Beim Verfassungsschutz Sachsen sind Abhörprotokolle aufgetaucht. Eventuell enthalten sie Hinweise auf die NSU-Terrorzelle

Berlin. Jan W. wollte Waffen. Davon ging 1998 jedenfalls der Verfassungsschutz aus. Jan W. soll den Auftrag gehabt haben, das untergetauchte Neonazi-Trio mit Waffen zu versorgen. Doch bei Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kam offenbar nichts an. Jan W. habe seine Versuche jedoch unvermindert fortgesetzt, glaubte der Verfassungsschutz.

Schon damals deutete vieles darauf hin, dass die mittlerweile verbotene Neonazi-Organisation Blood & Honour das Trio unterstützen wollte. Fahnder zählten die drei Mitglieder der als Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) bekannt gewordenen Terrorzelle zum Umfeld dieser rechtsradikalen Truppe. Und Jan W. galt als Anführer der sächsischen Einheit.

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Vielleicht waren er und die Ermittlungen bei Mitgliedern des internationalen Neonazi-Netzwerks die Spur, die zur abgetauchten Zwickauer Zelle hätten führen können. Die aus Thüringen stammenden Rechtsextremisten werden für eine beispiellose Mordserie mit zehn Todesopfern und weitere Straftaten, darunter mehrere Banküberfälle in Sachsen, verantwortlich gemacht.

Umso heikler erscheint nun, dass der sächsische Verfassungsschutz-Chef Reinhard Boos wegen des plötzlichen Auffindens von zwei Aktenmappen zurückgetreten ist, in der sich Protokolle von abgefangenen SMS und Telefonaten unter anderem von Jan W. aus dem Jahr 1998 befinden. Denn ungewöhnlich ist nicht allein, dass die Dokumente, in denen es um Blood & Honour geht, eigentlich schon längst bei den parlamentarischen Aufklärern der Pannen rund um den NSU hätten landen sollen. Nun sorgt auch der Inhalt der rund 100 Seiten für Fragezeichen.

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Nach dem Bekanntwerden des Aktenfundes am Mittwoch hieß es zunächst, in den Überwachungsprotokollen stehe wohl nichts Brisantes. Doch nach Informationen der "Welt" lassen Inhalte aufhorchen, die direkt auf Mitglieder des NSU hinweisen könnten. Nachrichten mit stark rassistischem Inhalt haben den Absender "Uwe", der in zwei verschiedenen Versionen auftaucht, einmal in Verbindung mit Ziffern, einmal in Verbindung mit Buchstaben. Das überraschte dann doch Abgeordnete in Sachsen. Denn ausschließen möchte mittlerweile fast niemand mehr etwas, nachdem in den vergangenen Monaten schon zahlreiche Pannen bei den Ermittlungen zur Mordserie bekannt geworden sind.

So wunderte es zunächst auch nur wenig, als gestern Morgen berichtet wurde, dass dem Bundesamt für Verfassungsschutz der nächste Aktenskandal drohe, weil dort weitere Dokumente über V-Leute in der rechtsextremen Szene vernichtet worden sein sollen. Das Amt selbst nahm kurz darauf jedoch ein bisschen die Luft heraus und teilte mit, dass bereits bekannte Akten nicht nur an einem, sondern an zwei Terminen vernichtet wurden. Auf eine solche Entwarnung wartet man nun auch in Sachsen.

Dort wurden die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission am selben Tag allerdings lediglich über den Inhalt der Akten informiert. Fragen, etwa zu den SMS-Absendern, können sie erst bei einer Sitzung am heutigen Freitag stellen. Solange steht zumindest im Raum, ob die Akten nicht doch auf schwere Ermittlungspannen in der Vergangenheit hinweisen könnten. Fraglich ist zudem weiterhin, ob die Dokumente zunächst bewusst zurückgehalten wurden. Es sei bitter und skandalös, dass deren Existenz erst in dieser Woche bekannt geworden sei, sagte der Vorsitzende der Kommission, Günther Schneider (CDU), nach der Sondersitzung des Gremiums.

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Die Linken im sächsischen Landtag sehen nach der Aktenpanne beim Landesamt für Verfassungsschutz das Vertrauen in den Geheimdienst irreparabel gestört. Fraktionschef André Hahn hinterfragte die Wirksamkeit parlamentarischer Kontrolle. "Wir können nur das bewerten, was man uns zeigt", sagte er nach der Sondersitzung. Wenn immer wieder neues Material bekannt werde, sei kein Vertrauensverhältnis mehr möglich.

Vor allem die im Jahr 2000 verbotene Vereinigung Blood & Honour rückt nun in den Fokus. Auch wenn Jan W., 37, angibt, dass er mit der rechten Szene heute nichts mehr zu tun habe. Seine Vergangenheit holt ihn ein - so wie im Januar, als bei einer bundesweiten Razzia zum NSU auch seine Wohnung durchsucht wurde. Die Bundesanwaltschaft führt ihn im NSU-Komplex auf der Liste der Beschuldigten. Die genauen Verbindungen von Blood & Honour zur Zwickauer Zelle sind dabei noch immer nicht ganz klar.

Auch die Rolle von Mitgliedern als mögliche Waffenbeschaffer bleibt vage, aber höchst interessant. Schließlich steht noch immer nicht fest, wo der Großteil des Waffenarsenals des Mördertrios herkommt, den man im vergangenen November im Schutt ihrer letzten Wohnung in Zwickau sowie in ihrem Wohnmobil fand.

Eine Stadt, in der sich damals viel abspielte, ist Chemnitz, der Wohnort von Jan W. Nach dem Untertauchen zog das Trio im Februar 1998 von Jena zunächst in diese Stadt. Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt wohnten nur ein paar Minuten mit dem Auto entfernt von Jan W., der eine Führungsfigur der rechten Chemnitzer Szene war. Er kam aus der Gruppierung CC 88, aus der später auch Teile von Blood & Honour in Sachsen hervorgingen. Jan W. stand damals hinter deren rassistischer Hauspostille "White Supremacy". Im Oktober 1998 erschien dort ein anonymer Text mit der Überschrift "Gedanken zur Szene", der Mundlos zugeschrieben wird. Bekannt war Jan W. aber auch, weil er die Neonazi-Musikgruppe "Landser" unterstützte. Bandmitglieder bezeichneten sich als "Terroristen mit E-Gitarre". 2005 wurde die Band verboten. Jan W. vertrieb weiterhin ihre CDs - und kassierte deshalb eine Bewährungsstrafe.