Die Zahl der rechtsradikalen Straftaten ist in Deutschland im Jahr 2008 stark gestiegen. Das hat der Bundesverfassungsschutz in seinem neuen Bericht festgestellt.

Berlin. Die rechtsextremistische Szene in Deutschland wird immer gewalttätiger. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes hat sich in den vergangenen Jahren ein autonomer Block von 400 bis 500 Neonazis herausgebildet, der bei Demonstrationen gezielt Randale anzettelt. Verfassungschutzpräsident Heinz Fromm sprach der Vorstellung des Jahresberichts seiner Behörde von einem „neuen Phänomen“.

Die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten stieg im vergangenen Jahr um 6,3 Prozent auf 1042. Die Gesamtzahl der Straftaten erreichte mit 19 894 einen Höchststand.

Innenminister Wolfgang Schäuble will den Kampf gegen rechte Gewalt zum Schwerpunkt der Innenministerkonferenz in Bremerhaven Anfang Juni machen. Er verwies darauf, dass Neonazis in der NPD immer mehr Einfluss gewännen. Trotzdem lehnte er einen neuen Anlauf zu einem Verbot der rechtsextremistischen Partei ab. „Ich halte nichts davon, Verbotsverfahren zu betreiben, die auf tönernen Füßen stehen“, sagte er.

Der CDU-Politiker verwies auf die hohen Hürden, die das Bundesverfassungsgericht für ein Verbot aufgestellt hat. Ein erstes Verbotsverfahren war 2003 gescheitert, weil ein Teil des Beweismaterials auf Informationen von V-Leuten des Verfassungsschutzes basierte. Die SPD-Innenminister hatten vor zwei Wochen einen neuen Vorstoß für einen Verbotsantrag gestartet und eine Materialsammlung vorgelegt, die die Verfassungsfeindlichkeit der Partei belegen soll.

Schäuble nannte die NPD zwar „besonders widerlich“. Das Risiko des Scheiterns eines Verbotsverfahrens schätzt er aber weiterhin für zu hoch ein. Es wäre „eine ziemliche Werbeveranstaltung für die NPD“ wenn die Partei vor dem Verfassungsgericht gewinnen würde. „Das ist ungefähr das Dümmste, was man machen kann, wenn man die NPD bekämpfen will“, sagte er.

Spekulationen über einen baldigen finanziellen Kollaps der NPD wies Verfassungsschutzpräsident Fromm zurück. Er sehe „auf absehbare Zeit nicht“, dass die schwere finanzielle Krise der NPD zu einer Handlungsunfähigkeit der Partei führen wird. Die Rechtsextremisten waren unter anderem wegen einer Strafzahlung an den Bundestag nach Abgabe eines fehlerhaften Rechenschaftsberichts in Schwierigkeiten geraten.

Besondere Sorge bereiten Schäuble und Fromm derzeit die „Autonomen Nationalisten“, die zehn Prozent der gesamten Neonazi-Szene mit etwa 4800 Mitgliedern ausmachen. Als Beispiel für deren zunehmende Gewaltbereitschaft nannten sie Ausschreitungen bei Demonstrationen in Hamburg und Dortmund am 1. Mai 2008 und 2009. In Dortmund hatten in diesem Jahr rund 300 Rechtsextreme gezielt Teilnehmer einer DGB-Demonstration mit Holzstangen und Steinen angegriffen. Im Vorjahr war es in Hamburg zu Ausschreitungen gekommen.

Auch die Gewerkschaft der Polizei nannte die Zunahme rechter Gewalt Besorgnis erregend. Die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes deckten sich mit den Erfahrungen der Polizei, „die zunehmend auch zur Zielscheibe rechter Gewalt wird“, erklärte GdP-Chef Konrad Freiberg. Das Auftauchen der Nationalautonomen signalisiere, dass die rechte Szene nach dem Vorbild der Linksautonomen ihre Truppen für den Straßenkampf aufstelle und rüste.

Der Verfassungsschutz weist in seinem Bericht auch darauf hin, dass zunehmend junge Männer in Deutschland für eine Terror-Ausbildung in Afghanistan oder im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet rekrutiert würden. Diese Personen könnten in der Region oder nach einer Rückkehr auch in Deutschland Anschläge verüben, sagte Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm. „Der islamistische Terrorismus bedroht die Sicherheit in Deutschland weiterhin“, hob auch Schäuble hervor. Er plädierte daher für eine rasche Verabschiedung des Gesetzentwurfs in Bundestag und Bundesrat, demzufolge schon der Aufenthalt in einem Terrorcamp unter Strafe gestellt werden soll. Beide verwiesen auch auf die Drohvideos gegen Deutschland, die seit Jahresbeginn auf Deutsch im Internet auftauchten.

Schäuble hob angesichts der Entwicklungen im extremistischen Bereich hervor, dass die deutschen Sicherheitsbehörden dem ein „schlagkräftiges Netz“ entgegensetzen müssten. Alle Kräfte, Erkenntnisse und die knappen Spezialkompetenzen müssten gebündelt werden. So sei bereits das gemeinsame Terrorismus-Abwehr-Zentrum von Bund und Ländern entstanden. In der nächsten Legislaturperiode müsse auch die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden durch ein modernes Informations-Austauschsystem gestärkt werden.

Als weitere Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands führt der Verfassungsschutzbericht die Spionage gegen deutsche Firmen und Regierungsstellen an. Insbesondere Russland und China werden als Urheber genannt, aber auch Länder des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas. Eine Zunahme verzeichnet der Verfassungsschutz dabei bei Angriffen auf Computersystemen von Unternehmen, Wissenschaftseinrichtungen oder Behörden.