Die Bayern nerven die CDU-Kanzlerin. Sie aber braucht den CSU-Chef. Der orientiert sich lieber an Franz Josef Strauß.
Hamburg. Angela Merkel wird heute in der ersten Reihe sitzen. Vor ihr am Rednerpult in der Nürnberger Messehalle wird Horst Seehofer die Kanzlerin rühmen und ihr schmeicheln, und dann wird er ihr zum 55. Geburtstag gratulieren und nur das Beste wünschen: die Wiederwahl natürlich. Er wird noch einmal - wie vor wenigen Wochen beim gemeinsamen Wahlkampfkongress - laut ausrufen, dass die Union keinen Kandidaten brauche, sie habe ja die Kanzlerin. Man wird ihr stehend zuklatschen, und Merkel wird so lächeln, als ob sie sich freue.
Vermutlich wird sie sich an einen anderen Ort wünschen. Womöglich wird sie sogar denken, dass man als CDU-Chefin so einen Geburtstag eigentlich mit der eigenen Partei oder mit echten Freunden feiern müsste - nicht aber mit dieser CSU. Merkel hat heute keine Wahl. Sie will Kanzlerin bleiben, also braucht sie Seehofer und seine Bayern. Jetzt ganz besonders.
Schließlich ist in gut 70 Tagen die Bundestagswahl. Man muss der CSU und Horst Seehofer sogar abnehmen, dass sie Merkel weiterhin als Kanzlerin wollen. Aus bayerischer Sicht soll sie aber mit einer mächtigen CSU zusammen regieren, die immer ein Wörtchen mitzureden hat. Aber jetzt im Wahlkampf brauchen die Christsozialen die Abgrenzung zur übermächtig wirkenden Kanzlerin. Das hat Merkel zu spüren bekommen. Derzeit steht es nicht gut um das Verhältnis der CDU zur CSU, und Merkel und Seehofer sollte man im Moment auch besser nicht als Parteifreunde bezeichnen - selbst wenn man bei jenem Berliner Kongress im Juni so tat, als sei man als CDU/CSU eine Partei.
Seit Oktober 2008 regiert Seehofer nicht nur den Freistaat Bayern und die CSU, sondern irgendwie auch den Rest der Republik. Erbschaftssteuer-Reform, Genmais-Verbot, Konjunkturpakete, Steuersenkungen, und jetzt das große Europa: Seehofer treibt seit seinem Machtgewinn vor neun Monaten die CDU-Chefin vor sich her. Und was nicht ins gemeinsame Wahlprogramm passt wie etwa die Absicht, ab 2011 die Steuern zu senken, kommt dann eben in einen CSU-eigenen "Wahlaufruf". Merkel hatte sich in diesem Punkt mit ihrem Nein durchgesetzt. Seehofer konnte nicht klein beigeben: Die CSU stehe zum gemeinsamen Programm mit der CDU, versicherte er und betonte, sein Extra-Papier sei doch kein Widerspruch: "Wir präzisieren."
Offiziell gibt es im Moment gar keinen Konflikt zwischen den zänkischen Schwesterparteien. Die Parteizentralen in Berlin und in München dementieren ihn. Den Streit über den Einfluss von Bundestag und Bundesrat in EU-Fragen möchte man selbst in München nicht mit dem Wort Streit bezeichnen.
Im Rosengarten von Kloster Banz, wo die CSU bei ihrer Klausur am Dienstag die Kanzlerin empfing, hörte sich dieses Nichtstreiten dann so an: Merkel sagte, dass die Union nur geschlossen die Wahl gewinnen könne; und Seehofer sagte natürlich das, was er ab jetzt im Wahlkampf immer wieder zu Merkel sagen muss, nämlich dass die CSU alles tun werde, "damit du Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland bleibst".
Aber Seehofer geht es um mehr. Er will seine Partei nie wieder dort sehen, wo sie mit dem unglücklich agierenden Duo Huber/Beckstein in ihrem "annum horribilis", dem Jahr 2008, endete: in der Merkel-Falle. Nichts gelang mehr der CSU - Merkel nahm die Partei gar nicht ernst. Das änderte sich schlagartig, als Seehofer nach der Niederlage bei der Landtagswahl das Zepter in die Hand nahm. Seitdem hat Merkel keine Ruhe mehr.
Unruhe zu stiften ist Teil der CSU-Strategie. Und Merkel muss Seehofers Alleingänge akzeptieren. Sie braucht eine erfolgreiche CSU, will sie nicht im Herbst im 30-Prozent-Tal landen und erneut eine bürgerliche Mehrheit verfehlen. Allein: Mit Edmund Stoibers ungelenker, zaudernder Art kam Merkel weitaus besser zurecht als mit dem unberechenbaren Seehofer. Solange Merkel Stoiber das Gefühl gab, er befände sich mit ihr auf Augenhöhe, war er zufrieden - und hielt still. Aber Seehofer will bekanntlich nicht auf ihre Augenhöhe. "Wenn die Chefin da ist, gehört es sich, dass für die Knechte nur eine kurze Redezeit gewährt wird", sagte Seehofer vor kurzem bei einem gemeinsamen Wahlkampfauftritt. Er stellt sich gern als der Untergebene der Kanzlerin dar.
In der CSU heißt es gleichwohl, Seehofer orientiere sich mehr als alle seine Vorgänger an Franz Josef Strauß und dessen Vorstellung von einer Union als bayerisch-bundesdeutsches Modell. Von Strauß stammt auch jener Satz: "Everybody's darling is everybody's Depp." So gesehen macht Seehofer nur seinen Job.