin ein neuer Flughafen." Da wird gegrölt, wenngleich die dritte Landebahn für den Münchner Flughafen hier in Niederbayern alles andere als unumstritten ist.

Schließlich beschwört die Kanzlerin auch die Einheit mit der Schwesterpartei CSU. Mit der hatte es gerade in der Europapolitik zuletzt viel Unfrieden gegeben. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, einer der Unruhestifter, begleitet Merkel auf die Bühne. Die beiden Parteien seien unterschiedlich, sagt Merkel. Aber immer wenn es darauf angekommen sei, habe man zusammengestanden. Eine versteckte Warnung, es mit dem Griechenland-Bashing nicht zu übertreiben? Bestimmt.

Nach überraschend kurzen 40 Minuten schließt sie. Merkels Stimme ist angegriffen, bisweilen hatte sie sich zuvor überschlagen. Die letzten beiden Wochen waren hart: Reisen nach Kanada, Moldawien, China. "Wie sie das alles schafft?", wundert sich die Abordnung aus Bad Gögging. Als würde der Herbst ruhiger, schenkt ihr der CSU-Kreisverband Kelheim zum Abschied die wuchtige Bayern-Chronik des Geschichtsschreibers Aventinus. Der war Abensberger und verfasste im 15. Jahrhundert die erste deutschsprachige Geschichte des Landstrichs. Merkel ist erst die zweite Person, die ein Faksimile des Werkes erhält: Diese Ehre teilt sie mit dem Papst.