Nach einem Sturm der Entrüstung rückt die Bundesregierung vom geplanten Vorhaben ab. Jetzt soll der Bundesrat die Novelle stoppen. Man gehe davon aus, dass das Meldegesetz wieder verändert wird, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Berlin. Es war in einer Zeit, zu der sich die bundesdeutsche Öffentlichkeit vor allem um zwei Themen drehte: Die Fußball-Europameisterschaft und die Rettung des Euro. Während in der letzten Sitzungswoche des Bundestags vom 25. bis 29. Juni in Berlin um eine mehrheitliche Zustimmung zu Fiskalpakt und Rettungsschirm gerungen wurde, stand die deutsche Nationalelf vor dem Halbfinale. Fast unbemerkt passierte in dieser Gemengelage ein weiteres wichtiges Thema den Bundestag - und bescherte dem politischen Berlin anderthalb Wochen später das erste große Theater der gerade begonnenen parlamentarischen Sommerpause.

Denn auf einmal will eine Novelle des Meldegesetzes, die eigentlich schon beschlossen wurde, keiner mehr haben. Union, FDP und Bundesregierung ruderten nach harscher Kritik zurück: Man gehe davon aus, dass das Meldegesetz wieder verändert wird, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) distanzierte sich am Dienstag von den im parlamentarischen Verfahren durchgesetzten Änderungen. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte die Rückkehr zur von der Regierung vorgeschlagenen Lösung. Auch aus Niedersachsen und den Kommunen kam Kritik. Aigner (CSU) kritisierte die Parlamentsfassung. „Aus meiner Sicht war es ein Fehler, dass der entscheidende Paragraf quasi über Nacht im Schnellverfahren geändert wurde“, sagte Aigner der „Bild“-Zeitung. „So wird das Gesetz nicht kommen.“

Leutheusser-Schnarrenberger sagte der „Augsburger Allgemeinen“: „Wir wollen zurück zur Einwilligungslösung.“ Die umstrittene Regelung der Weitergabe von Daten der Einwohnermeldeämter solle mit Unterstützung der bayerischen CSU/FDP-Koalition rückgängig gemacht werden.

SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz vermutete, dass das Gesetz das Ergebnis der Lobbyarbeit von Interessenverbänden sei. „Hier ist offenbar die Koalition gegenüber dem Adresshandel und der Werbewirtschaft eingeknickt“, sagte er der „Bild-Zeitung.

Niedersachsens Justizminister Bernd Busemann verlangte Änderungen am Meldegesetz. „So, wie das Gesetz jetzt aussieht, kann es nicht bleiben", sagte der CDU-Politiker der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Der Verkauf von Daten liege keineswegs im öffentlichen Interesse. Wenn so etwas beabsichtigt sei, könne dies nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Bürgers geschehen. Den Bundestag rief Busemann auf, seine Abläufe besser zu ordnen.

Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, fürchtet um das Vertrauensverhältnis zwischen Bürgern und Behörden. „Es gibt ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Bürgern und Meldebehörden", sagte Landsberg der “Passauer Neuen Presse". „Da darf noch nicht einmal der Anschein entstehen, dass Daten an Adresshändler einfach so weitergegeben werden." Vorwürfe, die Kommunen wollten mit der Weitergabe von Meldedaten Geld verdienen, wies Landsberg zurück. “In Fällen, in denen es keinen Widerspruch der Betroffenen gibt, werden Daten weitergegeben. Dann wird eine Gebühr erhoben, mit der die Kommunen ihre Kosten decken", sagte er.

Worum geht es?

"Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens" heißt die Vorlage etwas umständlich, über die es große Aufregung gibt. Ursprünglicher Grund ist die Föderalismusreform von 2006. Mit ihr wurde die Gesetzgebungskompetenz für das Meldewesen von den Ländern auf den Bund übertragen. Die jetzige Novelle sollte das bislang geltende Melderechtsrahmengesetz und die Ländermeldegesetze zusammenfassen.

Was macht das Gesetz so brisant?

Konkret geht es um einen Gesetzesentwurf, der bereits im November 2011 von der Bundesregierung im Bundestag eingebracht worden war. Dort wurde er nach der ersten Lesung, wie zumeist üblich, in den zuständigen Ausschuss zur Beratung gegeben - in diesem Fall in den Innenausschuss.

Bis kurz vor der angesetzten Bundestagsabstimmung sah alles so aus,als würde das Gesetz wie geplant durchgehen. In der Fassung der Bundesregierung war unter anderem vorgesehen, dass die Weitergabe persönlicher Daten durch die Meldebehörden ausdrücklich der Zustimmung der Betroffenen bedarf, sie enthielt also eine Einwilligungsregelung. Genau das wurde allerdings ganz kurz vor der Beschlussfassung im Parlament geändert. Der nur spärlich besetzte Bundestag beschloss am Abend des 28. Juni, kurz nach Anpfiff des EM-Halbfinalspiels Deutschland gegen Italien (1:2), auf Empfehlung des Innenausschusses einen modifizierten Gesetzesentwurf, der nun die Weitergabe der Daten erlaubt, solange die Betroffenen nicht aktiv Widerspruch einlegen - er enthält also nur noch eine Widerspruchsregelung.

+++ Protokoll der Meldegesetz-Abstimmung im Bundestag +++

Wie konnte es dazu kommen?

Nach Informationen des Abendblatts aus Koalitionskreisen wurden die Änderungen vor allem auf Drängen des CSU-Innenpolitikers Hans-Peter Uhl einen Tag vor dem Bundstagsentscheid, also am Mittwoch, dem 27. Juni, in den Innenausschuss eingebracht. Das Internetportal abgeordnetenwatch.de berichtet, auch die FDP-Politikerin Gisela Piltz sei beteiligt gewesen. Mit den Stimmen der schwarz-gelben Koalition einigte man sich auf die Änderungen. "Die schwarz-gelbe Koalition hat den Änderungseintrag kurz vor der Abstimmung im Parlament in den Innenausschuss eingebracht. In einer Woche, in der sich medial alles um die Bundestagsabstimmung über ESM und Fiskalpakt gedreht hat, haben Union und FDP offenbar gehofft, dass dies unter dem Radar der Öffentlichkeit hindurchfliegt", sagte der Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz dem Abendblatt. Er ist ebenfalls Mitglied des Innenausschusses - und hat sich gegen die Novelle ausgesprochen.

Was sagen die Kritiker?

Opposition und Datenschützer halten Schwarz-Gelb vor, im Interesse vonAdresshändlern gehandelt zu haben. Der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert weist darauf hin, es werde so ein riesiges Datengeschäft aufgemacht. Der Gesetzesentwurf zeige, "dass unsere Persönlichkeitsrechte der Werbewirtschaft einige Euro wert sind", sagte er dem Abendblatt. Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar kritisierte, der Werbebranche und dem Adresshandel werde durch das Gesetz die Möglichkeit einer stetigen Datenaktualisierung - auch gegen den Willen der Betroffenen - gesetzlich eingeräumt. Tatsächlich ist eine Einschränkung des Widerspruchsrechts vorgesehen. Im Gesetzesentwurf heißt es, es gelte nicht, "wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden". Hat also ein Unternehmen eine Adresse bereits und möchte die Daten nur aktualisieren, ist Widerspruch beim Amt zwecklos.

+++ Desinteresse am Volk +++

Wie geht es jetzt weiter?

Der Bundesrat wird das Gesetz im Herbst stoppen - die meisten Länder haben bereits Korrekturwünsche angemeldet, darunter auch der Hamburger Senat und das CSU-geführte Bayern.Eine Mehrheit in der Kammer wird deshalb absehbar nicht zustande kommen. Das Gesetz landet damit im Vermittlungsausschuss. Hier kann dann nachgebessert werden. "Für ein Umsteuern im Gesetzgebungsverfahren ist es noch nicht zu spät", betonte der Datenschutzbeauftragte Caspar.

Nach der lauten Empörung sind auch zahlreiche Koalitionspolitiker umgeschwenkt. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte der "Passauer Neuen Presse", sie halte die ursprünglich vorgesehene Einwilligungslösung für den richtigen Weg. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) äußerte sich ebenfalls skeptisch. Die Regelung sei "nicht verbraucherfreundlich".

Selbst FDP-Politikerin Piltz - Mit-Initiatorin der Änderung - ruderte zurück und feuerte Richtung CSU: "Erfreut nehmen wir den Sinneswandel der CSU zur Kenntnis, die offensichtlich doch datenschutzfreundlicher ist, als sich dies bislang gezeigt hat", ließ sie gestern wissen. CSU-Mann Uhl sprach hingegen weiter von einer "vernünftigen und ausgewogenen Lösung", mit der den Interessen des Datenschutzes ebenso Rechnung getragen werde wie denen von Versandhändlern, die säumige Zahler ausfindig machen wollten. "Es gibt laut höchstrichterlicher Rechtsprechung in Deutschland kein Recht, sich zu verstecken", sagte er.

Warum war der Bundestag fast leer?

Der Bundestag ist kein Präsenzparlament. Das bedeutet, dass nicht immer alle Abgeordneten anwesend sein müssen, wenn Entscheidungen gefällt werden. Zugegen sind meist nur die zuständigen Fachpolitiker, mitunter also nur eine Handvoll Leute. In der Regel werden das Für und das Wider eines Gesetzes vor allem in den Ausschüssen abgewogen und dort die Feinheiten justiert. Wer gerade nicht im Plenum sitzt, kümmert sich genau darum - im aktuellen Fall des Meldegesetzes saß allerdings wohl ein großer Teil vor dem Fernseher. Nur wenige Abgeordnete waren im Plenum anwesend, die Reden wurden nicht vorgetragen, sondern schriftlich zu Protokoll gegeben.

Mit Material von dapd und dpa