Die Bundesrepublik Deutschland hat nach dem Urteil kein gültiges Bundeswahlgesetz. Die Richter gewähren keine Übergangszeit.

Karlsruhe/Berlin. Dieser eine Satz sei der eigentliche Hammer beim Wahlrechts-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, sagt der Grünen-Politiker Volker Beck wenige Minuten nach dem Richterspruch in Karlsruhe. Jener Satz, gerade ausgesprochen von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, lautet: „Es fehlt somit gegenwärtig an einer wirksamen Regelung des Sitzzuteilungsverfahrens für die Wahlen zum Deutschen Bundestag.“

Was das heißt, formuliert Beck rasch so, dass es jeder versteht. Um die Tragweite zu betonen, macht Beck sogar kleine Pausen zwischen den einzelnen Wörtern: „Die Bundesrepublik Deutschland hat kein gültiges Bundeswahlgesetz!“ Das sei sicher eine „Schrecksekunde“ für Union und FDP gewesen, die die Verfassungswidrigkeit des Wahlrechts zu verantworten hätten, sagt der Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer der Grünen.

+++Zu viele Überhangmandate? Karlsruhe urteilt über Wahlrecht+++

Das bisherige Wahlrecht für den Bundestag wurde in zentralen Punkten für verfassungswidrig erklärt und hat sich damit am 25. Juli 2012 mit der Urteilsverkündung um 10.00 Uhr in Luft aufgelöst. Der Zweite Senat sah „keine Möglichkeit, den verfassungswidrigen Zustand erneut für eine Übergangszeit zu akzeptieren“, betonte Voßkuhle.

Die Parteien betonten daraufhin zwar eifrig, dass sie in den nächsten Monaten rasch eine Neuregelung schaffen wollen. Doch was wäre, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in den kommenden Wochen etwa wegen der Euro-Krise die Vertrauensfrage im Bundestag stellen müsste und diese verlieren würde, fragte Beck. Dann müsste es eigentlich eine vorgezogene Neuwahl geben – ohne gültiges Wahlrecht. „Dann wären wir mitten in einer Staatskrise“, warnte Beck.

Die Unionsfraktion hält allerdings das von den Grünen an die Wand gemalte Schreckensbild einer Staatskrise für übertrieben: „Diese Gefahr sehen wir nicht“, sagte Unionsfraktionsvize Günther Krings (CDU) in Karlsruhe. Er glaube an die „Stabilität“ der schwarz-gelben Regierung.

Doch auch Krings weiß, dass jetzt sehr rasch eine Neuregelung geschaffen werden muss. Auch wenn die nun verlangte erneute Reform des Wahlrechts eine „sehr komplizierte Aufgabe“ sei und die vom Gericht vorgenommene Deckelung auf 15 Überhangmandate ziemlich überraschend gekommen sei. Der CDU-Politiker weiß: „Wir müssen jetzt mit Hochdruck ran.“

Auch der Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, beantwortet nach der Urteilsverkündung im Sitzungssaal des Gerichts zunächst ausführlich Fragen von Journalisten. Als sich schließlich die Reihen lichten, geht Oppermann auf den CDU-Politiker Krings zu und sagt zu ihm: „Na mein Lieber, wollen wir gleich verhandeln?“

Berlin sieht keine Konsequenzen aus Wahlrechts-Urteil

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hat nach Auffassung des rot-schwarzen Senats keine Konsequenzen für Berlin. Einer der von den Richtern als verfassungswidrig kritisierten Punkte – die Möglichkeit von Überhangmandaten – komme in Berlin anders zum Tragen als im Bund, erklärte die Innenverwaltung auf Anfrage.

„Das Berliner Landeswahlgesetz sieht einen Ausgleich erzielter Überhangmandate durch Ausgleichsmandate vor, so dass die Sitzverteilung im Abgeordnetenhaus stets das nach der Zahl der sogenannten Zweitstimmen berechnete Stärkeverhältnis der gewählten Parteien abbildet“, hieß es in der Stellungnahme. Die Innenverwaltung ist in Berlin für die Überwachung des Wahlrechtes zuständig.

„Die Frage des sogenannten negativen Stimmgewichts in bestimmten wahlrechtlichen Sonderkonstellationen hat bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin keine Bedeutung erlangt“, hieß es weiter.

Die höchsten Richter hatten am Mittwoch das erst vor wenigen Monaten von der schwarz-gelben Bundesregierung reformierte Wahlrecht in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Die Richter beanstandeten die Möglichkeit zahlreicher Überhangmandate. Solche Zusatzmandate entstehen, wenn die Kandidaten einer Partei mehr Wahlkreise direkt gewinnen, als dem Stimmenanteil der Partei bei den Zweitstimmen entspricht. Diese Mandate kommen tendenziell den großen Parteien zugute – vor allem der CDU/CSU und der SPD.

Zudem wurde der Effekt des sogenannten negativen Stimmgewichts kritisiert. Demnach kann es dazu kommen, dass die Abgabe einer Stimme der jeweiligen Partei bei der Berechnung der Abgeordnetenzahl im Ergebnis schadet. Grund hierfür ist die Bildung von Sitzkontingenten in den einzelnen Bundesländern.

Mit Material von dapd