Zehntausende flüchten vor den Strömen Tote und Vermisste in Sachsen Dresdens Zwinger und Semperoper unter Wasser

Dresden/Passau. Deutschland im Ausnahmezustand. Eine Hochwasserkatastrophe ungeahnten Ausmaßes hat Sachsen heimgesucht und schwerste Schäden angerichtet. Mindestens drei Menschen starben in den Wassermassen, wenigstens 28 Menschen - darunter fünf Kinder - werden vermisst. Bis zu 30 000 Einwohner mussten ihre Häuser verlassen. Auch in Bayern blieb die Lage angespannt. In beiden Bundesländern sind 1500 Bundeswehr-Soldaten und Tausende Freiwillige als Helfer im Einsatz. In ganz Europa forderte die Jahrhundertflut bislang rund 90 Menschenleben. In einem dramatischen Appell rief Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der heute in die Hochwassergebiete nach Sachsen reisen will, die Politik zur Geschlossenheit auf. Die Wahlkampf-Querelen müssten angesichts der Katastrophe zurückstehen. Die Lage der Betroffenen berühre "alle in Deutschland". Für die Opfer werde es 100 Millionen Euro Soforthilfe als Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau geben. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) rief in der überfluteten Innenstadt von Passau die Menschen in ganz Deutschland zu Spenden auf. Der Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) unterbrach seinen Urlaub auf der Nordseeinsel Juist wegen der Katastrophe, um sich in Passau ein Bild von der Lage zu machen. Die bayerische Landesregierung kündigte ein regionales Hilfsprogramm für die unter dem Hochwasser leidenden Bauern an. Zugleich spitzte sich die Lage in Sachsen dramatisch zu. In 14 Landkreisen und Städten lösten die Behörden Katastrophenalarm aus. Allein in der 20 000-Einwohner-Stadt Eilenburg mussten 10 000 Bewohner gestern ihre Wohnungen verlassen. In Schlottwitz riss eine Flutwelle drei Menschen in den Tod, darunter ein Kind. Ganze Stadtteile Dresdens versanken in den Fluten der Elbe. Das Wasser drang in die Semperoper, den Zwinger und Landtag ein. Der überflutete Hauptbahnhof wurde ebenso gesperrt wie mehrere Autobahnen, der Bahnverkehr war großflächig lahmgelegt. Strom und Telefon fielen massenweise aus, Straßenbahnen blieben stehen. Experten erwarten in Dresden den höchsten Wasserstand der Elbe seit 1845: Gestern waren es gut sieben Meter, normal wären zwei. Drama in der Frauenkirche von Grimma: 50 Menschen, die vor der Flut geflüchtet waren, wurden in dem Gotteshaus vom Hochwasser eingeschlossen. Die Bundeswehr begann am Abend - trotz starker Strömung - die Eingeschlossenen mit schweren Booten zu befreien. Die Grimmaer Altstadt stand unter einem reißenden Strom, 150 Einwohner warteten gestern noch auf Hilfe. In Freital bei Dresden musste ein Krankenhaus mit 620 Patienten evakuiert werden. Dessau löste erst am Abend Katastrophenalarm aus, in Meißen begannen ebenfalls Evakuierungen. Und es regnet weiter in Sachsen. Auch in Bayern verschärfte sich die Lage noch einmal. Regensburg rief Hochwasseralarm aus, ließ Stege errichten. In der Drei-Flüsse-Stadt Passau stand die Altstadt bis zum ersten Stockwerk unter Wasser. Im Laufe des Tages fielen die Pegel wieder leicht. In den Hochwassergebieten Osteuropas warteten die Menschen vergebens auf Entspannung: Mehr als 40 000 Bewohner von Prag mussten ihre Häuser wegen der über die Ufer steigenden Moldau verlassen. Auch in Salzburg standen immer noch 1000 Gebäude unter Wasser. Die Aussichten lassen indes hoffen: Heute soll der Regen nachlassen, das Azorenhoch "Hein" in Deutschland für Sonnenschein sorgen. Und auf absehbare Zeit sei kein neuer Dauerregen in Sicht, teilte der Deutsche Wetterdienst mit.