Die Neuregelung sorgt weiter für Diskussion – Bayern will die Änderung im Bundesrat erzwingen – Horst Seehofer: “Dicker Fehler passiert“

Berlin. Die Debatte über das Meldegesetz reißt nicht ab: Die beiden führenden Unions-Innenexperten im Bundestag, Hans-Peter Uhl und Wolfgang Bosbach, haben jetzt die Neuregelung entschieden gegen Kritik verteidigt. Das neue Bundesmeldegesetz schaffe "in allen 16 Bundesländern mehr Datenschutz“, sagte Uhl am Dienstag. Der CSU-Politiker trat zudem Vorwürfen entgegen, das Gesetz komme professionellen Adresshändlern zugute, die persönliche Daten von Bürgern an Firmen verkaufen. Allerdings wollte sich Uhl Änderungen an dem Gesetz auch nicht verschließen.

+++Umstrittenes Meldegesetz: Die Abstimmung vom 28. Juni im Bundestag+++

Das Meldegesetz sorgt seit Tagen für Streit. Die Opposition will das Vorhaben im Bundesrat kippen. Aber auch die Bundesregierung verlangt inzwischen Korrekturen. Dabei war der Gesetzentwurf am 28. Juni kurz nach Anpfiff des EM-Halbfinalspiels Deutschland-Italien mit den Stimmen der schwarz-gelben Koalition verabschiedet worden. Der Innenausschuss des Bundestags hatte die Vorlage aus dem Innenministerium noch kurzfristig geändert. Demnach können Firmen bei den Meldeämtern Daten von Bürgern abfragen, wenn diese nicht widersprechen. Ursprünglich war vorgesehen, dass die Bürger in eine Weitergabe von Daten einwilligen müssen.

Das Gesetz ist im Bundesrat zustimmungspflichtig. Die Länder können also noch Änderungen durchsetzen. Im Bundesrat hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit.

Auch der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), verteidigte den Parlamentsbeschluss zum Meldegesetz vor allem gegen den Vorwurf, man sei der Wirtschaft bewusst entgegen gekommen. "Wenn das ein Geschenk für die Werbewirtschaft sein soll, dann wäre auch die bisherige Rechtslage in den Bundesländern ein solches Geschenk“, sagte Bosbach der "Saarbrücker Zeitung“. Dagegen äußerte SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz in der "Bild-Zeitung“ den Verdacht, dass das Gesetz das Ergebnis der Lobbyarbeit von Interessenverbänden sei.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kündigte derweil in der "Augsburger Allgemeinen“ an, die umstrittene Regelung solle mit Unterstützung der bayerischen CSU/FDP-Koalition rückgängig gemacht werden. "Wir wollen zurück zur Einwilligungslösung“, sagte die FDP-Politikerin. Die bayerische Staatsregierung strebe an, zum ursprünglichen Entwurf zurückzukehren. Ministerpräsident Horst Seehofer betonte am Dienstag vor einer Klausur seines Kabinetts in St. Quirin am Tegernsee, bei den parlamentarischen Beratungen im Bundestag sei "ein dicker Fehler passiert“.

Ähnlich bewertete dies der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Es gebe "ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Bürgern und Meldebehörden“, sagte Landsberg der "Passauer Neuen Presse“. „Da darf noch nicht einmal der Anschein entstehen, dass Daten an Adresshändler einfach so weitergegeben werden. “Ohne Einwilligung des Betroffenen sollten Daten nicht weitergegeben werden können, forderte Landsberg.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast warf der Bundesregierung vor, sie verstricke sich "gerade immer tiefer in Widersprüche“. Die Kehrtwende beim Meldegesetz sei nur glaubwürdig, wenn die Regierung auch bei der laufenden europäischen Datenschutzreform ihren Widerstand gegen die Kommission aufgebe. "Sie sollte sich auch bei der Datenschutzgrundverordnung für die ausdrückliche vorherige Einwilligung bei der Verwendung von persönlichen Daten zu Werbezwecken aussprechen“, verlangte Künast.

Abendblatt.de beantwortet die wichtigsten Fragen:

Worum geht es?

"Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens" heißt die Vorlage etwas umständlich, über die es große Aufregung gibt. Ursprünglicher Grund ist die Föderalismusreform von 2006. Mit ihr wurde die Gesetzgebungskompetenz für das Meldewesen von den Ländern auf den Bund übertragen. Die jetzige Novelle sollte das bislang geltende Melderechtsrahmengesetz und die Ländermeldegesetze zusammenfassen.

Was macht das Gesetz so brisant?

Konkret geht es um einen Gesetzesentwurf, der bereits im November 2011 von der Bundesregierung im Bundestag eingebracht worden war. Dort wurde er nach der ersten Lesung, wie zumeist üblich, in den zuständigen Ausschuss zur Beratung gegeben - in diesem Fall in den Innenausschuss.

Bis kurz vor der angesetzten Bundestagsabstimmung sah alles so aus,als würde das Gesetz wie geplant durchgehen. In der Fassung der Bundesregierung war unter anderem vorgesehen, dass die Weitergabe persönlicher Daten durch die Meldebehörden ausdrücklich der Zustimmung der Betroffenen bedarf, sie enthielt also eine Einwilligungsregelung. Genau das wurde allerdings ganz kurz vor der Beschlussfassung im Parlament geändert. Der nur spärlich besetzte Bundestag beschloss am Abend des 28. Juni, kurz nach Anpfiff des EM-Halbfinalspiels Deutschland gegen Italien (1:2), auf Empfehlung des Innenausschusses einen modifizierten Gesetzesentwurf, der nun die Weitergabe der Daten erlaubt, solange die Betroffenen nicht aktiv Widerspruch einlegen - er enthält also nur noch eine Widerspruchsregelung.

Wie konnte es dazu kommen?

Nach Informationen des Abendblatts aus Koalitionskreisen wurden die Änderungen vor allem auf Drängen des CSU-Innenpolitikers Hans-Peter Uhl einen Tag vor dem Bundstagsentscheid, also am Mittwoch, dem 27. Juni, in den Innenausschuss eingebracht. Das Internetportal abgeordnetenwatch.de berichtet, auch die FDP-Politikerin Gisela Piltz sei beteiligt gewesen. Mit den Stimmen der schwarz-gelben Koalition einigte man sich auf die Änderungen. "Die schwarz-gelbe Koalition hat den Änderungseintrag kurz vor der Abstimmung im Parlament in den Innenausschuss eingebracht. In einer Woche, in der sich medial alles um die Bundestagsabstimmung über ESM und Fiskalpakt gedreht hat, haben Union und FDP offenbar gehofft, dass dies unter dem Radar der Öffentlichkeit hindurchfliegt", sagte der Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz dem Abendblatt. Er ist ebenfalls Mitglied des Innenausschusses - und hat sich gegen die Novelle ausgesprochen.

Was sagen die Kritiker?

Opposition und Datenschützer halten Schwarz-Gelb vor, im Interesse vonAdresshändlern gehandelt zu haben. Der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert weist darauf hin, es werde so ein riesiges Datengeschäft aufgemacht. Der Gesetzesentwurf zeige, "dass unsere Persönlichkeitsrechte der Werbewirtschaft einige Euro wert sind", sagte er dem Abendblatt. Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar kritisierte, der Werbebranche und dem Adresshandel werde durch das Gesetz die Möglichkeit einer stetigen Datenaktualisierung - auch gegen den Willen der Betroffenen - gesetzlich eingeräumt. Tatsächlich ist eine Einschränkung des Widerspruchsrechts vorgesehen. Im Gesetzesentwurf heißt es, es gelte nicht, "wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden". Hat also ein Unternehmen eine Adresse bereits und möchte die Daten nur aktualisieren, ist Widerspruch beim Amt zwecklos.

+++ Desinteresse am Volk +++

Wie geht es jetzt weiter?

Der Bundesrat wird das Gesetz im Herbst stoppen - die meisten Länder haben bereits Korrekturwünsche angemeldet, darunter auch der Hamburger Senat und das CSU-geführte Bayern.Eine Mehrheit in der Kammer wird deshalb absehbar nicht zustande kommen. Das Gesetz landet damit im Vermittlungsausschuss. Hier kann dann nachgebessert werden. "Für ein Umsteuern im Gesetzgebungsverfahren ist es noch nicht zu spät", betonte der Datenschutzbeauftragte Caspar.

Nach der lauten Empörung sind auch zahlreiche Koalitionspolitiker umgeschwenkt. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte der "Passauer Neuen Presse", sie halte die ursprünglich vorgesehene Einwilligungslösung für den richtigen Weg. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) äußerte sich ebenfalls skeptisch. Die Regelung sei "nicht verbraucherfreundlich".

Selbst FDP-Politikerin Piltz - Mit-Initiatorin der Änderung - ruderte zurück und feuerte Richtung CSU: "Erfreut nehmen wir den Sinneswandel der CSU zur Kenntnis, die offensichtlich doch datenschutzfreundlicher ist, als sich dies bislang gezeigt hat", ließ sie gestern wissen. CSU-Mann Uhl sprach hingegen weiter von einer "vernünftigen und ausgewogenen Lösung", mit der den Interessen des Datenschutzes ebenso Rechnung getragen werde wie denen von Versandhändlern, die säumige Zahler ausfindig machen wollten. "Es gibt laut höchstrichterlicher Rechtsprechung in Deutschland kein Recht, sich zu verstecken", sagte er.

Warum war der Bundestag fast leer?

Der Bundestag ist kein Präsenzparlament. Das bedeutet, dass nicht immer alle Abgeordneten anwesend sein müssen, wenn Entscheidungen gefällt werden. Zugegen sind meist nur die zuständigen Fachpolitiker, mitunter also nur eine Handvoll Leute. In der Regel werden das Für und das Wider eines Gesetzes vor allem in den Ausschüssen abgewogen und dort die Feinheiten justiert. Wer gerade nicht im Plenum sitzt, kümmert sich genau darum - im aktuellen Fall des Meldegesetzes saß allerdings wohl ein großer Teil vor dem Fernseher. Nur wenige Abgeordnete waren im Plenum anwesend, die Reden wurden nicht vorgetragen, sondern schriftlich zu Protokoll gegeben.

Was bedeutet das Gesetz für Hamburg?

Vorerst nichts. Es tritt frühestens zum 1. Januar 2014 in Kraft, wenn sich der Vermittlungsausschuss einigt. Die Verantwortung für die Anwendung läge danach bei der Innenbehörde. "Wir erhalten dann die Ausführungsbestimmungen, und dann machen wir das", sagte der Bezirksamtsleiter von Eimsbüttel, Torsten Sevecke, dem Abendblatt. (dapd/abendblatt.de)