Parteichef Philipp Rösler sieht sich durch Mitgliederentscheid gestärkt. Die schwerste Krise in der Geschichte der Liberalen hält jedoch an.

Berlin. Am Ende will Frank Schäffler noch dringend etwas loswerden. "Erlauben Sie mir eine persönliche Note", sagt er nach seiner kurzen Rede. "Ich bin jetzt auch froh, dass es zu Ende geht, und ich freue mich auf Weihnachten." Erleichtert klingt das, zumindest dem Gehalt der Worte nach. Aber so richtig will das Gesagte nicht zu dem zerknirschten Gesicht passen, das Schäffler auf dem Podium in der FDP-Parteizentrale macht. Denn auch wenn eine Feiertagsauszeit bevorsteht: Der von ihm initiierte Mitgliederentscheid zum Euro-Rettungsschirm ist verloren gegangen. Zu wenige Mitglieder haben mitgemacht, und nur die Minderheit von ihnen hat sich für seinen Antrag ausgesprochen, den Rettungsfonds ESM nicht zu unterstützen. Das schmerzt natürlich - auch wenn man bei den Liberalen schon mit diesem Ergebnis gerechnet hat.

So richtig glücklich wirken jedoch auch die Gewinner nicht. Die Gesichter von Parteichef Philipp Rösler und seinem neuen Generalsekretär Patrick Döring sind mit einem feinen Schweißfilm überzogen, der das Licht der Scheinwerfer reflektiert. Die Sitzung des Bundesvorstandes zuvor hat ungewöhnlich lange gedauert, doch wirklich anstrengend waren vor allem die vergangenen Wochen und besonders die letzten fünf Tage. Seit sich Rösler in einem Interview am Sonntag deutlich zu weit aus dem Fenster lehnte, als er den Mitgliederentscheid schon im Vorfeld für gescheitert erklärte, ist die Endphase der Abstimmung zu einer Schlammschlacht ausgeartet: Gegenseitige Vorhaltungen und neue Kritik an Röslers Führungskompetenz wurden laut, Vorwürfe standen zudem im Raum, der Parteivorstand habe die Wahlunterlagen absichtlich kompliziert gestaltet, um das Ergebnis zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Die Krise war perfekt.

Wenn man Schäffler, Rösler und Döring auf dem Podium zusieht, bekommt man eine Ahnung davon, wie erschöpft diese FDP jetzt ist. Die Umfragewerte dümpeln noch immer unter fünf Prozent. Als Parteichef musste Guido Westerwelle im Frühjahr seinen Hut nehmen, von sieben Landtagswahlen hat nur die in Hamburg ein einigermaßen anständiges Ergebnis hervorgebracht, fünf Landtage gingen dagegen verloren. Dann der Dauerkrach mit dem Koalitionspartner CDU/CSU, dazu der nervenzehrende Mitgliederentscheid. Dass das Führungstalent Christian Lindner am Mittwochmorgen zur Überraschung aller seinen Rücktritt vom Amt des Generalsekretärs verkündete, hat die Liberalen erneut in Schockstarre versetzt.

Doch nun ist es gut gelaufen für Rösler, der von einigen schon als das nächste Opfer der FDP-Krise gesehen wurde. Die Parteiführung hat noch einmal die Kurve gekriegt. Das Ergebnis ist dabei jedoch nur knapp ausgefallen: Von 65 000 Mitgliedern haben 20 400 abgestimmt - das Quorum von einem Drittel, mit dem der Entscheid bindende Wirkung gehabt hätte, wurde verfehlt. Hierzu wären 21 500 Stimmen nötig gewesen. 54 Prozent der Teilnehmer votierten für die Vorlage des Bundesvorstandes, der den dauerhaften Euro-Rettungsschirm und damit auch die Linie von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützt. 44 Prozent stimmten für Schäfflers Gegenantrag. Verwirrung bleibt am Ende allerdings über rund 2400 Stimmzettel, die zwar abgegeben, aber als ungültig erklärt wurden. Der Grund: Die Versicherung über die Parteimitgliedschaft sei nicht mitgeschickt worden, wie Döring erklärt. Das System solle aber für kommende Entscheide reformiert werden, damit so etwas nicht wieder geschehe.

Rösler selbst spricht trotz des knappen Ausgangs von einem "starken Votum" - und auch sonst bemüht sich die Partei um Optimismus und Geschlossenheit. Westerwelle sieht gar eine gute Nachricht "für Deutschland, für Europa und für die Liberalen". Und selbst Schäffler sagt, er wolle nun "dazu beitragen, dass die Gräben in der Partei wieder zugeschüttet werden".

Auch Hamburgs FDP-Fraktionschefin Katja Suding sagte dem Abendblatt, sie sei über das Ergebnis "sehr erleichtert." Rösler habe in den letzten Wochen energisch für eine Zustimmung zum Euro-Rettungsschirm gekämpft, "das klare Votum stärkt ihn als Parteivorsitzenden". Die Frage ist dabei allerdings, ob die guten Vorsätze reichen, damit die angeschlagene Partei zusammenhält und die beiden Lager sich wieder vertragen. Die Opposition sieht in dem Votum nichts anderes als eine Galgenfrist für Rösler und die FDP. Die Partei stehe vor einem Scherbenhaufen, sagte etwa SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. "Wenn knapp die Hälfte der Mitglieder den Kurs von Parteiführung und Regierung ablehnt, ist das kein Vertrauensbeweis." Für Angela Merkel jedenfalls ist das FDP-Votum so etwas wie ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. Die Kanzlerin hat jetzt eine Sorge weniger. Wäre das Ergebnis anders gekommen, wäre nicht nur die FDP, sondern die gesamte Regierungskoalition in schweres Fahrwasser geraten. Denn eigentlich befürwortet sie den Rettungsschirm - hätte die Basis die Umkehr verlangt, müsste auch die Parteispitze nun dagegenstimmen. Gut möglich, dass sich Merkel dann einen neuen Koalitionspartner zur Euro-Rettung gesucht hätte.

Auch wenn große Teile der FDP es jetzt gern so aussehen lassen wollen: Der Großteil der Probleme ist auch nach dem Mitgliederentscheid noch da. Der schleswig-holsteinische FDP-Chef Heiner Garg schlägt da schon selbstkritischere Töne an: "Wir stecken immerhin in der schwersten Krise, die die Partei jemals hatte", sagte er dem Abendblatt. Zwar freue er sich, dass die Linie der Parteiführung die Mehrheit beim Mitgliederentscheid bekommen habe. Er erwarte jedoch auch, dass der Bundesvorstand "jetzt an die Arbeit geht statt in Freudengeheul auszubrechen". Rösler müsse die beiden unterschiedlichen Gruppen, "die hart in der Sache miteinander gestritten haben", wieder zusammenführen. "Ich habe Philipp Rösler gewählt, weil er moderieren und integrieren kann - genau das muss er jetzt zeigen", forderte Garg, der im Mai 2012 vor einer Landtagswahl steht. Die Partei weiß, dass das Votum der Schleswig-Holsteiner den nächsten neuralgischen Punkt für die Liberalen bildet. Fliegen sie auch hier aus dem Parlament, wird es für Rösler schwer, sich zu halten - selbst beim Koalitionspartner rechnet man hinter vorgehaltener Hand nicht damit, dass schon Schluss ist mit den Personalrochaden.

Garg fordert, die liberalen Themen künftig "viel stärker und viel selbstbewusster" durchzusetzen. Und er hat einen Ratschlag für seinen Parteichef parat: "Philipp Rösler ist ein verbindlicher und kluger Mensch, es wäre ein Zeichen von Stärke und Souveränität, wenn er sich als junger Bundesvorsitzender bei seiner Arbeit auch auf seine erfahrenen und profilierten Stellvertreter stützt. Dann wären wir schon einen Schritt weiter." Fraktionschef Rainer Brüderle etwa sei ein erfahrener Wirtschaftspolitiker, Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger stehe wie keine andere für die FDP als Bürgerrechtspartei.

Was Rösler wirklich zu tun gedenkt, wird er den Liberalen bei ihrem traditionellen Dreikönigstreffen am 6. Januar in Stuttgart mitteilen. Es ist jedes Jahr der politische Auftakt der FDP. Im Januar 2011 stand noch Westerwelle auf der Bühne, auch er war bereits als Parteichef angezählt. Für Rösler ist das Votum über den Mitgliederentscheid deshalb nichts als eine Atempause. Auch wenn er es nicht so offen gesagt hat wie Schäffler: Auch er dürfte sich auf ein paar Tage Ruhe zu Weihnachten freuen.