Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU) ist erstmals nach seinem schweren Sturz vor einem Jahr wieder öffentlich aufgetreten. In Stuttgart erhielt der sichtlich geschwächte CDU-Politiker am Freitagabend den Hanns-Martin-Schleyer-Preis für seine Verdienste um die deutsche Einheit.

Stuttgart. Wie ein Fels in der Brandung sitzt er in der ersten Reihe in dem überdimensionalen, schwarzen Rollstuhl. Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl hat sich für den ersten großen Auftritt seit seinem schweren Sturz vor etwa einem Jahr das Neue Schloss in Stuttgart ausgesucht. Begleitet von seiner zweiten Frau Maike Kohl-Richter war er unter dem Applaus der 450 Gäste in den prunkvollen Weißen Schlosssaal geschoben worden.

Er ist gezeichnet von seinem schweren Sturz, die Worte kommen ihm bei seiner etwa fünfminütigen Dankesrede nur schwer über die Lippen. Der 79-Jährige sitzt fast regungslos in seinem Rollstuhl auf der Bühne, auch wenn er spricht. Krampfhaft hält er sein Manuskript, bis Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) es ihm kurz vor Ende seiner Ansprache zuvorkommend abnimmt. Immer wieder wiederholt Kohl: „Ich habe einen Freund verloren.“ Gemeint ist der frühere Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, der 1977 von Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) ermordet wurde.

Von der früheren, geballten Präsenz des CDU-Rekordkanzlers ist nichts mehr zu spüren. Laudator Jean-Claude Junckers, der Premierminister Luxemburgs, erinnert an frühere Zeiten. „Als er noch voll im Safte stand, war seine Präsenz schon manchmal störend“, erzählt Juncker über seinen „väterlichen Freund“. Dennoch sei Kohl niemals „wie eine Dampfwalze“ über kleinere Staaten hinweggegangen und habe damit die Deutsche Einheit klug vorbereitet. In Deutschland werde Kohl und seine Leistung oft „verzerrt“ dargestellt, moniert Juncker.

Kohl, im schwarzen Anzug und gelber Krawatte, sagt in seiner Ansprache, er müsse sich eigentlich noch schonen. Doch zu Ehren seines Freundes Schleyer sei er nach Stuttgart gekommen. Der Altkanzler war nach einer Knie-Operation in seinem Haus in Ludwigshafen-Oggersheim schwer gestürzt und musste mehrere Wochen im Krankenhaus verbringen.

Der Altkanzler ruft in Stuttgart dazu auf, die Opfer der RAF nicht zu vergessen. Er wende sich dagegen, wenn andere bestimmen wollten, was man nach so vielen Jahren zu glauben und woran man sich zu erinnern habe. Auf seine sehr schwierige Beziehung zur Familie Schleyer geht er nicht näher ein.

Der frühere Daimler-Manager und Industriepräsident Schleyer war am 5. September 1977 von der RAF entführt und über einen Monat später erschossen worden. Kohl nennt die Zeiten des RAF-Terrors „furchtbare Jahre“. Es seien auch für die Politik schwere Jahre gewesen. Und dann kommt wieder dieser Satz: „Ich habe einen Freund verloren.“