Bundesregierung spricht mit Kampagne Familien und Freunde von Islamisten an. In Hamburg sollen 256 Banner hängen. Kritik kommt von der FDP

Berlin. Immerhin, Ahmad lächelt. Doch das Plakat, das den jungen Mann mit den kurzen schwarzen Haaren zeigt, wirkt alles andere als fröhlich. "Vermisst" steht in schwarzen Lettern über dem freundlich dreinschauenden Ahmad. Darunter heißt es: "Das ist unser Sohn Ahmed. Wir vermissen ihn, denn wir erkennen ihn nicht mehr. Er zieht sich immer mehr zurück und wird jeden Tag radikaler. Wir haben Angst, ihn ganz zu verlieren - an religiöse Fanatiker und Terrorgruppen." Es folgt ein Aufruf an diejenigen, die vielleicht jemanden kennen, der in Extremismus oder Terrorismus abzurutschen droht oder schon abgerutscht ist.

+++Salafismus - radikale Strömung des Islam+++

Man soll sich telefonisch oder per E-Mail an eine Beratungsstelle wenden, wenn man das Gefühl hat, ein Mensch im näheren Umfeld gerate in die Fänge von Islamisten. Auf anderen Plakaten lächeln Personen, die Fatima, Hassan oder Tim heißen - der Text und der Aufruf aber bleiben gleich.

Die Plakate, die an Vermisstenanzeigen erinnern sollen, entstanden laut Bundesinnenministerium nach mehreren Entwürfen und Versuchen. Jetzt sind sie fertig, und sie sollen aufrütteln, emotionalisieren und auch dafür sorgen, dass sich Betroffene von dem Beratungsangebot angesprochen fühlen - so hat es sich die Behörde von Minister Hans-Peter Friedrich (CSU) vorgestellt. Rund 300 000 Euro kostet die Kampagne, die ab Mitte September in Hamburg, Berlin und Bonn mit Großplakaten und Postern an U-Bahnhöfen für Aufmerksamkeit sorgen soll.

In Hamburg sollen allein 54 Großflächenplakate mit rund 2,50 mal 3,50 Meter Größe und 200 sogenannte City-Light-Poster mit rund 1,20 mal 1,75 Meter Größe in den Stadtteilen Billstedt, Hammerbrook, Ottensen, St. Georg und St. Pauli zu sehen sein. Dort vermutet das Ministerium die richtigen Zielgruppen, wenn es gegen die islamistische Radikalisierung Jugendlicher und junger Erwachsener mobilisieren will.

Die Motive würden das Stadtbild prägen, kündigte die zuständige Referentin im Ministerium, Barbara Slowik, vorsorglich an. Auch in Berlin wird in ausgewählten Statteilen mit einem hohen Anteil von Migranten plakatiert: in Kreuzberg, Neukölln und Wedding. Neben den Plakaten sind der Druck von Postkarten, Zeitungsanzeigen und Online-Angebote geplant.

Die Aktion, die die "Beratungsstelle Radikalisierung" beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die dazugehörige Telefonhotline bekannter machen soll, ist Teil der "Initiative Sicherheitspartnerschaft", die von der Bundesregierung gemeinsam mit muslimischen Verbänden ins Leben gerufen wurde. Man wolle über das Beratungsangebot der Radikalisierung von jungen Leuten entgegenwirken, sagte der Abteilungsleiter für Öffentliche Sicherheit im Bundesinnenministerium, Stefan Kaller. Es gehe auch darum, mit Muslimen und nicht gegen Muslime zu arbeiten. Derzeit liegen der Beratungsstelle nach Angaben des Innenministeriums etwa 18 Fälle besorgter Angehöriger oder Freunde zur Bearbeitung vor. Wirklich ausgelastet scheinen die Berater der Kampagne zufolge noch nicht zu sein. Auch das mag ein Grund für die neue Kampagne sein. Ob sich wie erhofft die Freunde, Nachbarn, Eltern und Verwandten von radikalisierten Muslimen davon angesprochen fühlen, ist schwerlich vorherzusehen.

Beim Koalitionspartner des unionsgeführten Ministeriums zeigte man sich überrascht über die Kampagne - und gleichzeitig wenig begeistert. Der integrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Serkan Tören, sagte dem Abendblatt "Diese Kampagne verunsichert nur. Solche Großflächenplakate im öffentlichen Raum schüren Vorurteile in der Gesellschaft gegen den Islam." Er fürchte, viele würden ihre bestehenden Vorurteile bestätigt sehen, so Tören weiter. Der Muslim schlug vor, die muslimische Gesellschaft mit dem Beratungsangebot viel direkter anzusprechen. "Es wäre klüger, eine Aufklärungskampagne in den Moscheen zu starten. Die muslimische Community sollte intern angesprochen und aufgeklärt werden", forderte Tören. Wenn ein Imam mit jungen Menschen rede, sei dies wirkungsvoller, als wenn der Staat ein Plakat aufstelle.

Die 300 000 Euro, die die Kampagne an Steuergeldern verschlingt, wären nach Törens Ansicht in anderen Extremismusprojekten besser aufgehoben. "Hier werden Steuermittel vergeudet und Ressentiments geschürt, weil der Islam in die Nähe des Terrorismus gebracht wird", beschwerte sich der Liberale aus Stade.

Die Aktion zeigt zumindest, welche Früchte Friedrichs "Sicherheitspartnerschaft" bereits trägt. Der Minister wünscht sich eine deutlich intensivere Zusammenarbeit zwischen Muslimen und den Sicherheitsbehörden. Hintergrund der Initiative ist der blutige Anschlag eines islamistischen Einzeltäters auf amerikanische Soldaten im März 2011 am Frankfurter Flughafen. Friedrich hatte nach dem Attentat gemahnt, man müsse stärker als bislang das gesellschaftliche Umfeld verdeckter Dschihadisten angehen. Muslime sollten nach Ansicht Friedrichs helfen, fanatische Einzeltäter frühzeitig zu erkennen und Attentate zu verhindern. Tören steht der Initiative kritisch gegenüber: "Ich sehe in der Sicherheitspartnerschaft noch immer eine Pauschalverurteilung des Islam", sagte der Bundestagsabgeordnete.