Der Parteitag in Kiel beschließt höhere Steuern für Reiche und Abbau der Schulden. Ausserdem nimmt man sich dem Kampf gegen Neonazis an.

Kiel. Manuel Sarrazin wirkt noch ein bisschen zerknautscht, das Gesicht etwas bleicher, die Augen etwas kleiner als sonst. Es war eine lange Nacht, traditionsgemäß haben die Delegierten des Grünen-Parteitags in Kiel die Nacht von Sonnabend auf Sonntag dazu genutzt, um gemeinsam eine Party zu feiern, der Hamburger Delegierte Sarrazin war mit dabei. An diesem Sonntagvormittag neigt sich der Parteitag dem Ende entgegen, drinnen wird noch über NPD-Verbot, Extremismusklausel und Urheberrechte im Internet debattiert, draußen sitzt St.-Pauli-Fan Sarrazin im schwarzen Kapuzenpulli mit Totenkopf, er will gleich noch zum Spiel am Millerntor. 2013 wolle seine Partei wieder mit an die Regierung, erklärt Sarrazin: "Deswegen müssen unsere Konzepte ehrlich und seriös sein."

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Das Delegiertentreffen in Kiel habe diesen Anspruch untermauert, glaubt Sarrazin. "Das war ein richtiger Arbeitsparteitag, bei dem wir auf Flügelkämpfe verzichtet haben." Es war ein gutes Jahr für die grüne Partei, die nun in allen Landtagen sitzt und an vier Landesregierungen beteiligt ist. Doch der verpasste Regierungseinzug der Grünen in Berlin und der Rückgang der nach Fukushima zum Teil schwindelerregend hohen Umfragewerte haben verhindert, dass sich die Partei in Euphorie verliert.

An den beiden Vortagen hatten die Parteivertreter vor allem über Europa und über Finanzpolitik debattiert. Auf EU-Ebene sprechen sich die Grünen nun für Euro-Bonds, eine Finanztransaktionssteuer und eine stärkere Bankenregulierung aus. Die EU-Kommission sollte zu einer europäischen Wirtschaftsregierung ausgebaut werden.

Heil umschifft hat die Partei vor allem die Klippe Finanzpolitik. Es wäre der Punkt gewesen, an dem der gemäßigte Realo- und der linke Fundi-Flügel hätten aufeinanderprallen können. Denn während sich der Bundesvorstand für eine Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent auf Jahreseinkommen ab 80 000 Euro ausgesprochen hatte, forderte die Grüne Jugend, den Satz auf 53 Prozent anzuheben und schon ab 68 000 Euro greifen zu lassen. In einigen Teilen der Partei war diese radikalere Steuerstrategie als Versuch von Parteilinken gesehen worden, künftige grün-schwarze Koalitionsoptionen zu torpedieren.

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"Bitte beschließt kein Wiederbelebungsprogramm für die FDP", bat Parteichef Cem Özdemir - die Partei tat ihm den Gefallen. Die Delegierten stimmten für einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent ab 80 000 Euro Einkommen. Außerdem sprechen sich die Grünen für eine auf zehn Jahre befristete Vermögensabgabe aus, die bis zu 100 Milliarden Euro einspielen soll. Sarrazin wirkt nicht begeistert, aber: Sie seien "realistisch und verantwortbar. Unsere Debatten über Europapolitik und Finanzpolitik haben bewiesen, dass wir seriöse Politik machen und nicht das Blaue vom Himmel versprechen."

Realistisch bleiben - diesen Kurs scheint man auch im Innenraum der Kieler Sparkassenarena fahren zu wollen. Man spricht sich für eine Lockerung des Urheberrechts im Internet aus, will aber Künstler weiterhin schützen, Bürgerentscheide soll es auch auf Bundesebene geben, ein Verbot von Plastiktüten und mehr Transparenz in der Rüstung - was da in Kiel beschlossen wird, liegt in der Linie bisheriger grüner Politik und hält wenige Überraschungen bereit. Ein Verbot der NPD wollen die Grünen nur, wenn es gute Aussichten auf Erfolg hat. Doch auch der Parteilinke Hans-Christian Ströbele ist skeptisch. "Ein NPD-Verbotsverfahren tut nur so, als ob es hilft", ruft er in den Raum und erhält Applaus. Illusionen will sich die Partei eben auch im Kampf gegen die Rechten nicht leisten.