Die Windkraft auf See wird zum Hauptproblem der Energiewende. Die Küstenländer fordern eine schnellere Netzanbindung und setzen auf Merkel.

Berlin. Angela Merkel hat den Brief noch nicht beantwortet. Auf den erhofften Gesprächstermin mit der Regierungschefin müssen die fünf norddeutschen Ministerpräsidenten damit weiter warten. Vor knapp zwei Wochen hatte Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) als Vorsitzender der norddeutschen Ministerpräsidentenkonferenz der Kanzlerin geschrieben. Es ging um den stockenden Ausbau der Stromnetze, die Anbindung der Offshore-Windenergie ans deutsche Stromnetz und die Probleme mit dem Netzbetreiber Tennet.

Böhrnsen hatte in dem Brief eine "noch weiter zugespitzte Situation" geschildert und klargemacht, dass die Angelegenheit "keinen weiteren Aufschub" vertrage. Bremens Rathauschef ist normalerweise nicht der Typ Politiker, der zu unnötigen Dramatisierungen neigt. Es muss also ernst sein.

Dass es ernst um die Umsetzung der Energiewende steht, bestätigten alle Regierungschefs der Nordländer auf Abendblatt-Anfrage. Das ausgerufene Ziel, bis 2030 eine Leistung von bis zu 25 000 Megawatt und 15 Prozent des Strombedarfs in Deutschland aus den Windparks in Nord- und Ostsee abzurufen ist wegen der Verzögerungen fraglich geworden. Für Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ist es "das Wichtigste", dass jetzt der Ausbau der Übertragungsnetze in Deutschland und der Anschluss der Offshore-Windparks vorankommen. Norddeutschland spiele als führende Windenergie-Region bei der Energiewende eine "Schlüsselrolle". Die Nordländer wollen nicht den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen, sollten die Pläne nicht eingehalten werden.

+++ Energiewende: Das Warten auf den rauen Wind +++

Ein bedeutender Grund für die Unzufriedenheit der Nordländer ist das niederländische Unternehmen Tennet, das im Jahr 2009 dem E.on-Konzern das Stromnetz abgekauft hatte und seitdem fast den gesamten Norden Deutschlands abdeckt. Ohne das niederländische Staatsunternehmen geht also nichts mehr bei der Energiewende.

Vor drei Jahren war davon in der Bundesregierung noch nicht die Rede gewesen. Aber jetzt muss Tennet Milliarden in die Hand nehmen, da gerade in Norddeutschland die höchsten Netzinvestitionen anfallen. Schließlich soll die Offshore-Windenergie zum Prestigeprojekt der neuen Energieversorgung werden.

Doch Tennet ist mit der Aufgabe sichtlich überfordert, wie Bremens Regierungschef Böhrnsen im Abendblatt kritisiert: "Die für den weiteren Ausbau der Offshore-Windenergie lebenswichtige Netzanbindung stockt, weil der zuständige Netzbetreiber nicht in der Lage ist, diese Aufgabe zu meistern." Entweder es gelinge, ohne weitere Verzögerung den Netzbetreiber fit zu machen, oder es müssten Alternativen gefunden werden wie die unter den norddeutschen Ministerpräsidenten schon diskutierte Deutsche Netzagentur, so Böhrnsen weiter. Seine Mahnung gilt auch dem Kanzleramt: "Wer jetzt weiter nicht handelt, der fährt die Energiewende krachend an die Wand."

Auch David McAllister, Ministerpräsident von Niedersachsen, verliert die Geduld mit Tennet. Sein Land schlage vor, "eine neue Offshore-Netzgesellschaft zu gründen, an der sich der Bund als Mehrheitseigentümer beteiligt", so der Regierungschef. Erst Anfang Juli hatten sich Wirtschafts- und Umweltministerium auf Haftungsregeln bei der Netzanbindung der Windparks geeinigt. Demnach sollen Netzbetreiber in Zukunft Schadenersatz an die Betreiber der Windparks zahlen, wenn diese verspätet oder für längere Zeit nicht ans Stromnetz angeschlossen werden. Die Netzbetreiber können allerdings die Zahlungen auf die Stromkunden abwälzen. Noch ist die Vereinbarung, die vor allem die Branche beruhigen soll, nicht in ein Gesetz geformt worden. McAllister drängt auf die Vorlage eines entsprechenden Entwurfs: "Niedersachsen erwartet, dass noch im Juli ein abgestimmter Gesetzentwurf vorgelegt und in den Bundestag eingebracht wird."

Die Eckpunkte zur Lösung der Haftungsprobleme bei den Netzanschlüssen seien ein wichtiger Schritt, um die aktuelle Offshore-Krise zu lösen, sagt der CDU-Politiker. Aber: Neben der Lösung der Haftungsprobleme bleibe die mangelnde Eigenkapitalausstattung des Netzbetreibers Tennet ein weiteres ungelöstes Problem.

Zumindest auf Staatssekretärsebene will die Bundesregierung die Gespräche in dieser Frage mit den Ländern wieder aufnehmen. Nach Abendblatt-Informationen hat das Wirtschaftsministerium die Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Nordländer und Bayerns, sowie Vertreter des Kanzleramts, des Umweltministeriums, der Bundesnetzagentur und von Tennet zum Gipfel eingeladen. "Ich freue mich, dass ein Gespräch auf hoher Ebene anberaumt wurde", sagt Böhrnsen und verweist auf die Dringlichkeit von Entscheidungen: "Wir brauchen schnellstens eine Lösung, damit wir den ungeheuren Investitionsstau beim Netzausbau beheben können."

+++ Zweifel an Energiewende wachsen +++

+++ Rösler kann sich Energiewende-Korrektur vorstellen +++

Im September, so hoffen die Nord-Regierungen, könnte endlich das erhoffte Treffen im Kanzleramt stattfinden. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) fordert, das von der Kanzlerin schon lange zugesagte Spitzengespräch müsse "schon bald nach der Sommerpause" kommen. Albig kann nicht nachvollziehen, warum der Bund die Sorgen des Nordens offenbar nicht allzu ernst nimmt: "Wir haben nicht den Eindruck, dass der Norden in Berlin mit höchster Priorität betrachtet wurde." Er habe schon mehrfach darauf hingewiesen, welche Bedeutung die Energiewende und der damit verbundene Ausbau der Stromnetze gerade für Schleswig-Holstein und die norddeutschen Bundesländer haben, beschwert Albig sich. Inzwischen fürchtet er, die Politik könne sich - aus einer Not heraus - wieder der Kernenergie zuwenden. "Scheitert das Projekt, werden wir die Generation sein, die den Menschen erklären muss, warum Atomkraftwerke wieder ans Netz gehen." Die Energiewende dürfe nicht ein theoretisches Projekt bleiben, sie müsse ein Erfolgsmodell aus Deutschland werden, mahnt der Kieler Regierungschef.

In die gleiche Kerbe schlägt der Regierungschef von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD): "In den letzten Monaten hat sich gezeigt, wie schlecht die Bundesregierung auf die Energiewende vorbereitet war", schimpft er. "Den Worten müssen jetzt endlich Taten folgen." Das Ziel, in den nächsten zehn Jahren aus der Atomkraft auszusteigen und gleichzeitig den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben, dürfe nicht wieder infrage gestellt werden.

Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) steht mächtig unter Druck. Er hat die Pannen bei der Energiewende bereits eingeräumt und will zuerst aber ein anderes Problem, das der Bezahlbarkeit des Stroms, lösen. Er kündigte für den September einen runden Tisch an. Auch die Nordländer sollen mit dabei sein.