Beide zitieren gern den Leitspruch der Europäischen Union: “In Vielfalt vereint“. Beide halten gar nichts von den alten Feindbildern, und beide wünschen sich für das Europäische Parlament mehr Machtfülle.

Hamburg. Im Plenarsaal sitzen sie gerade einmal drei Meter voneinander entfernt. Man könnte also meinen, Silvana Koch-Mehrin und Daniel Cohn-Bendit hätten viel gemeinsam. Doch die Liberale und der Grüne weisen das weit von sich. Es ist schließlich Wahlkampf, und am 7. Juni sollen Europas Bürger genau wissen, was grüne von gelber EU-Politik unterscheidet.

Koch-Mehrin, die 38-jährige Unternehmerin und FDP-Spitzenkandidatin im Europawahlkampf, und der 64-jährige Cohn-Bendit, das Gesicht der Pariser Mai-Revolution von 1968 und multilingualer Ur-Europäer, sind zwei der prominentesten Gesichter der europäischen Politik. Sie mögen zwar im Parlament "in Vielfalt vereint" sein, in ihren Ideen für Europa sind beide ziemlich getrennt.

Über Koch-Mehrin sagt Cohn-Bendit: "Privat ist sie nett. Politisch ist sie nicht sehr nachhaltig." Koch-Mehrin sagt über Cohn-Bendit: "Ich kannte ihn aus dem Geschichtsbuch. Es war natürlich interessant, ihn dann aus nächster Nähe zu sehen." Zwischen beiden liegen Generationen. Als Cohn-Bendit 1984 Mitglied der Grünen wurde, war das vereinte Europa noch eine überschaubare Handels- und Friedensgemeinschaft. Der Euro war erst eine Idee für eine recht ferne Zukunft, und politisch vereint fühlte man sich im Bewusstsein, sich nicht mehr bekriegen zu wollen. Das Europa, in dem Cohn-Bendit seine politische Karriere begann, ist heute nur noch ein Bruchteil von dem Machtapparat, den die EU mit ihrer Kommission und ihrem Parlament inzwischen darstellt.

Cohn-Bendit hat diese Entwicklung des europäischen Machtgewinns aktiv begleitet, und so betrachtet er Europa zuallererst als einen historischen Prozess. Ihm geht es dabei um die Bewahrung der Europäischen Einheit, die er in Gefahr sieht. Wenig Verständnis hat er für Staaten, die die europäische Bühne dafür nutzen wollen, allein nationale Interessen durchzusetzen. Cohn-Bendit nennt nur ein Beispiel: "Auf Europa könnte eine große Krise mit Großbritannien zukommen. Die Briten müssen sich entscheiden, ob sie der 51. Staat der USA sein wollen oder der 27. Staat Europas." Aber ein starkes Europa kann auch ohne die Insel auskommen, ist er überzeugt.

Auf seiner Wahlkampftournee durch den Kontinent bereise er 13 Länder, sagt Cohn-Bendit. 2004 war er noch deutscher Spitzenkandidat seiner Partei, jetzt steht er oben auf der französischen Liste. Mehr europäische Identität geht nicht. Ein wenig will er daher auch ein Botschafter für das Friedensprojekt Europa sein. Und dass "Dany", wie er an der Basis genannt wird, immer wieder Helmut Kohl für dessen europäische Verdienste lobt, das verzeihen ihm die Grünen. Ohne ihn hätte die Partei kein europäisches Gesicht und erst recht keines, das so authentisch ist.

Auch die FDP hat nur ein bekanntes europäisches Gesicht, das von Silvana Koch-Mehrin. Dabei ist die Mutter von drei Kindern erst seit fünf Jahren EU-Parlamentarierin. Ihre Popularität hat sie auch ihrer ständigen Kritik am "Bürokratiemonster EU", an der "Öko-Diktatur" und an Europas "Zentralismus" zu verdanken. Immer wieder geißelt Koch-Mehrin die Brüsseler Beamten, die ihrer Ansicht nach so regulierungswütig sind, dass sie sogar den Krümmungsgrad der Gurke festlegen und die klassische Glühbirne verbieten. So darf Europa nicht sein, ist Koch-Mehrin überzeugt. Kaum ein anderer Europapolitiker weist derart pointiert auf die Mängel der EU hin. Sie wolle auf keinen Fall Europa schlechtreden, sagt Koch-Mehrin. Aber die EU in ihrem Status quo schönzureden sei auch kontraproduktiv.

Und nicht nur das. "Wir Europaabgeordnete haben eine Bringschuld zu sagen, was wir eigentlich machen", sagt die in Brüssel lebende FDP-Politikerin. Und was sie genau tut, soll jeder nachvollziehen können: "Wenn ich meine Arbeit im Europäischen Parlament erklären möchte, dann stelle ich mir immer meine Großmutter vor. Sie ist 90 Jahre alt und hat einen Volksschulabschluss. Sie soll verstehen können, was ich mache." Aus dieser Haltung heraus hat sie auch der Lastwagenfahrer-Zeitschrift "Trucker" und einer Obdachlosenzeitung Interviews gegeben. Sie findet, dass man sich auch etwas von einem enthusiastischen Europäer wie Cohn-Bendit abgucken könne: "Er wirkt unbefangen und extrem begeisterungsfähig."