Grünen-Vorsitzende Claudia Roth geht davon aus, dass der Zeitpunkt für das kontroverse Thema Meldegesetz “sehr bewusst“ gewählt wurde.

Berlin/München. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth hat den Zeitpunkt für die Verabschiedung des neuen Bundesmeldegesetzes während des Halbfinals der Fußball-EM kritisiert. Obwohl der Punkt auf der Tagesordnung gestanden habe, sei sie selbst nicht im Bundestag gewesen. „Ich sage ehrlich, ich habe Fußball geschaut“, sagte Roth am Montag in Berlin. Die fachlich zuständigen Abgeordneten seien aber dort gewesen. Roth ging davon aus, dass der Zeitpunkt für das kontroverse Thema „sehr bewusst“ gewählt wurde. Die Bundesregierung hat sich am Montag im Streit um das umstittene Gesetz von den sie tragenden Fraktionen im Bundestag distanziert.

+++Adressenverkauf durch Ämter – Widerspruch zwecklos+++

+++Ministerin Aigner distanziert sich von Meldegesetz+++

„Der Bundestag hat in seiner letzten Ausschusssitzung und in seiner letzten Sitzung eine Veränderung vorgenommen, die nicht mit uns abgesprochen gewesen ist“, sagte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner am Montag in München. Aus gutem Grund habe der Entwurf der Bundesregierung für ein neues Meldegesetz die Weitergabe persönlicher Daten von der ausdrücklichen Einwilligung der Betroffenen abhängig gemacht.

Auch am Montag hielt die Kritik an dem mit der Stimmenmehrheit von Union und FDP verabschiedeten Gesetz an, nach dem die bei den Meldeämtern erfassten Bürger ausdrücklich und von sich aus der Weitergabe ihrer Daten widersprechen müssen. Ansonsten wäre der Verkauf beispielsweise der Adressen durch die Behörden zulässig. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, nannte das Gesetz im Deutschlandfunk ein Geschenk für die Werbewirtschaft.

Die FDP, die für die Regelung gestimmt hatte, zeigt sich mittlerweile offen für Änderungen. „Die FDP-Bundestagsfraktion war und ist natürlich offen für weitere Verbesserungen“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Liberalen, Gisela Piltz, am Montag in Berlin. „Wir laden die CDU/CSU-Fraktion herzlich ein, schnellstmöglich zu einer Einwilligungslösung im Melderecht zu kommen.“ Genau diese hatten Union und FDP im Innenausschuss, in dem Piltz sitzt, aus der Gesetzesvorlage entfernt. Piltz betonte, auch diese Regelung sei „eine Verbesserung für die Bürgerinnen und Bürger gegenüber der geltenden Rechtslage in den Landesgesetzen“. Bisher war das Melderecht Ländersache, mit der Föderalismusreform wechselte die Zuständigkeit zum Bund.

Auch Regierungssprecher Steffen Seibert rüffelte das Votum des Bundestages: „Die Bundesregierung hat mit guten Gründen den Gesetzentwurf so vorgelegt, wie sie ihn vorgelegt hat“, sagte er in Berlin. Die Bundesregierung setzt nun darauf, dass der Bundesrat den Gesetzentwurf stoppt. „Ich gehe davon aus, dass im Bundesrat jetzt der Vermittlungsausschuss einberufen wird, und dass sich hier noch eine Änderung ergibt“, sagte Aigner. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer kündigte an: „Wenn das stimmt, was ich bisher weiß, dann wird Bayern dem nicht zustimmen.“ Auch CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt bekräftigte nach der Sitzung des CSU-Vorstands in München, Bayern werde dem Gesetz in der jetzigen Form nicht im Bundesrat zustimmen.

Diese Linie verfolgen auch SPD-geführte Länder. Er glaube nicht, dass das Gesetz den Bundesrat unverändert überstehe, sagte der Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Bei Adresshändlern sollten die Sektkorken nicht zu früh knallen.“ Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann, warf Aigner vor, es sei unredlich, so zu tun, als wäre des Änderungsantrag der Fraktionen von Union und FDP aus dem Nichts gekommen. Erstaunlich sei auch das Schweigen der sonst so um Datenschutz bemühten Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Er warf den Regierungsparteien vor, die Interessen der Adresshändler zulasten des Datenschutzes bedient zu haben.

Der CDU-Abgeordnete Helmut Brandt verteidigte dagegen die Novelle. Er verstehe die Aufregung nicht, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. Die Widerspruchslösung sei ein probates Mittel. In Bezug auf den Adressenhandel habe sich nichts geändert. Es gälten dieselben datenschutzrechtlichen Bestimmungen wie bisher.

+++Ämter geben bei "glaubhaftem Grund" alle Daten heraus+++

Dem widersprach entschieden der Deutsche Städte- und Gemeindebund. „Es darf nicht einmal der Anschein entstehen, dass Daten ohne Einwilligung des Betroffenen weitergegeben werden könnten“, erklärte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Es sei völlig unverständlich, dass im neuen Gesetz vorgesehen sei, dass ein Widerspruch nicht möglich ist, wenn die Firmen bereits die Daten hätten und sie lediglich überprüfen lassen wollten.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte sich zunächst gegen übereilte Forderungen nach Korrekturen ausgesprochen. Er warnte vor „Schnellschüssen“ und empfahl jedem Politiker, sich „inhaltlich“ mit dem Thema auseinanderzusetzen. Friedrich betonte, durch das Vorhaben werde der Datenschutz im Vergleich zur bisherigen Rechtslage verschärft. Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl wies sogar vor der Sitzung des Vorstands im Gespräch mit Journalisten entschieden die Kritik an dem Gesetz zurück: „Ich bin der Meinung, dass die Lösung, die wir im Bundestag beschlossen haben, eine vernünftige und ausgewogene Lösung ist.“ Damit werde der Datenschutz „zugunsten des Bürgers“ verstärkt.

Mit Material von dpa/dapd