Schon wieder schafften sie es nicht, Spitzenkandidaten für die Landtagswahl aufzustellen. Wissenschaftler: Partei hat Problem mit Mitgliedern.

Hannover. "Klarmachen zum Ändern!" Ihr Ziel hatten die niedersächsischen Piraten während des Landesparteitags in Wolfenbüttel bereits in großen Lettern vor Augen. Bei der Wahl am 20. Januar 2013 will der Landesverband in den Landtag in Hannover einziehen. Nach Berlin, dem Saarland, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein wäre es bereits das fünfte Länderparlament. Sechs Monate vor der Landtagswahl drohen Niedersachsens Piraten aber, ihren Kurs wegen parteiinternen Querelen aus den Augen zu verlieren. Kritiker sprechen bereits von einer handfesten Seenot und bezweifeln gar die generelle Politikfähigkeit.

"Basisdemokratie kann zäh und sogar schmerzhaft sein - das haben wir an diesem Wochenende gelernt", sagt Landeschef Andreas Neugebauer gestern in Hannover. Niedersachsens oberster Pirat klingt hörbar erschöpft. 26 Stunden Parteitag stecken ihm in den Knochen, 26 Stunden mit kräftezehrenden Debatten über Formalien.

+++ Piraten-Posse auf Parteitag: Spitzenkandidat nicht gewählt +++

Für besonderen Frust sorgt das fehlende Ergebnis: Als am späten Sonntagabend um 23.18 Uhr in Wolfenbüttel der Parteitag offiziell beendet wird, ist das Ziel, die Wahl der Landesliste, nicht einmal erreicht. Schon im April hatten die Piraten vergeblich versucht, ihre Landesliste zu wählen. Damals hatten nicht wahlberechtigte EU-Bürger ihre Stimmen abgegeben, jetzt votierten zwei Jugendliche unter 18 Jahren - auch das ist nicht erlaubt. Die Wahl musste wiederholt werden, am Ende war die Zeit zu knapp. Nun soll die Liste beim dritten Anlauf am 25. und 26. August in Delmenhorst erfolgreich gewählt werden.

Bei der Bundespartei in Berlin können sich die Piraten die Probleme nicht erklären. "Es ist schade, dass es die Niedersachsen an diesem Wochenende nicht geschafft haben", sagte Sprecherin Anita Möllering. Bis zur Landtagswahl sei aber noch genug Zeit, Anlass für Panik gebe es keinen. "Sicherlich hätte man das vermeiden können."

+++ Piraten schränken Arbeit der Journalisten auf Parteitag ein +++

Für Neugebauer liegt eine Ursache in der zeitintensiven Basisdemokratie der Piraten: "Das tut weh, das ist schwierig und für alle anstrengend." Natürlich habe sich seine Partei ein anderes Ende gewünscht. Geschwächt sei die Partei aber nicht; wer das denke, habe ein "merkwürdiges Demokratieverständnis". Für Neugebauer sind Abstimmungen im Bundestag wesentlich undemokratischer, "wenn Gesetze in 57 Sekunden beschlossen werden, ohne dass sie sich einer durchgelesen hat".

Die Piratenpartei wird derzeit mit Klagen überzogen

Hinzu komme die Klagewut einzelner Mitglieder. "Wir werden ja im Moment aus gewissen Kreisen mit Klagen geradezu überzogen", sagt Neugebauer. Um dies zu verhindern, sei in Wolfenbüttel ein "großes Juristenteam" im Einsatz gewesen - zur Kontrolle. Für Neugebauer hätten auch diese Piraten "ein merkwürdiges Demokratieverständnis, weil sie Mehrheitsbeschlüsse nicht anerkennen, wenn sie ihrer Meinung nicht entsprechen".

Politikwissenschaftler Wichard Woyke von der Universität Münster sieht das anders: "Das sind typische Anfängerfehler, die dort gemacht werden." Zudem habe die Partei, die jüngst ihren fünften Geburtstag feierte, aufgrund ihrer offenen Ausrichtung ein Problem mit Mitgliedern. "Da kommen auch Leute mit rein, die sich nicht immer den gemeinsamen Zielen unterwerfen wollen", sagt Woyke. Um dies zu vermeiden, müsse die Partei ihre Struktur professionalisieren. Dann allerdings verliere sie in den Augen vieler Anhänger ihren Markenkern.

Probleme mit Formalien sind für die Piraten nichts generell Neues. Nach ihrem Wahlerfolg in Berlin sorgte eine fehlende Programmatik bundesweit für Verwunderung. Außerdem hatten die Piraten zu wenig Kandidaten aufgestellt. Als seien die Sorgen über die Listenwahl nicht genug, sorgten die Piraten, die für Transparenz eintreten, mit Einschränkungen von Film- und Fotomöglichkeiten auf dem Parteitag für zusätzlichen Gegenwind. Neugebauer meint dazu: "Das war nur ein Sturm im Wasserglas."