Die Partei könnte bald im Bundestag sitzen. Bernd Schlömer setzt dafür auf neue Themen. Für ein Mandat im Bundestag will er sich nicht engagieren.

Berlin. Bernd Schlömer hat schon Feierabend. Er trägt ein weißes T-Shirt mit langen Ärmeln und Sandalen. In der Hand hält er seinen Helm, er ist auf seiner Vespa ins Café Böse Buben gekommen, Regierungsviertel, Berlin-Mitte, kurz nach halb sieben. Und Schlömer sagt, er habe heute etwas früher Schluss gemacht im Verteidigungsministerium, dort, wo er sein Geld als Regierungsdirektor verdient. Am Abend, nach der Arbeit im Ministerium, ist er Parteichef der Piraten. Jetzt hat Bernd Schlömer Freizeit.

Als er 2009 Pirat wird, hat die Partei gerade einmal 2000 Mitglieder. Dann kam die Europawahl. Die deutschen Piraten holten ein knappes Prozent, aber die Partei in Schweden mehr als sieben. Und auf einmal fanden erste Meldungen ihren Weg in die Zeitungen über den "Achtungserfolg" der jungen Partei. Und auf einmal gab es 12 000 deutsche Piraten. Dann kamen Wahlerfolge in Berlin, im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, immer holten sie sieben oder mehr Prozent der Stimmen. Gut drei Jahre, nachdem Schlömer Pirat wurde, hat die Partei nach eigenen Angaben 35 000 Mitglieder. Seit April ist der 41-Jährige der Vorsitzende. "Ich bin Controller der Piraten, wenn man so will", sagt er. Schlömer kommuniziere die Inhalte der Partei in der Öffentlichkeit, und er moderiert die Debatten innerhalb der Partei. Schlömer nennt das: Meinungsströme koordinieren.

Über keine andere Partei wurde in den vergangenen Monaten so viel debattiert und kommentiert wie über die Piraten. Es gibt kaum eine Redewendung mit den Piraten, die nicht irgendwann zu einer Schlagzeile wurde: "Freibeuter der Politik", das "Geisterschiff" der deutschen Parteien, die Piraten sind die "stolzen Nerds", und sie sind "klar zum Entern". Langsam lernen Medien, Politik und Wähler, wer diese Piraten sind und was sie wollen. Ungefähr jedenfalls. Und langsam lernen auch die Piraten selbst, wie sie sich im Wettstreit mit Sozialdemokraten, Grünen und Christdemokraten bewegen. Ungefähr jedenfalls. "Die Piratenpartei war immer schon professionell", sagt Schlömer. "Aber ich würde sagen, wir sind nach den Erfolgen in den Landtagen ein ganzes Stück erwachsener geworden." Seine Partei nennt den Kurs der Piraten: konstruktive Opposition. Eine Neinsager-Opposition werde es mit den Piraten nicht geben.

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Bernd Schlömer redet aber nicht nur über Opposition. Er redet über das Regieren. Seine Partei werde im September 2013 eine "klare Aussage darüber machen, mit welchen Parteien wir uns eine Zusammenarbeit vorstellen können". Die Piraten seien für alle Parteien offen. Aber der Bürger solle bei der Wahl wissen, woran er bei den Piraten ist.

Doch ob die Piraten mittlerweile bei allen Themen mitreden können wie die etablierten Parteien, ist fraglich. Lange Zeit nahm Deutschland die Piraten vor allem eine Internet-Partei wahr - darüber hat man sie definiert. Sie selbst suhlten sich im Twitter-Bad, gaben sich auch selbst als die "Politik-Nerds" und provozierten mit Forderungen nach Gratis-Downloads von Musik und Filmen. Die Debatten um Datenschutz, Vorratsdatenspeicherung, aber auch die Macht von Konzernen wie Facebook und Google trugen auch die Piraten und ihre Internet-Themen vor die Mikrofone der politischen Republik. Spätestens im Wahlkampf um das Abgeordnetenhaus in Berlin lernte die Öffentlichkeit, dass die Piraten auch zu Bildung, Verkehr und Sozialem Flagge zeigen wollen: Öffentliche Verkehrsmittel umsonst für alle, freies Internet für alle. Wer gemein war wie Guido Westerwelle, nannte die Piraten "Linkspartei mit Internetanschluss".

Heute sagt Bernd Schlömer: "Die Piraten können den Bundestagswahlkampf 2013 nicht ohne eine Haltung und ein Programm zur Euro-Krise bestehen." Auch diese Erkenntnis gehört zum Erwachsenwerden einer Partei. Ob die Partei einen Schuldenschnitt für Griechenland will, die EU-Verträge verändern möchte oder die Rettungsschirme unterstützt - dazu sagt Schlömer nichts. Die Piraten hätten Arbeitsgruppen aufgestellt, die sich mit Wirtschaftsfragen beschäftigen. "Sicher ist: Es wird ein klares Bekenntnis der Piraten zu Europa geben, einschließlich Griechenland." Das Land sei Teil Europas, sagt Schlömer. Aber ist der Euro auch zwingend ein Teil Europas? Er gehöre dazu, sagt der Parteichef. Aber er sei nicht das Maß aller Dinge. "Die Deutschen diskutieren die Euro-Krise zu sehr entlang einer Währungsfrage." Dabei gehe es doch vielmehr um die einzigartige Epoche des europäischen Friedens, den Europa nach über 1000 Jahren immer wiederkehrenden Krieges nun mit der EU erreicht hätte.

Fast staatsmännisch klingt Schlömer in diesen Momenten, er spricht ruhig und überlegt. Aber er hört sich in diesen Momenten auch wie jemand an, der sich in die großen Sätze flüchtet, um keine zu konkrete Aussage über die Sinnhaftigkeit von Fiskalpakt und Schuldenschnitt zu treffen. Er verweist gerne auf die Debatten im Wiki oder Liquid Feedback - der Meinungsplattform der Piraten im Internet. Eine klare Meinung hat der frühere Mitarbeiter der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität zur Bundeswehr. Für ihn sei ein Bekenntnis seiner Partei zur Bundeswehr wichtig. Die Piraten würden gerade diskutieren und Auslandseinsätze sehr viel kritischer betrachten. Auch ein Weißbuch für das Auswärtige Amt will die Partei fordern. "Es muss besser nachvollziehbar sein, auf welcher Grundlage und mit welchen Absichten sich Deutschland bei seinen internationalen Angelegenheiten manchmal zurückhält, manchmal wiederum sehr offensiv verhält. Der Bürger in diesem Land muss klar wissen, warum man sich in Afghanistan engagiert, aber in Syrien nicht", sagt Schlömer.

Für ein Mandat im Bundestag will sich Schlömer 2013 nicht engagieren. "Ich werde definitiv nicht kandidieren", sagt er. Als Bundesvorstand könne er jedes Jahr neu entscheiden, ob er weiter an der Spitze der Partei arbeiten oder lieber einen Segelschein machen möchte. "Diese Freiheit ist mir wichtig.