Oskar Lafontaine fehlte der Schwung, und Gregor Gysi erklärte mal wieder den Kapitalismus auf seine Weise. Der Parteitag zeigte die unsichere Lage der Linken.

Berlin. Das Schlusswort hatte Lothar Bisky, und der konnte erleichtert feststellen: "Wir haben's geschafft!" Es habe keine "Fleischerei" gegeben, so der Parteichef, und zum Abendessen gebe es auch "kein Flügelragout". Um ganz sicherzugehen, rief Bisky den 500 Genossinnen und Genossen allerdings noch ein letztes Mal mahnend zu, "alle" müssten jetzt einen Schlussstrich unter die Debatten der zurückliegenden Wochen ziehen! Dann entließ er sie mit einem fröhlichen "Ab in den Wahlkampf!" in den Abend.

Die Linke hat es also doch geschafft. Sie hat ihren Wahlparteitag ohne die erwarteten Reibereien und Streitereien hinter sich gebracht. Sie hat sich durch einen monströsen Berg von 1600 Anträgen und Unteranträgen gekämpft, der andere Parteien entmutigt hätte. Jeder der rund 500 Delegierten konnte am Ende schwarz auf weiß nach Hause tragen, dass der Kapitalismus "der größte Feind für das Lebensglück der Menschen" ist und dass eine Umverteilung "von oben nach unten" dringend erforderlich ist.

Oskar Lafontaine war der Erste, der auf diesem Parteitag sprechen durfte. Musste. Und der Mann, der vor zwei Jahren die WASG mit der PDS fusioniert hat, der sich für die Saarlandwahl Großes vorgenommen und seinen neuen Genossen für die Bundestagswahl viel versprochen hat, stand mächtig unter Druck. Man sah es ihm an. In zuvor nie erlebter Weise klammerte sich Lafontaine an sein Manuskript. Las hektisch papierne Sätze ab wie: "Die ungerechte Eigentumsordnung ist die Hauptursache der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise." Oder: "Nicht die Bundesregierung kontrolliert die Banken, sondern die Banken kontrollieren die Bundesregierung." Schwung hatte das nicht. Der eine oder andere Delegierte musste sich einen Ruck geben, die Hände zum Klatschen zu erheben.

Drei Stunden später war alles komplett anders. Der Parteitag freute sich. Amüsierte sich. Sogar die eisernsten Kommunisten lachten mit. Über Gregor Gysi, der mal wieder alle Register zog und sogar aus den Parteiaustritten noch Funken schlug, die nach der Europawahl für Entsetzen gesorgt hatten. "Wenn die SPD nicht zwei Mitglieder von uns bekäme", ulkte Gysi zum Vergnügen des Plenums, "dann bekäme sie ja gar keine neuen Mitglieder mehr!"

Der Fraktionsvorsitzende war es, nicht der zweite Parteivorsitzende, der den Parteitag mit einer fulminanten Rede zusammenschweißte. Der ihm die Welt des Kapitalismus auf seine Art erklärte. Nach dem Motto, was wäre gewesen, wenn es das von der Linkspartei geforderte "Belegschaftseigentum" am deutschen Nokia-Werk gegeben hätte? Ganz einfach: Dann hätte die Unternehmensleitung vor dem Umzug die Eigentümer fragen müssen, und die hätten dann antworten können: "Dazu haben wir keine Lust!"

Es war Gysi, der seinen Parteifreunden zurief: "Wir wollen doch die Welt verändern!" Am Ende haben sie ihn bejubelt. Dafür, dass er sie aus der Erstarrung erlöst und ihnen das lang vermisste Wir-Gefühl wiedergegeben hatte. Was das bewirkte, konnte man am Sonntag sehen. Straff organisiert ging die gesamte Debatte über die Bühne. Die Bemerkung eines Delegierten, "dass hier politische Diskussionen nicht so erwünscht sind", war schon der schärfste Widerspruch.

Die Linkspartei hat sich wieder zusammengerauft. Und ein Wahlprogramm verabschiedet, das sich um die Finanzierung der Forderungen wenig schert. Das hat - fast alle - glücklich gemacht. "Zehn Prozent plus x" will sich die Linke am 27. September erkämpfen, davon ist sie auch angesichts der eher mäßigen Umfragen nicht abgerückt.

Von der SPD ist erstaunlich wenig die Rede gewesen. "Töricht" nannte Oskar Lafontaine die Absage der Sozialdemokraten an eine Zusammenarbeit nach der Bundestagswahl. Und weil er dabei einen hochroten Kopf bekam, musste man über seine Gefühlslage nicht lange nachdenken. Gysi sah auch das SPD-Thema gelassener. Bevor die nicht von den Kriegseinsätzen lasse, erklärte er, werde man auf Bundesebene gewiss nicht koalieren.